Gesundheits- und Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) ist alarmiert, was den psychischen Zustand vieler Kinder und Jugendlicher in Österreich betrifft: "Wir haben ein massives Problem. Und wenn wir das nicht lösen, verlieren wir tausende Jugendliche. Wir können es uns aber nicht leisten, auch nur einen einzigen zu verlieren." Rauch will deswegen einen nationalen Aktionsplan, an dem alle beteiligten Ministerien, aber auch Ländervertreterinnen und Stakeholder mitarbeiten sollen. Der Plan müsse mit Geld und Gesetzen ausgestattet werden, sagte der Minister am Montag dem STANDARD.

Sozial- und Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) will einen nationalen Aktionsplan, der mit Geld und Gesetzen ausgestattet wird. Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) begrüßt das. Die Forderung dürfte allerdings ein To-do für die nächste Regierung werden.
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Polaschek verweist auf getane Arbeit

Teil eines solchen Aktionsplans müsste laut Rauch auch das Bildungsministerium sein, in dem anlässlich gestiegener Zahlen von Schulverweisen die Alarmglocken läuten müssten, sagt Rauch. Aus dem Büro des angesprochenen Ministers, Martin Polaschek (ÖVP), heißt es dazu: "Klar ist, dass in der Schule etwaige Probleme nur festgestellt und an die zuständigen Stellen im Gesundheitsbereich weitervermittelt werden können." Die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen sei ein großes Anliegen, deshalb setze das Ministerium auch entsprechende Maßnahmen, etwa eine Aufstockung der Schulpsychologie um 20 Prozent.

Auch im Bereich der Schulsozialarbeit, die, wie betont wird, eigentlich in der Zuständigkeit der Länder liege, seien bereits "wichtige Initiativen" gesetzt worden. Die Schulsozialarbeit sei beispielsweise erstmals gesetzlich verankert worden. "In Summe stehen zusätzlich zu den Initiativen der Länder rund 14 Millionen Euro für Schulsozialarbeit zur Verfügung. Dadurch ist eine Verdopplung auf 240 Kräfte möglich." Auf den von Rauch geforderten nationalen Schulterschluss, einen Aktionsplan, wird im Bildungsministerium nicht konkret eingegangen. Aber selbst der Gesundheitsminister sprach davon, dass dies wohl eine Aufgabe für die kommende Regierung sei.

Plakolm sieht positive Ankündigung

Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) antwortet mit einer kleinen Spitze auf Rauchs Vorstoß: "Dass der Gesundheitsminister seine Aufgabe in diesem Bereich zukünftig vorausschauender und in Zusammenarbeit mit den anderen Ressorts erledigen möchte, sehe ich als positive Ankündigung." Das Thema psychische Gesundheit bereite dem Jugendbericht zufolge drei von zehn Jugendlichen Sorgen und sei für sie daher "von Anfang an ein wichtiges und dringliches Thema" gewesen. In ihrem Ressort habe man im letzten Jahr einen eigenen Förderschwerpunkt für Maßnahmen in der psychischen Gesundheit aufgesetzt, sagt Plakolm.

Polaschek und Plakolm verweisen, wie Rauch am Montag, auf das Projekt "Gesund aus der Krise", bei dem Jugendlichen möglichst niederschwellig eine Behandlung organisiert wird, 15.000 Jugendliche wurden bislang vermittelt. Plakolm dazu: "Da war es mir bei den letzten Budgetverhandlungen immer wichtig, dass das Projekt weitergehen kann. Ich gehe davon aus, dass das jetzt im dritten Jahr vom Gesundheitsministerium nicht mehr als Projekt, sondern als fixer Bestandteil in der Versorgung der psychischen Gesundheit junger Menschen gehandhabt wird."

Inhaltlich sieht Plakolm insbesondere das Thema Schönheitsideale in sozialen Medien als Problem. Zwei von drei jungen Menschen würden einen Zusammenhang zwischen Aufnahmen in sozialen Medien und ihrem eigenen Schönheitsempfinden sehen. "Es gibt mittlerweile Influencer mit hunderttausenden Followern, die zu hundert Prozent KI-generiert sind und täuschend echt aussehen. Deshalb fordere ich eine Kennzeichnungspflicht für KI-generierte Fotos."

"Keine Priorität" für Kinder und Jugendliche

Paul Plener, derzeit Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (ÖGKJP), stimmt Rauch hinsichtlich der Einschätzung zur psychischen Belastung von Kindern und Jugendlichen zu, übt allerdings Kritik, was die Konsequenz daraus betrifft: Eine ressortübergreifende Mental-Health-Strategie habe man "bereits seit langem" gefordert. "Leider bestand trotz Anfragen unsererseits seitens des Bundesministers bislang wenig Interesse, sich mit uns als kinder- und jugendpsychiatrischer Fachgesellschaft auszutauschen." Trotz gestiegener Anforderungen an das Fach seien bislang "keine Schritte im Sinne eines Ausbaus oder einer Unterstützung der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung" unternommen worden, sagt Plener.

Der Fachbereich werde bei den derzeit 100 zusätzlichen Kassenstellen neben den Fachbereichen Allgemeinmedizin sowie Kinder- und Jugendheilkunde, Gynäkologie, Augenheilkunde sowie Haut- und Geschlechtskrankheiten berücksichtigt, sagt Rauch. Der ÖGKJP ist das aber zu wenig, denn mindestens 50 neue Kassenstellen sind für Allgemeinmedizin, Kinder- und Jugendheilkunde sowie bei besonderem regionalem Bedarf Innere Medizin vorgesehen. Im Büro von Rauch wird darauf verwiesen, dann man bei den Ausschreibungen auch darauf achten müsse, ob die Stellen überhaupt gedeckt werden könnten. Subtext: Es gibt derzeit schlicht zu wenige Kinder- und Jugendpsychiater.

Nur kritisieren will Plener, seines Zeichens Leiter der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Wien, die Politik nicht: Man begrüße beispielsweise ausdrücklich die gesetzten Engagements etwa im Bereich des Projekts "Gesund aus der Krise" oder der Aufnahme der klinisch-psychologischen Behandlung ins Allgemeine Sozialversicherungsgesetz. "Mit Blick auf die in den letzten Monaten getätigten Ausgaben der Bundesregierung in Milliardenhöhe in vielen anderen Ressorts muss jedoch nüchtern festgestellt werden, dass der Kinder- und Jugendgesundheit offenbar derzeit keine Priorität eingeräumt wird. Wir müssen darauf hinweisen, dass es sowohl im Bereich der Prävention als ressortübergreifender Schnittstellenmaterie und auch im Bereich der kassenfinanzierten Kinder- und Jugendpsychiatrie im niedergelassenen Bereich immer noch deutlichen Handlungsbedarf gibt." (Lara Hagen, 13.3.2024)