Ein Gemälde einer Frau in opulentem Kleid, mit Handschuhen und einem goldenen Fächer in der Hand.
Ein Porträt von Ada King, die besser unter ihrem Adelsnamen Lovelace bekannt ist.
imago images/Artepics

Augusta Ada King-Noel, Gräfin von Lovelace, war in vieler Hinsicht eine typische Aristokratin des viktorianischen England. Sie wurde von einer Dienerschaft versorgt, ritt mit Hunden aus und ging abends in die Oper. Doch die Tochter des bekannten Romantik-Dichters Lord Byron frönte einem weiteren Luxus: Sie beschäftigte sich mit Mathematik und erreichte darin eine solche Meisterschaft, dass sie bald als Genie galt. Bis eine Biografin mehr als hundert Jahre später zu einem völlig anderen Schluss kam und ein vernichtendes Urteil fällte.

Bereits als Mädchen hatte Ada Lovelace auf Betreiben ihrer Mutter Unterricht in Naturwissenschaften erhalten. Nach guter Tradition lernte sie Mathematik aus den Büchern des antiken Gelehrten Euklid. Als Frau, die gewohnt war zu bekommen, was sie sich wünschte, beschloss sie, Mathematikerin zu sein. Ihre Ehe stand dem glücklicherweise nicht im Weg, ihr Ehemann war ebenfalls interessiert an Naturwissenschaften, eher noch hinderlich waren die drei Kinder, die sie zwischen 1836 und 1839 gebar. Ihre Studien wurden dadurch unterbrochen, doch sie nahm sie 1840 wieder auf und ging beim Logiker Augustus De Morgan in die Lehre, heute für seine logischen Schlussregeln bekannt, die Grundlage jeder Computerarchitektur sind. Auch mit der Astronomin und Mathematikerin Mary Somerville stand sie im Austausch.

In den gehobenen Kreisen, in denen sie sich bewegte, war sie mit Charles Babbage in Kontakt gekommen, einem Mann, der von einem unerhörten Vorhaben getrieben war: Er wollte eine Maschine bauen, die des Denkens mächtig ist. Er war überzeugt, dass es mit den damaligen Technologien möglich sei und hatte bereits eine beeindruckende Rechenmaschine entworfen, die diesen Anspruch untermauerte. Wir befinden uns am Beginn der industriellen Revolution in England, Dampfmaschinen, mechanische Webstühle und Eisenproduktion sorgten für beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung und hüllten die Städte in dicke Rauchschwaden aus den Kohleschloten.

Ein Teil der "Differenzmaschine" von Charles Babbage, der bis dahin fortschrittlichsten Rechenmaschine.
IMAGO/United Archives

Computerprogramm für Zahnräder

Als Babbage Lovelace ermutigte, eine eigenständige mathematische Arbeit zu veröffentlichen, begann sie rastlos zu arbeiten. Immer wieder tauschte sie Entwürfe mit Babbage aus, bis sie 1843 eine einzige wissenschaftliche Arbeit publizierte. Es handelt sich eigentlich um eine Übersetzung eines Textes des italienischen Ingenieurs Luigi Menabrea über Babbages Denkmaschine, der in französischer Sprache verfasst war. Lovelace fügte mehrere Anhänge hinzu, darin findet sich eine Anleitung, wie sich mit Babbages bisher nur in der Theorie existierender Maschine die sogenannten Bernoulli-Zahlen berechnen ließen. Diesem Teil verdankt sie ihren Nachruhm.

Im Alter von nur 36 Jahren verstarb Lady Lovelace in der Überzeugung, ein mathematisches Genie zu sein. Nach ihrem frühen Tod sprach vor allem Babbage in den höchsten Tönen von ihr. Er nannte sie die "Zauberin der Zahl" und schrieb in einem Brief an den Physiker Michael Faraday, dass sie abstrakteste wissenschaftliche Fakten mit einer Kraft erfasst habe, die wenige männliche Zeitgenossen an den Tag gelegt hätten, zumindest in England.

Eine Erklärung, wie die Analytical Engine funktionieren sollte.
Sydney Padua

Babbage ging als Architekt des ersten universell programmierbaren Computers in die Geschichte ein. Lady Lovelace galt als Autorin des ersten Computerprogramms und wurde zur Namensgeberin der Programmiersprache Ada.

Ada Lovelace gegen Alan Turing

Noch in den 1950er-Jahren war Lovelace sehr angesehen. Einen besonderen Platz nimmt sie etwa in der Arbeit des Mathematikers Alan Turing ein. Turing gilt nicht nur als einer der Erfinder und Namensgeber des modernen Computers, er veröffentlichte auch eine berühmte Studie, die sich mit der Frage nach den Unterschieden zwischen menschlicher Intelligenz und einer möglichen maschinellen Intelligenz beschäftigt. Teil der Arbeit ist ein Gedankenexperiment, das heute als Turing-Test bekannt ist. Er soll die Fragestellung, ob Maschinen denken können, durch eine sinnvollere ersetzen: die Frage, wann die Intelligenz von Maschinen von der menschlichen nicht mehr zu unterscheiden ist. Turing will sagen, dass es keinen Sinn hat, einen Unterschied zwischen menschlicher und maschineller Intelligenz zu behaupten, wenn nach außen hin keiner sichtbar ist.

Ada Lovelace kommt zum Zug, als Turing Gegenargumente zu dieser These analysiert. Sie hatte in ihrer Arbeit behauptet, eine Maschine könne nie etwas "erschaffen". Sie könne nur Dinge tun, von denen wir wissen, wie wir sie ihr befehlen können. Turing analysiert ihr Argument und widerspricht.

Die Geschichte gibt Turing insofern recht, als KI einen beispiellosen Aufschwung erlebt und wir offenbar gelernt haben, wie wir einer Maschine befehlen können, etwas zu "erschaffen", auch wenn sich über Feinheiten der Interpretation dieses Wortes trefflich diskutieren lässt. Doch auch Turing täuschte sich, als er prophezeite, bis zum Ende des Jahrhunderts könne man von "denkenden" Maschinen sprechen, ohne Widerspruch erwarten zu müssen. Zur Verteidigung der beiden muss gesagt werden, das weder Lovelace noch Turing je einen funktionierenden programmierbaren Computer zu Gesicht bekamen. Beide verstanden das, was sie taten, als Mathematik. Turing nahm Lovelace jedenfalls als Forscherin ernst.

Ein funktionstüchtiger Nachbau der zweiten "Differenzmaschine" von Charles Babbage nach dessen Plänen. Das Original wurde nie realisiert. Dieses Exemplar war im kalifornischen Computer History Museum ausgestellt. Hier handelt es sich um eine reine Rechenmaschine, keinen programmierbaren Computer im heutigen Sinn.
Computer History Museum

Vernichtende Biografie von 1985

Erst das Buch "Ada: A Life and a Legacy" von Dorothy Stein räumte mit der positiven Sicht auf. Stein deckte außereheliche Affären, Spiel- und Drogensucht der Aristokratin auf. Auch ihre wissenschaftlichen Arbeiten analysiert Stein und findet zahlreiche Fehler, die ihr unerklärlich sind. Sie schließt, Lovelace sei "eine Figur, deren Leistung nicht die Anerkennung verdient, die ihr zuteil wird". Was Stein ihr in erster Linie vorwirft, ist Inkompetenz. Sie sei gar nicht in der Lage gewesen, ihre berühmte Arbeit selbst zu verfassen. Damit beeinflusste sie die Wahrnehmung von Lovelace für die kommenden Jahrzehnte. Die Entwicklung gipfelte im Urteil von Bruce Collier, Autor einer Babbage-Biografie, der sie die "am meisten überschätzte Figur in der Geschichte der Computer" nannte.

Es zeigt sich, dass es tatsächlich ein Problem mit der Ausbildung von Ada Lovelace gab. Waren die "Elemente" von Euklid, ein Standardwerk der griechischen Antike, um 1800 noch Gegenstand jeder guten mathematischen Universitätsausbildung gewesen, so hatte sich diese Ausbildung in den folgenden dreißig Jahren weiterentwickelt. Lovelace startete also mit veraltetem Wissen in ihr Vorhaben, eine berühmte Mathematikerin zu werden.

Wenig hilfreich dürfte ihre überschwängliche Selbsteinschätzung gewesen sein. "Ich glaube nicht, dass mein Vater ein solcher Dichter war (oder jemals hätte sein können), wie ich ein Analyst sein werde", schreibt sie. "Analyst" meint hier "Mathematiker". Je mehr sie studiere, desto mehr spüre sie ihr "Genie" dafür. In Wirklichkeit hatte sie nicht alle Berechnungen ihrer berühmten Arbeit selbst durchgeführt, einige algebraische Rechnungen hatte Babbage für sie erledigt, um ihr "die Mühe zu ersparen".

Schwarzweißfoto eines älteren Herrn mit nach unten gezogenen Mundwinkeln.
Der Mathematiker und Computerpionier Charles Babbage, der die bis dahin leistungsfähigsten mechanischen Rechenmaschinen baute.
Gemeinfrei

Wie kompetent war Ada Lovelace?

War Ada Lovelace also tatsächlich inkompetent? Der Mathematiker Adrian Rice beleuchtet nun in einer in den "Notices of the American Mathematical Society" erschienenen Untersuchung die Beispiele, anhand derer Stein Lovelaces Inkompetenz festmachte, neu und findet zahlreiche Ungereimtheiten. So datieren etwa Verständnisprobleme, die Lovelace in Briefen an De Morgan anspricht, deutlich früher, als Stein behauptete. Sie stammen aus der Zeit zu Beginn von Lovelaces Studien nach ihrem dritten Kind. Probleme, die Lovelace mit Winkelfunktionen hatte, dürften auf ihre Ausbildung in den Werken von Euklid zurückgehen.

Als weiteres Beispiel nennt Stein einen Übersetzungsfehler. In der Übersetzung, die eigentlich den Hauptteil der Veröffentlichung ausmacht, übernahm Lovelace eine Passage, die im französischen Original unverständlich ist. Das hat einen guten Grund: Das Original enthält einen Schreibfehler. Steins Hinweis, dass der Fehler von vielen später aus der Übersetzung übernommen wurde, stärkt die Position von Lovelace eher, statt sie zu schwächen. Babbage selbst übernahm den Fehler, ebenfalls nicht imstande, das Problem zu lösen.

Rice schließt, dass damit zwar nicht bewiesen sei, dass Lovelace ihre berühmte Arbeit ganz allein verfasst habe oder dass sie ein Genie gewesen sei. Doch sie habe in jedem Fall die für den Text benötigten mathematischen Fähigkeiten besessen.

So sahen es auch die Zeitgenossen von Lovelace. Ihr Lehrer De Morgan äußerte sich so: "Hätte irgendein junger [männlicher] Anfänger, der nach Cambridge gehen wollte, die gleichen Fähigkeiten gezeigt, hätte ich prophezeit, dass aus ihm sicherlich zu ein origineller mathematischer Forscher geworden wäre, vielleicht von erstklassiger Bedeutung." Eine längere Karriere, die darüber Aufschluss hätte geben können, wurde durch den frühen Tod von Lady Lovelace verhindert. (Reinhard Kleindl, 10.3.2024)