Jürgen Janger, Ökonom am Wifo, und Bernhard Dachs, Senior Scientist am Austrian Institute of Technology, diskutieren in ihrem Gastkommentar, warum Europa in den Schlüsseltechnologien zurückgefallen ist und wie es wieder aufholen könnte.

Zu wenig Stiefel im Reinraum? Europa droht bei Technologien wie beispielsweise Mikrochips völlig abgehängt zu werden. Der Aufholbedarf ist groß.
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Innovation und Technologie sind in den letzten Jahren zunehmend zu Themen der Geopolitik geworden. Das beste Beispiel ist der Konflikt zwischen den USA und China um Mikrochips.

Aber auch die Europäische Union ist zunehmend besorgt, bei wichtigen Technologien wie Mikrochips, künstlicher Intelligenz oder Batteriezellen von China oder den USA abhängig zu sein. Es gibt tatsächlich immer mehr Hinweise dafür. Batteriezellen für Elektrofahrzeuge oder die leistungsfähigsten Mikrochips für Mobiltelefone oder Computer werden überwiegend in Asien produziert. Abhängigkeiten müssen im internationalen Handel nicht notwendigerweise schlecht sein, wenn sie gegenseitig sind und ihnen Spezialisierungen bei anderen Gütern gegenüberstehen. Bei Hochtechnologie scheint Europa hier allerdings immer weniger anbieten zu können. Wer abhängig ist, ist erpressbar, und Europa könnte aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeiten zu einer Außenpolitik gezwungen werden, die nicht im Einklang mit europäischen Werten steht.

Ehrliche Beurteilung

Grund genug, die Abhängigkeiten zu reduzieren – aber wie, und zu welchem Preis? Es scheint, dass in Europa sowohl ein systematisches Maßnahmenkonzept als auch ausreichende Mittel zur Verwirklichung solcher Pläne fehlen. Initiativen wie der EU Chips Act oder der Green Deal Industrial Plan sind anlassbezogene Initiativen und zeigen wenig grundsätzliche Auseinandersetzung mit Europas Stärken und Schwächen. Dazu kommt, dass die Europäische Kommission im Gegensatz zu den Regierungen der USA und Chinas nur wenig eigene Mittel in diese Themen investieren kann und daher vor allem auf eine Aufweichung des EU-Beihilfenrechts und nationale Förderungen setzt, mit möglichen negativen langfristigen Konsequenzen für den Binnenmarkt.

Wie könnte eine langfristige europäische Strategie zum Ausbau der technologischen Souveränität Europas aussehen? Zuerst ist eine ehrliche Beurteilung des Status quo notwendig. Europa ist bei einer ganzen Reihe von relevanten Technologien ins Hintertreffen geraten, wie bei der künstlichen Intelligenz oder bei Hochleistungsmikrochips. In wenigen Fällen gibt es aber auch Stärken. Je nach Leistungsniveau der EU können im zweiten Schritt daher drei Arten abgestimmter Maßnahmenbündel gestaltet werden, die Elemente der Innovations-, Industrie- und Handelspolitik beinhalten.

Geld für Forschung

Für die Stärken empfehlen sich themenoffene Forschungsförderungen und bessere Rahmenbedingungen wie verstärkte Ausbildung von Fachkräften oder die Verfügbarkeit von Risikokapital, damit junge innovationsintensive Firmen schnell wachsen können – der führende chinesische Batterieerzeuger CATL wurde übrigens erst 2011 gegründet. Viele Mitgliedsstaaten geben allerdings zu wenig Geld für Forschung und leistungsstarke Universitäten aus, ein fragmentierter Kapitalmarkt behindert die Finanzierung technologieintensiver Unternehmen.

In vielen Feldern ist daher Aufholen angesagt. Wenn Technologien nicht aus freundlich gesinnten Ländern importiert werden können, braucht es dazu eine gezielte und auf EU-Ebene koordinierte Forschungs-, Innovations- und Produktionsförderung. Handels- und Industriepolitik könnten temporär junge Industrien unterstützen, um anfängliche Kostennachteile zu kompensieren. Viele Länder haben es zu unterschiedlichen Zeiten geschafft, durch gezielte Anstrengungen wieder an die Spitze zu kommen. Warum sollte das in der EU nicht gelingen?

Spitzenposition bedroht

In manchen Feldern schließlich ist Europas Spitzenposition bedroht, wie etwa bei der Telekommunikationsausrüstung. Anstatt Firmen einfach pleitegehen zu lassen, könnten transparente Vorgangsweisen entwickelt werden, um kritische Kompetenzen und Produktionskapazitäten in der EU zu halten, in welcher Form auch immer. Als Beispiel könnte die Bankenunion mit dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus dienen.

Alle drei Maßnahmenbündel werden am besten auf EU-Ebene koordiniert. Jedes EU-Land allein, selbst Deutschland, wäre zu klein, um alle relevanten Kompetenzen selbst aufzubauen. Die Förderung von eng definierten Schlüsseltechnologiefeldern ist in der Regel in kleinen Ländern ineffizient und ineffektiv, weil es zu wenige relevante Fördernehmer gibt. Die EU-Mitgliedschaft ist damit für ein kleines Land wie Österreich die wichtigste Maßnahme für technologische Souveränität – sie stellt auch den Zugang zu allen in den EU-Ländern verfügbaren kritischen Technologien sicher.

Deutliche Stärkung

Die wichtigste Maßnahme wäre allerdings eine deutliche Stärkung der technologischen Kapazitäten in der Europäischen Union. Wenn sich die EU-Mitgliedsstaaten dazu durchringen könnten, erstens Forschungs- und Entwicklungsausgaben stark zu steigern und zweitens Ausgaben verstärkt von der nationalen auf die EU-Ebene zu verlagern, um damit einen europäischen Mehrwert in der Forschung zu lukrieren, wäre bereits viel gewonnen. Vor 50 Jahren, am Höhepunkt des Wettlaufs ins All, verfügte die Nasa über ein Budget von etwa 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung der USA. Heute macht die europäische Forschungsförderung gerade einmal 0,1 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU aus. (Jürgen Janger, Bernhard Dachs, 26.2.2024)