Lara Vadlau am Steuer, Lukas Mähr im Trapez. Manchmal, immer öfter, verstehen sie sich auf dem Boot beinahe blind, und die Abläufe funktionieren automatisch.
OeSV/Dominik Matesa

Segler müsste man sein. Als Segler verbringst du den halben Winter auf den Kanaren, dann übersiedelst du auf die Balearen, und im Sommer ist Marseille angesagt. So sieht das Leben von Lara Vadlau und Lukas Mähr derzeit aus. Freilich bringt dieses Leben mit sich, dass sie fast permanent von ihrer Familie und den Freunden getrennt sind. Das muss man mögen.

Vadlau und Mähr mögen es oder finden sich ab, weil sie eine Olympia-Kampagne fahren. Ziel ist eine Medaille bei den Sommerspielen (ab 26. Juli), die sich im Segeln nicht in Paris, sondern vor Marseille abspielen. Dem Ziel wird so gut wie alles untergeordnet. Seit 2021 sind Vadlau und Mähr fast permanent auf sich selbst zurückgeworfen. Ihr Boot, ihre Klasse, ist der 470er, eine Zwei-Personen-Rennjolle. Die Zahl 470 bezieht sich auf die Gesamtlänge des Boots – im Gegensatz etwa zum 49er, dessen Name sich von der Rumpflänge ableitet, doch das nur nebenbei. Der 470er, 1963 vom Franzosen André Cornu kreiert, war ab 1976 bei den Männern, ab 1988 auch bei den Frauen olympisch.

Für heuer und Paris bzw. Marseille hat der Weltverband (World Sailing) die Einführung einer Mixed-Klasse beschlossen. Deshalb sitzen die Kärntnerin Vadlau (29) und der Vorarlberger Mähr (33) jetzt in einem Boot, sie als Steuerfrau, er als Vorschoter. Sie haben sich schnell gefunden, waren 2023 schon WM-Vierte und gelten als eine der größten heimischen Olympia-Hoffnungen. Die WM ab Dienstag vor Palma de Mallorca dient auch als Generalprobe, Ziel von Vadlau/Mähr ist eine Top-fünf-Platzierung, was eine Top-drei-Platzierung, also eine Medaille, nicht ausschließt.

Fertige Medizinerin

So jung ihre Partnerschaft ist, so groß ist die 470er-Routine der beiden. Vadlau zählte schon vor einem Jahrzehnt zur absoluten Spitze, gemeinsam mit Jolanta Ogar holte sie drei WM-Titel. Just bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio wollte es nicht klappen, nach dem neunten Platz gingen Vadlau und Ogar auseinander, und Vadlau konzentrierte sich auf ihr Medizinstudium, das sie 2023 als Chirurgin in spe abgeschlossen hat. Mähr ist 2017 mit David Bargehr im 470er zu WM-Bronze und zum zweiten Platz im Gesamtweltcup gesegelt.

WM-Dritter 2017 und dreimalige Weltmeisterin in (vor) einem Boot.
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Im Winter fanden Vadlau/Mähr vor Lanzarote ideale Trainingsbedingungen vor, es wurde getüftelt ohne Ende. Doch was heißt "tüfteln"? Die Maße des Bootes sind doch genormt, die Fläche der Segel vorgegeben. "Ja, schon", sagt Vadlau. "Aber", sagt Mähr. "Schau dir doch einmal den Mast und das Schwert an", sagen beide. Vom Schnitt der Segel ganz zu schweigen.

Geheimnisvoller Schnitt

Der Mast besteht aus Aluminium, kann aber weicher oder härter sein. Vadlau erklärt: "Für leichtere Teams ist ein weicher Mast besser. Wir sind ein eher schweres Team, brauchen also, um den Druck im Segel aufrecht zu erhalten, einen eher harten Mast, der sich nicht so leicht biegt wie ein weicher." Für das Schwert gilt Ähnliches, auch hier gibt es Unterschiede im Hinblick auf Steifigkeit und Stabilität. Und die Segel? Ja, ihre Fläche ist genormt. Das Großsegel misst exakt 9,12, die Fock exakt 3,58 und der Spinnaker (Zusatzsegel) exakt 13 Quadratmeter. Doch bei Großsegel und Fock kann ein unterschiedlicher Schnitt sehr viel ausmachen.

Alle Maße des 4,70 Meter langen Bootes sind genormt, die Segelfläche ist vorgegeben. Dennoch tüfteln Vadlau/Mähr ohne Unterlass.
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Wo die Unterschiede genau liegen und wie ihre Segel speziell geschnitten sind, wollen Vadlau und Mähr dem STANDARD nicht verraten. Das sei "top secret", die Konkurrenz könnte schließlich mitlesen. Was Mähr sehr wohl sagt? "Ein Supersegel allein bringt dir noch gar nichts. Entscheidend ist, dass alles zusammenpasst. Es kommt auf das Gesamtsetup an."

Komplizierter als Fußball

"Bei einem Fußballspiel", Jean-Paul Sartre hat das gesagt, " verkompliziert sich alles durch die Anwesenheit der gegnerischen Mannschaft." Im Segeln ist alles noch viel komplizierter. Da gibt es neben vielen gegnerischen Teams – mehr als 60 bei der WM, 18 bei den Olympischen Spielen – auch noch äußere Bedingungen, also Wind und Welle. Jeder Tag, jede Wettfahrt ist anders. Vadlau: "Wir suchen ein Set, das bei möglichst allen Bedingungen möglichst schnell ist."

Kurz vor WM-Beginn hatten Vadlau und Mähr, wie er sagt, "einen total lässigen Trainingstag". Das Verständnis auf dem Boot war beinahe blind, die Abläufe funktionierten automatisch, auf solchen Trainingstagen lässt sich aufbauen. "Am besten wäre es", sagt Vadlau, "wenn aus unseren beiden Gehirnen quasi ein Gehirn wird." Doch das wird es nicht spielen, trotz aller Tüftelei. (Fritz Neumann, 25.2.2024)