Mental Health Days Albertus Magnus Gymnasium 1180 Wien Schülerinnen Schüler Schule
Die Siebtklässler der Albertus-Magnus-Schule in Wien-Währing erfuhren, dass Suizide oft angekündigt werden.
Regine Hendrich

Als Golli Marboe im Festsaal der Schule zu sprechen beginnt, wird es sofort sehr persönlich. "Seit mein Sohn Tobias sich vor fünf Jahren das Leben genommen hat, fragen wir uns: Was haben wir übersehen?" Stimmengewirr auf dem Gang, Stille im Saal. Marboe, in Kapuzenpulli und Jeans, sagt, dass er auf diese und viele weitere Fragen keine richtigen Antworten fand. Gewiss sei: "Wir wussten zu wenig über Fragen des psychischen Wohlbefindens."

Solche Wissenslücken zu schließen hat sich der Journalist zu seiner zentralen Aufgabe gemacht. Er organisiert nun Tage der psychischen Gesundheit, zu denen Schulen sich kostenlos anmelden können. Sie werden durch Spenden und Förderungen finanziert. In mehr als 70 Schulen wurden schon Workshops abgehalten – an Neuen Mittelschulen, Berufsschulen, privaten oder öffentlichen AHS. Das Angebot gibt es in fünf Bundesländern, ab nächstem Schuljahr in acht. Der Andrang ist groß. Die Themen reichen von Mobbing, Körperbewusstsein, Internetabhängigkeit, Leistungsdruck, Sucht, Depression bis Suizidalität und Existenzängsten.

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DER STANDARD

Suizidgedanken

Dass die psychische Gesundheitskompetenz einer Stärkung bedarf, zeigen viele Studien – unter anderem eine Erhebung, die im Rahmen der Mental-Health-Initiative von Forschenden der Uni Wien und der Med-Uni Wien durchgeführt und im Jänner präsentiert wurde. Daten von fast 6700 Zehn- bis 18-Jährigen zeigen zwar große Zufriedenheit mit Familie und Freunden, doch gaben neun Prozent an, beinahe täglich oder an mehr als der Hälfte aller Tage über Suizid nachdenken.

Weiters ergab die Befragung, dass das Smartphone zwar rund dreieinhalb Stunden pro Tag genutzt wird und ein Drittel der User dabei bereits auf Suizidberichte stieß, aber kaum jemand Hilfsangebote dazu kennt.

Nicht nur auf den Körper achten

"Wer hat sich heute die Zähne geputzt?", fragt Marboe die rund 45 Schülerinnen und Schüler der siebenten Klassen der Albertus-Magnus-Schule in Wien-Währing, die gerade das Thema Suizidalität behandeln. Alle zeigen auf. "Und wer hat schon über seine Gefühle nachgedacht?" Fünf Hände gehen in die Höhe. "Wie um unseren Körper sollten wir uns um unsere Seele kümmern", sagt der 59-jährige Gründer des Vereins zur Förderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien.

Nun wird ein kurzer Filmclip an die Wand projiziert, in dem unter anderem Sängerin Billie Eilish über ihre suizidalen Phasen spricht. Der Clip erklärt auch, was der Begriff Suizidalität bedeutet: länger andauernde Gedanken ans Beenden des eigenen Lebens; Drohungen, sich das Leben zu nehmen und Suizide.

Danach sollen die Schülerinnen und Schüler via Handy anonym an einer Blitzbefragung teilnehmen. "Darf man andere fragen, ob sie Suizidgedanken haben, oder besteht dann die Gefahr, jemanden zu triggern?", ist eine Frage. Vier von fünf Anwesenden geben an, man sollte fragen. Marboe, der sich nun einen Mitarbeiter des Kriseninterventionszentrums zur Seite geholt hat, stimmt zu, dass das wichtig sei. Über suizidale Gedanken zu sprechen sei sehr schwierig, nachfragen könne helfen.

Ernstzunehmender Hilferuf

"Wer davon spricht, sich umzubringen, tut es eh nicht – richtig oder falsch?", projiziert der Beamer an die Wand. Die Teenager tippen in ihre Smartphones, live erscheinen Pünktchen bei der jeweiligen Antwort. Das Ergebnis: Drei von vier Siebtklässlern sagen, das sei falsch. Marboe stimmt zu: Jede Drohung, dass sich jemand das Leben nehmen will, müsse man ernst nehmen. Man dürfe die Person im besten Fall nicht mehr allein lassen und sollte mit ihr gemeinsam Hilfe aufsuchen. 80 Prozent der Suizide würden angekündigt.

Auch der Umgang mit Hinterbliebenen (ihnen Hilfe anbieten), wann die meisten Suizide stattfinden (im Mai) und in welcher Bevölkerungsgruppe sie besonders oft passieren (Männer ab 50 Jahre), wird mit den Anwesenden besprochen. Ebenso, ob Antidepressiva süchtig machen können. Nein, sagt Marboe und erklärt die Wirkweise.

Drei Wünsche ans Publikum

Kurz bevor die Schulglocke läutet, formuliert Marboe drei Wünsche an sein Publikum. Erstens: Den Flyer vom Sessel mitnehmen und gut aufheben für den Fall, dass irgendwann Hilfe gebraucht wird (siehe Wissen). Zweitens: Beim Zähneputzen morgens überlegen, wie man dem Tag entgegenblickt. Drittens: Einem Freund oder einer Freundin heute noch ohne Anlass sagen, dass man ihn oder sie liebhat. Ein Video beendet die intensive Schulstunde mit dem Hinweis darauf, dass die Telefonseelsorge 142 bis 23 Uhr erreichbar ist.

Zwei Schüler und eine Schülerin bleiben noch ein wenig im Festsaal stehen. Am meisten hat sie überrascht, dass so viele Menschen, den Suizid vorher ankündigen. Ein 17-Jähriger sagt offen, er habe selbst schon suizidale Gedanken gehabt und sich Hilfe gesucht. Es sei wichtig, dass darüber gesprochen wird. Nach ihnen sind die achten Klassen dran, um sich mit Ängsten zu befassen. Später ist noch eine Einheit für die Lehrenden sowie eine für Eltern angesetzt.

Auch Direktor Herwig Födermayer hat zugehört. Es gebe keinen konkreten Anlass an der Schule, aber insgesamt hohen Bedarf an Unterstützung, sagt er. Einmal pro Woche komme eine Schulpsychologin. Immer wieder würde er Anfragen für Mental-Health-Days aufgrund akuter Problemfälle erhalten, ergänzt Marboe. Aber da sei man vorsichtig: "Wir therapieren ja nicht." Man wolle Themen der psychischen Gesundheit sichtbar machen, ihnen Raum geben.

Hilfsteams für Schulen

Treten Probleme auf, die im Schulkontext nicht bewältigbar sind, können öffentliche Pflichtschulen in Wien Schulkooperationsteams anfordern – zum Beispiel, wenn jemand immer seltener zum Unterricht kommt oder sich zurückzieht. Wenn Gefahr im Verzug ist, wird eine Gefährdungsmeldung gemacht, und die Jugendhilfe muss aktiv werden. Schulkooperationsteams arbeiten aber auf freiwilliger Basis. "Da herrscht meist mehr Vertrauen", sagt Monika Steinböck, Leiterin Schulkooperationsteams und Familienzentren. Am Beginn stehe ein Clearinggespräch mit Lehrenden und Direktion, dann Termine mit der Familie. "Wir bleiben acht bis zwölf Wochen an der Familie dran", erklärt Anna Handl, Beraterin im Team der Region Nord. Das Motto sei, Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Man versuche herauszufinden, was hinter den Problemen steckt: eine Trennung oder eine Krankheit? Seit der Pandemie begegne sie mehr Kindern mit Angsterkrankungen.

Der nächste Schritt ist, Hilfe zu organisieren. Mit dem Programm "Gesund aus der Krise", bei dem Kinder kostenlos psychologische Hilfe erhalten können, sei ein wichtiger Lückenschluss erfolgt, sagt Steinböck. Oft helfe auch das Beratungsangebot der Familienzentren der MA 11 weiter, etwa bei Geldproblemen. (Gudrun Springer, 22.2.2024)