Wer glaubt, die Wahlen in Pakistan wären uninteressant, weil von ihnen keine gültigen Lehren über die Entwicklung von Demokratie abzuleiten sind, irrt. Es geht uns alle an: Ein im Gefängnis isolierter Politiker, dessen Partei zerschlagen wird und dem die üblichen Wahlkampfmittel nicht zur Verfügung stehen, verlegt seine Kampagne in die sozialen Medien. Er spricht per KI-generierten Reden zu seiner durchschnittlich jungen Anhängerschaft – und siegt.

Imran Khan
An seine Unterstützer wandte sich Imran Khan, der inhaftierten Ex-Premierminister, per KI-generierter Reden.
EPA/ARSHAD ARBAB

Auch wenn es in diesem Fall mit Zustimmung des Betroffenen stattgefunden hat: Was den Wählern und Wählerinnen vorgesetzt wurde, bleibt ein Deepfake. Ob das allen, die die Videos konsumiert haben, bewusst war, sei dahingestellt. Und ob so etwas nur in Pakistan passieren kann, ebenfalls.

Die PTI, die Partei des 2022 als Premier abgesetzten und später wegen Korruption verurteilten Imran Khan, hat also bei den Parlamentswahlen in Pakistan am 8. Februar die meisten Sitze gewonnen. Ihre Anhängerschaft ist davon überzeugt, dass ihr Wahlsieg noch höher ausgefallen wäre, wenn nicht bei der Auszählung manipuliert worden wäre. Aber da die PTI- Kandidaten als "Unabhängige" anzutreten gezwungen waren, ist der Zweitplatzierte und eigentliche Wahlverlierer Nawaz Sharif, ebenfalls Ex-Premier und früher ebenfalls wegen Korruption inhaftiert, trotzdem Chef der "größten Partei". Seine PML-N kann mit anderen eine Regierung bilden.

Dass die PTI Imran Khans vorne liegt, könnte eigentlich als Sieg für die Demokratie gefeiert werden. Einen "gerechtfertigten Zynismus" nennt die Washington Post die – auch hier im STANDARD – verbreitete Annahme vor den Wahlen, dass Nawaz Sharif seine nächste Amtszeit bereits in der Tasche hatte, weil es die mächtige pakistanische Armee so wollte. Vorgesehen war eine typische gelenkte Wahl. Nicht zu Unrecht wird das politische System in Pakistan, aus dem die Militärs und Geheimdienste nicht wegzudenken sind, als "teilweise frei" kategorisiert.

Aber die Wählerschaft von Imran Khan, einstmals Cricketstar und Lebemann, heute Ehemann einer tiefverschleierten Frau, stellt die pakistanische Politik auf den Kopf. Sie erteilt der Armee und den alten Politikerdynastien, den Sharifs und den Bhuttos, eine Absage. Die Menschen wollen ihren von der Armee abgesägten Populisten wieder, der vielleicht sogar davon profitierte, dass er seine Amtszeit nicht zu Ende bringen musste. Unter Imran Khan sackte die pakistanische Wirtschaft weiter ab, der Terrorismus im Land erreichte Höchstwerte, die internationalen Beziehungen, etwa zum Nachbarn Indien oder zum alten Partner USA, wurden schwieriger.

Die Armee könnte nun, um den eigenen Legitimitätsverlust auszugleichen, Imran Khan durch eine juristische Drehtür wieder in die Politik zurückbefördern. So hat sie es mit Nawaz Sharif auch gemacht. Sie kann aber ihren Wunsch, das Kapitel Imran Khan zu beenden, auch durchziehen. Und wenn die Unruhe im Land zu groß wird, könnte sie die Zügel auch wieder direkt in die Hand nehmen. Es wäre nicht das erste Mal. (Gudrun Harrer, 13.2.2024)