Das Ringen um neue Regeln für gentechnisch veränderte Pflanzen in Europa geht in die nächste Etappe. Im vergangenen Juli schlug die EU-Kommission deutliche Lockerungen der strengen Richtlinien vor, durch die neue molekularbiologische Werkzeuge wie die Gen-Schere Crispr einfacher in der Pflanzenzucht eingesetzt werden könnten. Am Mittwoch stimmten die Abgeordneten des EU-Parlaments über ihre Position zur sogenannten Neuen Gentechnik (NGT) ab und einigten sich dabei grundsätzlich auf eine Liberalisierung.

Damit liegt der Ball bei den zuständigen EU-Agrarministerinnen und -ministern im Rat der Europäischen Union: Sie haben sich bisher auf keinen gemeinsamen Standpunkt festgelegt. Erst wenn dieser vorliegt, können die Verhandlungen zwischen den Institutionen über den endgültigen Gesetzesvorschlag beginnen.

Tomaten
Mit der Gen-Schere gezüchtete Pflanzen fallen in der EU derzeit unter strenge Gentechnikregeln, auch wenn sich die genetischen Veränderungen nicht von natürlich auftretenden Mutationen unterscheiden. Züchtungen durch chemische Behandlung oder radioaktive Bestrahlung gelten hingegen nicht als Gentechnik.
IMAGO/Joseffson

Wie die Parlamentsposition im Detail aussieht, ist aufgrund zahlreicher Abänderungsanträge noch undurchsichtig. Der Umweltausschuss des EU-Parlaments änderte den Kommissionsvorschlag jedenfalls dahingehend, dass es ein vollständiges Patentverbot für alle NGT-Pflanzen und genetischen Informationen geben soll. Dadurch sollen Rechtsunsicherheiten, erhöhte Kosten und neue Abhängigkeiten für Landwirte und Züchter vermieden werden, heißt es in einer Aussendung des Parlaments.

Im EU-Parlament stimmten nun 307 Abgeordnete für eine Lockerung, 263 dagegen, 41 enthielten sich. Österreichs EU-Abgeordnete lehnten das Vorhaben mehrheitlich ab, nur die Neos-Abgeordnete Claudia Gamon stimmte dafür. Die Abgeordneten der ÖVP und der FPÖ waren mit ihrem Nein klar in der Minderheit in ihren jeweiligen EU-Fraktionen.

Reaktionen aus Wissenschaft und Politik

Erste positive Reaktionen auf die Abstimmung im EU-Parlament kamen in Österreich aus wissenschaftlichen Einrichtungen: "Das ist ein guter Tag für die Forschung, denn sie hat seit langem darauf gedrängt, die Regeln für die Neue Gentechnik an die neuen Möglichkeiten anzupassen", sagte Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). "Forschende haben wiederholt darauf hingewiesen, dass es keinen Hinweis auf negative Auswirkungen der neuen genomischen Verfahren gibt. Die wissenschaftlichen Argumente wurden gehört. Populisten, die fern der wissenschaftlichen Evidenz argumentierten, blieben in der Minderheit."

Kritik gab es indes von den Grünen und der SPÖ. Die grüne EU-Abgeordnete Sarah Wiener sprach in einer Aussendung von einem "Desaster für Landwirtschaft, Umwelt und Essende" und meinte, sie würde sich "mehr Achtung vor der Schöpfung wünschen". Günther Sidl (SPÖ) warnte hingegen vor Intransparenz und "Gentechnik durch die Hintertür".

Alte Richtlinie, neue Werkzeuge

Dem Vorschlag der EU-Kommission für Lockerungen der Gentechnikrichtlinie waren lange Diskussionen vorausgegangen. Die aktuelle Richtlinie für Freisetzung, Verkauf und Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Organismen stammt noch aus dem Jahr 2001 und damit aus einer Zeit, in der neue molekularbiologische Werkzeuge wie die 2012 entdeckte Gen-Schere Crispr noch nicht existierten.

Crispr und andere neue Techniken erlauben inzwischen weitaus präzisere und schnellere Eingriffe in das Pflanzenerbgut als frühere Gentechnikmethoden. Wird eine Pflanze mit Crispr oder anderen "neuen genomischen Techniken" (NGT) genetisch verändert, lässt sich das Ergebnis oftmals nicht von natürlich auftretenden Mutationen unterscheiden. Zudem ermöglicht die Gen-Schere auch schnellere und genauere Zuchterfolge als herkömmliche und seit Jahrzehnten etablierte Zuchttechniken, die chemische Behandlung oder radioaktive Bestrahlung nutzen, um zufällige Mutationen auszulösen. Dennoch urteilte der Europäische Gerichtshof 2018, dass auch alle mit Neuer Gentechnik veränderten Pflanzen unter die restriktiven Gentechnikregeln fallen.

Wissenschaftliche Kritik

Die Entscheidung, nicht das Endprodukt zu beurteilen, sondern pauschal die Herstellungsmethode, sorgte in der Wissenschaft und im Agrarsektor für Kritik. Seither haben sich zahlreiche Forschungseinrichtungen und Fachleute für eine Neubewertung der NGT ausgesprochen und davor gewarnt, auf wichtige Werkzeuge für eine nachhaltigere Landwirtschaft in Zeiten des Klimawandels zu verzichten. Zuletzt appellierten auch 37 Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger sowie mehr als 1.500 Forschende an die Abgeordneten des EU-Parlaments, bei ihrer Abstimmung die "eindeutigen wissenschaftlichen Beweise zu berücksichtigen, die für NGT sprechen". Unter den Unterzeichnenden waren auch Fachleute von der Boku Wien und dem Gregor-Mendel-Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Geht es nach der EU-Kommission, sollen Pflanzen, die mit NGT verändert wurden, in Sachen Risikobewertung und Zulassung herkömmlich gezüchteten Pflanzen gleichgestellt werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind: Es dürfen keine artfremden Gene eingefügt werden, und eine bestimmte Anzahl an genetischen Änderungen darf nicht überschritten werden. Demgegenüber sollen transgene Pflanzen oder Züchtungen, deren Veränderungen umfangreicher sind, als mit herkömmlicher Züchtung erreichbar wäre, weiterhin strengen Bestimmungen unterliegen. Im Biolandbau soll auch die neue Gentechnik weiterhin generell verboten bleiben.

Die EU-Kommission berief sich in ihrem Vorschlag auf Untersuchungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa), laut der NGT-Pflanzen keine größeren Gefahren bergen als konventionell gezüchtete Pflanzen und das Risiko für unbeabsichtigte Folgen unvergleichbar geringer sei als bei Erzeugnissen der "klassischen Gentechnik". (David Rennert, APA, 7.2.2024)