Itamar Ben-Gvir gestikuliert in der Knesset.
Itamar Ben-Gvir gießt Öl ins Feuer, um so bald wie möglich Benjamin Netanjahu aus dem Amt zu drängen.
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Während man in Israel angespannt darauf wartet, ob endlich ein neuer Deal zur Freilassung von Geiseln aus der Gewalt der Hamas zustande kommt, hat die Regierung unter Benjamin Netanjahu andere Probleme. Kaum ein Tag vergeht, an dem der rechtsradikale Minister Itamar Ben-Gvir nicht mehr als deutlich macht, dass er gerne dazu bereit ist, Netanjahus Regierung zu sprengen.

Zugeständnisse an die Hamas? "Dann bin ich raus aus dieser Regierung", erklärte Ben-Gvir. Und wie immer, wenn er kläfft, bringt Netanjahu das Würstchen, das den Köter zur Ruhe bringt: Auch Israels Regierungschef erklärte nun, er werde der Hamas nicht entgegenkommen – selbst, wenn das auf Kosten der Geiseln und ihrer Angehörigen geht.

Während Netanjahus Likud-Partei die schwerste Krise ihrer Geschichte durchmacht und im Fall von Neuwahlen die Hälfte ihrer Parlamentssitze verlieren würde, hält sich die rechtsextreme Liste Jüdische Kraft unter Ben-Gvir stabil. Das Desaster des 7. Oktober konnte der Partei, die wegen ihres gewaltbereiten Rassismus schon mit dem Ku-Klux-Klan in den USA verglichen wurde, nichts anhaben. Niemand hat so viel Angst vor Neuwahlen wie Netanjahu – und niemand droht so lautstark damit wie Ben-Gvir.

Seit neuestem nutzt er dafür auch das internationale Parkett. Im Interview mit dem "Wall Street Journal" (WSJ) griff Ben-Gvir nicht nur US-Präsident Joe Biden an: Er brachte auch eine Botschaft an Netanjahu an – der stehe an einer Weggabelung, und er müsse sich "entscheiden, welche Richtung er einschlägt".

Ben-Gvir präsentierte sich als künftigen Ministerpräsidenten – und perfekten Partner für einen US-Präsidenten Donald Trump. "Anstatt uns vollen Rückhalt zu geben, ist Biden damit beschäftigt, Sprit und Hilfslieferungen nach Gaza zu bringen, die dann eh nur bei der Hamas landen. Wäre Trump an der Macht, würden sich die USA ganz anders verhalten."

Öl ins Feuer

Der 47-Jährige weiß, wie angespannt die Beziehungen zwischen Biden und Netanjahu sind, und er genießt nichts mehr, als noch Öl ins Feuer zu gießen. Schließlich hatte Biden Netanjahu nach geschlagener Wahl im Jahr 2022 eindringlich gebeten, Ben-Gvir nicht zum Sicherheitsminister zu machen. Netanjahu hingegen ließ Biden wissen, er solle ganz unbesorgt sein: Das letzte Wort in der Regierung, so Netanjahu, habe immer noch er selbst.

Ben-Gvir galt schon immer als unberechenbar und potenziell gefährlich. Schon früh in rechtsradikalen Kreisen aktiv, war er dem Sicherheitsapparat kein Unbekannter. Er galt als so radikal, dass ihn sogar die Armee vom Militärdienst befreite – man wollte ihm keine Waffe in die Hand geben. Nach Abschluss seines Jus-Studiums verteidigte er vor Gericht rechte Terroristen, die Häuser in Brand gesetzt und Palästinenser attackiert hatten.

Auch er selbst stand über 70-mal vor Gericht, meist wegen Verhetzung. Achtmal wurde er verurteilt – einmal sogar wegen Unterstützung einer Terrorgruppe. Netanjahu hatte noch 2021 erklärt, dass Ben-Gvir für kein Ministeramt geeignet sei. Ein Jahr später brauchte er ihn, um eine Koalition bilden zu können, und schuf sogar ein maßgeschneidertes Ressort: das Ministerium für Nationale Sicherheit. Zwei weitere Ministerien wurden für Ben-Gvirs Parteikollegen erfunden – und trotz eindringlicher Aufforderungen, angesichts des Gazakriegs Ministerien einzusparen, gibt es sie bis heute. Und während überall sonst gespart wird, bekamen die Minister der Jüdischen Kraft frisches Geld.

Das Patentrezept der Partei ist es, zu provozieren. Nach dem Ende des Gazakriegs schwebt den Rechtsradikalen im Gazastreifen eine Besatzung und Besiedlung durch Israel vor. Die dort lebende palästinensische Bevölkerung wolle man massenweise deportieren oder dazu bringen, "freiwillig zu migrieren", wie Ben-Gvir es nennt. Das sei "die wahrhaft humanitäre Lösung", erklärte er dem WSJ.

Mediale Präsenz

Mit Schock-Statements lenkt die Partei stets alle Scheinwerfer auf sich. Liberale Medien empören sich, rechte Medien feiern – alle bringen Schlagzeilen. Die Algorithmen der sozialen Medien pushen Ben-Gvirs Themen, weil sie aufrütteln. Keine Partei wird so oft in TV-Studios eingeladen. Das alles ist Parteiwerbung, für die andere Bewegungen viel Geld ausgeben müssten – "Jüdische Kraft" bekommt sie gratis.

Trotzdem ist Ben-Gvirs Bewegung eine Kleinpartei, wenn auch eine, die stetig wächst. Als sie 2019 fürs Parlament kandidierte, bekam sie nur 1,88 Prozent der Stimmen und scheiterte am Einzug ins Parlament. Bei den letzten Wahlen kam sie im Wahlbündnis mit den ebenfalls rechtsextremen Religiösen Zionisten unter Bezalel Smotrich jedoch auf zehn Prozent der Stimmen.

Aktuelle Umfragen sagen ihr voraus, dass sie künftig kein Bündnis mehr braucht: Ben-Gvir bringt es nun auch ohne Smotrich auf neun Prozent. Und das sei erst der Anfang, versicherte Ben-Gvir der WSJ: "Mit Gottes Hilfe – ich werde es weit bringen." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 5.2.2024)