Wir passieren das Tor der Heeresbekleidungsanstalt des österreichischen Bundesheeres in Brunn am Gebirge in Niederösterreich. Nach der Aufnahme der Personalien erreichen wir im rückwärtigen Teil der Anlage die Büros und Werkstätten der Abteilung für Produktentwicklung und technische Grundlagen, wo uns Herbert Engel, der Leiter für technische Grundlagen und Spezifikation, empfängt. Wir sind die ersten Archäologen, die seinen Rat und seine Expertise zu aktueller schusssicherer Kampfbekleidung suchen, zumal er selbst die Entwicklung der modernen modularen ballistischen Schutzwesten vorgenommen hat. Was führte uns hierher?

Römische Rüstungen als Spiegel der Waffentechnologie und Kampftaktik

Rom investierte große Summen in die militärische Rüstung und die Größe seiner Armee, im 2. Jahrhundert nach Christus geht man von bis zu 50 Prozent des Gesamtbudgets aus. Die Implementierung neuester Waffentechnologien in das Repertoire ihrer Kampftruppen war lange Zeit entscheidend für die Erfolge auf den Schlachtfeldern und die Erweiterung des Territoriums, die Schaffung neuer Provinzen. Eine Stärke der römischen Armee ist in der normierten guten Schutzausrüstung der einzelnen Soldaten zu suchen. Anders als im Mittelalter, wo Rüstungen der Oberschicht vorbehalten blieben, verwendete die römische Armee Körperpanzer für alle Soldaten im Kampfeinsatz. Dadurch reduzierte man Verletzungen sowie Todesfälle und konnte lange Zeit über ein großes stehendes Heer verfügen.

Im Rahmen einer neuen wissenschaftlichen Studie wurden erstmals die aus hunderten Metallschuppen bestehenden Panzer aus Carnuntum (anbei eine 3D-Visualisierung von Schuppen), Niederösterreich, sowie aus dem mittleren und oberen Donauraum untersucht. Der Großteil dieser Rüstungen war zur Zeit der Kriege gegen die Germanen (Markomannen und Quaden) zwischen 171 und 180 nach Christus im heutigen Niederösterreich im Einsatz. Diese Reste römischer Schuppenpanzer fand man vor allem in und um Carnuntum, aber auch in Stillfried und Baumgarten an der March, in Bernhardsthal, Ruhhof, Tulln, Zwentendorf, Pöchlarn, St. Pölten sowie Neunkirchen.

Römische Rüstungen
Römische Rüstungen: Das Kettenhemd (lorica hamata), der Schienenpanzer (lorica segmentata) und der Schuppenpanzer (lorica squamata).
H. Sedlmayer, ÖAW/ÖAI

Man unterscheidet bei römischen Soldaten drei Typen von Körperpanzern, das Kettenhemd (lorica hamata), den Schienenpanzer (lorica segmentata) und den Schuppenpanzer (lorica squamata). Diese drei Rüstungen bestanden aus unterschiedlichen Materialien und Komponenten, sie besaßen somit auch sehr divergierende Schutzfunktionen für den Soldaten. Dies äußerste sich auch im jeweiligen Gewicht des Panzers. Allgemein kennt man den eisernen Schienenpanzer aus den Darstellungen in den Asterix-Comics, dieser Panzer war im 1. und 2. Jahrhundert nach Christus die standardisierte Rüstung des römischen Legionärs. Er eignete sich, wie auch das Kettenhemd, hervorragend für die Fußsoldaten der Infanterie und schützte vor allem im Nahkampf gegen Schwerthiebe. Ein Nachteil war jedoch das große Gewicht von bis zu 15 Kilogramm. Seine weite Verbreitung in der römischen Armee ist auch der Tatsache geschuldet, dass der Kavallerie bis in das beginnende 3. Jahrhundert nach Christus nur wenig Bedeutung im Kampfgeschehen beigemessen wurde.

Die Kampftaktik der römischen Armee fußte auf der Infanterie, die im geschlossenen Verband mit Schienenpanzer, Schild und kurzem Schwert (gladius) den Nahkampf mit dem Gegner suchte. Die leichteren, aus vernieteten, eisernen Ringen gefertigten Kettenhemden, die bevorzugt von Reitern getragen wurden, boten hingegen deutlich weniger Schutz gegen ballistischen Beschuss im Pfeilhagel.

Der römische Schuppenpanzer

Während die Schienenpanzer und Kettenhemden bis dahin wissenschaftlich schon gut untersucht waren, wusste man über die Schuppenpanzer, ihre Funktion, Datierung und Bedeutung in der römischen Armee noch relativ wenig Bescheid. In einer neuen wissenschaftlichen Studie konnte nun gezeigt werden, dass im Raum Carnuntum, einer wichtigen Truppenbasis gegen die Germanen, einer der größten Bestände dieser Schutzwaffe aus römischer Zeit vorhanden ist. Warum verwendete man gerade zur Zeit der Markomannenkriege um 171 bis 180 nach Christus diese Schuppenpanzer? Woher kam diese Technologie und wer setzte sie ein?

Schuppenpanzerfragment
Ein Schuppenpanzerfragment aus Baumgarten an der March, Niederösterreich (letztes Drittel 2. Jahrhundert nach Christus). Mehrlagige Messingschuppen im Halsbereich eines Panzers. Man stülpte ihn über den Kopf und verschloss ihn mittels zweier verzierter Platten mit Schließknebeln. Eine Namenspunzierung personalisierte die Rüstung.
Fotos, Grafik: J. Schramm

Schuppenpanzer bestanden zumeist aus einer Vielzahl kleinformatiger Messingplättchen, die mit Draht verbunden waren. Die Schuppen selbst besaßen unterschiedliche Größen, Formen (Blatt, Lamelle, Lanzette) und Materialien (Leder, Knochen, Eisen, Buntmetall). Die römischen Soldaten übernahmen diese Art der Panzerung von östlichen Reitervölkern wie etwa den Parthern, mit denen sie unzählige Kämpfe im Nahen und Mittleren Osten hatten, sowie von den Sarmaten, Jazygen und Thrakern, die im östlichen Donauraum beheimatet waren. Letztere stellten nach ihrer Eingliederung in das römische Reich zahlreiche Reitereinheiten.

Unter Einfluss der Jazygen und Thraker entwickelte sich eine effiziente römische Reiterei und der Reflex- oder "Kompositbogen" revolutionierte wegen seiner hohen Durchschlagskraft der Pfeilspitzen ab der Mitte des 2. Jahrhunderts nach Christus auch die Schutzwaffentechnologie. Die verwundbaren Lanzenreiter, Bogenschützen und spezielle Fußtruppen, die für die Nachrichtenübermittlung im Kampfgeschehen von großer Bedeutung waren (zum Beispiel signiferi, mussten mit einer an die neuen ballistischen Herausforderungen adaptierten Schutzwaffe ausgerüstet werden. Hierfür bot sich der aus feinen mehrschichtigen Lamellen gefertigte Schuppenpanzer mit textilem Futter und Lederkomponenten an. Diese Rüstung war mit lediglich acht Kilogramm sehr leicht und beweglich, durch die Kombination von Leder und mehrlagig überlappend angeordneten Messingschuppen erreichte man eine hohe ballistische Schutzwirkung.

Schuppenpanzer, Röntgenbild
Schuppenpanzer mit Lamellen aus Carnuntum: Röntgenbild zur Visualisierung der Verdrahtung und das Original.
R. Bade und N. Gail, ÖAW/ÖAI

Zur Zeit der Markomannenkriege waren im Raum Carnuntum besonders viele Reitereinheiten und Bogenschützen stationiert, die das Kriegsgeschehen gegen die Germanen offensichtlich stark zugunsten Roms beeinflusst haben. In der ersten Phase dieses Krieges wurden die germanischen Invasoren zuerst aus den römischen Provinzen zurückgeschlagen. Danach intendierte man mit einer territorialen Strategie die Einrichtung einer neuen Provinz. Die schnellen, mobilen Reitereinheiten und gefährlichen Bogenschützen waren offensichtlich entscheidend für die Umsetzung dieses Konzeptes und auch gefürchtet bei den Germanen. Denn nach Ende des Krieges "bestatteten" die Germanen in ihrem Siedlungsgebiet zahlreiche erbeutete Schuppenpanzer in kultischen Deponierungen als Symbol für die Vertreibung der gefürchteten Spezialtruppen.

Berittener Bogenschütze mit Schuppenpanzer
Berittener Bogenschütze mit Schuppenpanzer, Helm mit geschupptem Nackenschutz, Reflexbogen und Ringknaufschwert setzt zum sogenannten Parthischen Schuss an: Er eilt dem Feind davon, dreht sich um und zielt auf ihn bei vollem Galopp.
H. Sedlmayer, ÖAW/ÖAI

Die ballistische Schutzweste des Bundesheeres

Wie schaut es nun mit den heutigen "Panzern" für die Soldaten aus? Sind diese ebenfalls aus unterschiedlichen Materialien für jeweils spezifische Verwendungszwecke beziehungsweise Truppenteile gefertigt? Wer bekommt überhaupt eine Schutzweste im österreichischen Bundesheer? Hier stand uns Herbert Engel bereitwillig für Auskünfte zur Verfügung, denn die modularen Schutzwesten wurden von ihm und seinen Mitarbeiter:innen in der Heeresbekleidungsanstalt in Brunn am Gebirge entwickelt. Und der Archäologe durfte auch eine Schutzweste samt Helm anlegen, um deren Gewicht und Beweglichkeit zu erproben.

Ähnlich wie bei römischen Soldaten verwendet man auch heute ein modulares System. Die Römer besaßen einen Brustschutz, dazu noch fakultativ Schulterklappen, Arm und Beinschienen. Die modernen Schutzwesten setzen sich ebenfalls aus unterschiedlichen kombinierbaren Elementen zusammen: schwer entflammbarer Oberstoff, Para-Aramid Gewebe bei Weichballistik und Borcabid und Aluminium bei Hartballistik. Je leichter das Material, desto teurer wird die Schutzweste. Eine weichballistische Schutzweste dient vor allem als Splitterschutzweste und muss dem Beschuss durch Pistolen, 9 Millimeter Luger, standhalten, eine hartballistische jenen mit Maschinengewehrmunition des Kalibers 7,62 Millimeter Stahl-Hartkerngeschoss. Dazu kommen noch zwei Klassen für Schlag-/Stichschutz von 40 beziehungsweise 80/100 Joule.

Aufbau und die Einzelelemente einer modularen ballistischen Schutzweste
Der Aufbau und die Einzelelemente einer modularen ballistischen Schutzweste des österreichischen Bundesheeres. Herbert Engel erklärt Stefan Groh die Funktionsweise. Daneben eine komplette Schutzausrüstung für den Ordnungseinsatz.
N. Gail, ÖAW/ÖAI; Symbolbild rechts: Sammlung HBA 2017, H. Engel

Die einzelnen Elemente der Schutzausrüstung können je nach Verwendung und Truppe kombiniert werden, Klettverschlüsse erleichtern das Montieren. Am schwersten ist die Schutzweste mit sämtlichen Anbauteilen für den Ordnungseinsatz, sie wiegt 17 Kilogramm, wohingegen die durchschnittliche Einsatzkleidung für die Soldat:innen zehn bis zwölf Kilogramm schwer ist. Ein ausgeklügeltes System mit einer "Reißleine" ermöglicht die Entfernung der Schutzausrüstung vom Körper bei Verletzten mit nur einem Ruck. In einem Selbstversuch legte der Autor Schutzweste und Helm an. Munition, Gewehr und sonstige Ausrüstung fehlten noch. Obschon durchaus sportlich konditioniert, wog diese Ausrüstung schwer auf dem Archäologen. Zu erahnen war, wie gut trainiert die im Einsatz stehenden Soldatinnen und Soldaten sein müssen.

Anprobe einer modularen ballistischen Schutzweste
Anprobe einer modularen ballistischen Schutzweste mit zusätzlichen Schutzteilen samt Helm durch Stefan Groh. Herbert Engel erläutert die verschiedenen Schutzwesten aus den Beständen des österreichischen Bundesheeres.
N. Gail, ÖAW/ÖAI

Im römischen Heer besaß fast jeder Soldat, der im Kampfeinsatz war, eine Schutzrüstung, für deren Ankauf und Erhalt er selbst mit seinem Sold bezahlen musste. Im österreichischen Bundesheer werden die Soldat:innen mit der Ausrüstung ausgestattet, gehen Teile der modularen Schutzausrüstung jedoch verloren, so müssen die Träger:innen dafür aufkommen. Das Bundesheer ist bei einer Mobilmachung auf eine Truppenstärke von 55 000 Personen ausgelegt, für die derzeit etwa 4000 Schutzwesten zur Verfügung stehen. Dies spiegelt auch die ein Prozent vom Bruttoinlandsprodukt wider, die unser Land für seine Verteidigung und somit auch für den Schutz der Einsatzkräfte ausgibt.

Im Prinzip hat sich seit der Antike bis heute nichts geändert, Schutzwaffen werden damals wie heute modular mit unterschiedlichen Materialien an die jeweiligen Bedürfnisse der Truppengattungen und den Fortschritt der militärischen Technologie angepasst. Life matters! (Stefan Groh, 6.6.2024)