Junge Frau liegt auf dem Sofa, sie hat eine Decke über Kopf udn Oberkörper gezogen
Autoimmunerkrankungen manifestieren sich besonders oft in der Zeit zwischen Pubertät und frühen 30ern. Das liegt unter anderem daran, dass die weiblichen Geschlechtshormone in dieser Zeit besonders aktiv sind.
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Unser Immunsystem, es ist ein wahres Wunder. Immerhin kreuchen und fleuchen um uns jede Menge Viren, Bakterien und sonstige möglichen Erreger herum, die uns allesamt krank machen könnten – wäre da nicht dieser körpereigene Schutzschild. Der bekämpft die diversen Eindringlinge und schaut auch, dass im Körper selbst alles richtig läuft. Zumindest meistens.

Denn manchmal klappt das nicht so ideal. Natürlich kann es immer passieren, dass ein völlig unbekanntes Pathogen auf das Immunsystem trifft, wie es etwa bei Covid-19 der Fall war. Es kann auch passieren, dass es immer wieder zu einer Veränderung der Krankheitserreger kommt und die Antikörper gegen ein eigentlich bereits bekanntes Pathogen erst angepasst werden müssen und deshalb trotz vorhandener Antikörper Symptome auftreten – wie es bei praktisch jeder Erkältung passiert.

Aber das Immunsystem kann auch körpereigene Strukturen erkennen und Antikörper dagegen produzieren. So entstehen Autoimmunerkrankungen. Multiple Sklerose etwa gehört dazu, Diabetes mellitus Typ 1 oder Hashimoto, wenn die Schilddrüse zerstört wird, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und auch myalgische Enzephalomyelitis / chronisches Fatigue-Syndrom – ME/CFS –, das es im Nachgang der Pandemie zu trauriger Bekanntheit gebracht hat, könnte bei einem Teil der Betroffenen autoimmune Ursachen haben.

Weibliches Gen-Back-up

Was bei Autoimmunerkrankungen auffallend ist: Die meisten von ihnen treten wesentlich öfter bei Frauen auf, Männer sind seltener betroffen. Woran liegt das? Es heißt doch immer, Frauen seien viel weniger krank als Männer? Ja und nein, sagt Eva Untersmayr-Elsenhuber. Das doppelte X-Chromosom ist nämlich Schutz und Gefahr gleichzeitig. Und dann spielen auch die weiblichen Geschlechtshormone eine ganz wichtige Rolle. Die Immunologin forscht an der Med-Uni Wien in genau diesem Bereich. Und hier ist tatsächlich noch vieles offen – aber ein paar Dinge weiß man schon.

Das Immunsystem ist ein hochkomplexes Netzwerk. Prinzipiell besteht es aus zwei Schenkeln, dem angeborenen und dem erworbenen Immunsystem. Und es gibt jeweils eine zelluläre und eine humorale Immunantwort, erklärt die Expertin. Zur zellulären Antwort werden unter anderem die T-Zellen und B-Zellen gerechnet. Wenn ein Antigen in den Körper eindringt, wird die Produktion von spezifischen Antikörpern durch die B-Zellen induziert. Die humorale Immunantwort findet in den Körperflüssigkeiten, also in Blut, der Lymphe und auch in den Sekreten entlang der Schleimhäute, statt. Dort schwimmen neben vielen Botenstoffen auch Antikörper herum.

So weit, so gleich bei allen. Doch es gibt geschlechtsspezifische Unterschiede. Die sind einerseits genetisch bedingt. Die Frau hat zwei X-Chromosomen, der Mann ein X- und ein Y-Chromosom. Ein Teil der Gene, die für das Immunsystem entscheidend sind, befindet sich auf dem X-Chromosom. Das führt dazu, dass gewisse Erkrankungen des Immunsystems nur bei Männern auftreten. "Durch das doppelte Vorhandensein der Gene haben Frauen sozusagen ein genetisches Back-up, das ausgleichen kann, wenn irgendwo ein Fehler codiert ist", sagt Untersmayr-Elsenhuber. Solche Unterschiede in der Abwehr haben sich etwa in der Pandemie gezeigt, in der Männer, statistisch gesehen, öfter einen schweren Verlauf hatten als Frauen.

Zyklische Komplikationen

Aber, und dieses Aber ist ein großes: Es gibt auch noch die Hormone. Und vor allem die Geschlechtshormone haben ganz unterschiedliche Wirkungen auf die Immunzellen, je nachdem ob es sich um männliche oder weibliche Geschlechtshormone handelt. Der Grund dafür ist zuerst einmal ein biologischer: Er sichert das Fortbestehen unserer Art. Denn wenn Frauen schwanger werden, muss der weibliche Körper einen halbfremden Fötus tolerieren. "Deshalb modulieren die Geschlechtshormone das Immunsystem weg von einer zellulären Antwort hin in Richtung einer humoralen, antikörperbasierten Antwort."

Das zeigt sich etwa darin, dass Frauen nach einer Impfung mehr Antikörper produzieren. Und genau diese Tatsache dürfte auch der Grund dafür sein, dass Frauen wesentlich öfter Autoimmunerkrankungen entwickeln – und zwar vor allem im hormonell aktiven Alter. Man weiß, dass es drei zeitliche "Fenster" gibt, in denen sich solche Krankheiten besonders oft manifestieren: In der Pubertät, in den späten 20ern und frühen 30ern, wenn die Hormone aufgrund potenzieller Schwangerschaft sehr aktiv sind, und im Zuge des Wechsels, also der Perimenopause.

Das dürfte auch mit dem sich ständig verändernden Spiegel der regulatorischen T-Zellen zusammenhängen, die vor allem rund um den Eisprung, wenn der Östrogenspiegel hoch ist, vermehrt vorhanden sind – also wenn sich, biologisch gesehen, ein Fötus einnisten sollte und der nicht abgestoßen werden darf. Weil sich aber die Immunantwort der Frau mit dem Zyklus verändert, reagiert das Immunsystem unterschiedlich, je nachdem wo frau sich im Zyklus gerade befindet, weiß Untersmayr-Elsenhuber.

Was das genau bedeutet, weiß man in der Praxis noch zu wenig. "Ich kenne keine belastbaren Studien, die eindeutig eine veränderte Immunantwort zeigen", sagt die Immunologin. "Aber es ist wirklich spannend, etwa im Zusammenhang mit Allergien. Da könnte es schon sein, dass die Beschwerden bei gleichbleibendem Pollenflug vor der Menstruation, wenn die Hormonspiegel abfallen, stärker werden."

I-Tüpfelchen an Komplexität

Spannend wird das nun bei eher unbekannten Krankheitsbildern, wie etwa dem chronischen Erschöpfungssyndrom ME/CFS. Hier kann sich bei manchen Betroffenen eine Mischung aus Immundefekten mit dem schwankenden Hormonzyklus treffen und so die Beschwerden vor der Menstruation verstärken – das könnte erklären, warum Frauen so viel öfter betroffen sind als Männer, sagt Untersmayr-Elsenhuber. Auf einen betroffenen Mann kommen etwa drei Frauen.

Derzeit gibt es aber noch wenig gesichertes Wissen zum Einfluss der Hormone auf das Immunsystem. Wo man dagegen schon ein bisschen mehr Einblick hat – und das ist einer von Untersmayr-Elsenhubers Forschungsschwerpunkten – ist der Einfluss des Darmmikrobioms, also der Gesamtheit an Mikroorganismen, Viren, Bakterien und mehr, die im Darm leben. "Das Mikrobiom setzt dem Immunsystem noch das I-Tüpfelchen an Komplexität auf", sagt die Immunologin.

Auch hier haben Geschlecht und Hormonfluktuation einen Einfluss. Aber es steckt noch mehr drin: "Wir wissen, dass das Mikrobiom eine entscheidende Rolle spielt in der Entwicklung von Autoimmunerkrankungen." Grund dafür ist unter anderem die Darmbarriere, der Schutz des Körpers vor der Außenwelt. Die Darmwand ist grundsätzlich durchlässig, damit die aus der Nahrung extrahierten Nährstoffe ins Blut gelangen können. Im gesunden Zustand lässt die Darmwand nur jene Stoffe durch, die auch tatsächlich in den Organismus gehören.

Geschlechtertrennung erwünscht

Ist diese Darmbarriere jedoch nicht intakt, können auch Moleküle aus dem Darm in den Körper übertreten, die dort nicht hingehören. Das passiert, wenn die Zusammensetzung des Mikrobioms nicht ideal ist, was die Schleimbarriere, die die Darminnenwand auskleidet, beeinträchtigen kann. Mittlerweile wurde in relevanten klinischen Studien gezeigt – für Diabetes Typ 1 etwa –, dass es durch die veränderte Schleimschicht zu einer Aktivierung von vorhandenen autoreaktiven T-Zellen kommen kann.

Die Zusammensetzung des Mikrobioms wird natürlich von vielen Faktoren beeinflusst, doch man kann auch selbst Einfluss darauf nehmen, und zwar über die Ernährung. Tatsächlich weiß man, dass die Ernährung, etwa bei Allergien oder Autoimmunerkrankungen wie Hashimoto, einen nicht unwesentlichen Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben kann – auch wenn die Studienlage dazu immer noch zu wünschen übriglässt.

All diese Komponenten des Immunsystem müssen nicht nur jede für sich intensiv untersucht werden. Untersmayr-Elsenhuber betont, wie wichtig es sei, dass man die geschlechtsspezifischen Unterschiede von Anfang an in die Forschung mit einbezieht – ein zusätzlicher Aspekt in dem ohnehin sehr jungen Forschungsgebiet der Gendermedizin. "Ein Anfang wäre etwa, dass bereits Untersuchungen an Zellproben nach Geschlecht getrennt ausgewertet werden." (Pia Kruckenhauser, 19.4.2024)