Karl Nehammer (ÖVP), Herbert Kickl (FPÖ) und Andreas Babler (SPÖ) wollen nach der Wahl die Regierung anführen.
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Im Team von Andreas Babler glaubt man schon zu wissen, was die anderen machen: Die Sozialdemokraten rechnen damit, dass die Angriffe der ÖVP auf sie in Zukunft noch zunehmen werden. Die Volkspartei, so wird es erwartet, werde einen harten "Anti-SPÖ-Wahlkampf" führen.

Noch zeichnet sich das bestenfalls in Ansätzen ab. Derzeit hat es Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer vor allem auf die FPÖ abgesehen. Er bezeichnet FPÖ-Chef Herbert Kickl immer wieder als "Sicherheitsrisiko", mit dem er nicht zusammenarbeiten möchte. In einem neuen Untersuchungsausschuss will die ÖVP "rot-blauen Machtmissbrauch" aufklären. ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger bezeichnete die FPÖ in diesem Zusammenhang als eine "in ihrem Wesen korrupte Partei". In den inhaltlichen Positionierungen, die sich Türkis und Blau teilen – etwa wenn es um Migration und Integration geht –, schärft Nehammer höchstens nach: etwa wenn er behauptet, Kickl habe als Innenminister weitaus mehr Ausländern Asyl gewährt als der türkise Innenminister Gerhard Karner.

Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer griff zuletzt immer wieder Herbert Kickl an.
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In Österreich haben Parteien zwei Möglichkeiten, um bei Wahlen zuzulegen: Entweder sie sprechen Wechselwählerinnen und Wechselwähler anderer Fraktionen an oder sie mobilisieren Nichtwähler. Wobei man sich bei Nationalratswahlen eher auf Wechselwähler konzentriere, sagt Politikwissenschafter Peter Filzmaier. Blickt man auf die vergangene Parlamentswahl, sieht man zwei große Wählerströme: Zum einen konnte die ÖVP von der damals abgestürzten FPÖ Stimmen abgreifen, zum anderen die Grünen Stimmen von der SPÖ. "Bei der letzten Nationalratswahl gab es vergleichsweise wenig Wählerströme zwischen FPÖ und SPÖ. Über die Jahre hinweg hat die FPÖ aber in Summe rund eine Million Menschen von der SPÖ zu sich geholt", sagt Filzmaier. Wobei man bei dieser Statistik bedenken muss: "Die Wechselwähler werden pro Wahl gezählt, es gibt aber auch Menschen, die mehrfach hin- und herwechseln und dadurch doppelt gezählt werden."

Für die SPÖ ist es eine Herausforderung, FPÖ-Stimmen zurückzugewinnen. Für das rote Wahlziel – Erster zu werden und den Kanzler zu stellen – wäre wohl aber auch das notwendig. "Jede Stimme, die von der FPÖ kommt, zählt in dem Fall sozusagen doppelt: im Minus für die FPÖ und als Plus für die SPÖ", sagt Filzmaier. Die Sozialdemokraten versuchen daher aus allen Rohren zu schießen. Der bevorzugte Gegner: Herbert Kickl. Erst kürzlich ritt die rote Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder gegen ihn aus. Die FPÖ sei der "verlängerte Arm der rechtsextremen Identitären", erklärte sie. Kickl hatte sich in der "ZiB 2" nicht explizit von Massenvertreibungsplänen der Rechtsextremen distanziert. Kickls Aussagen seien ein "Frontalangriff auf die Demokratie", sagte Breiteneder.

Später Strategiewechsel

Filzmaier hält die Konzentration der Angriffe von Türkis und Rot auf Blau für die richtige Strategie. Allerdings sei sie erst sehr spät begonnen worden. Denn die beiden Parteien hätten den Fehler gemacht, sich aufgrund ihrer gemeinsamen Historie, vor allem auf den jeweils anderen einzuschießen. "Strategisch hat das Sinn ergeben, als es eine starke SPÖ und ÖVP neben einer kleinen FPÖ gegeben hat. Mittlerweile ist die FPÖ so stark gewachsen, dass es nicht mehr funktioniert, dass sich die beiden als Hauptfeinde sehen." Doch wenn sich – zumindest laut aktuellen Umfragen – Zweit- und Drittplatzierter gegenseitig die Stimmen wegnehmen, erreicht man auch keine Mehrheit gegen den Ersten.

SPÖ-Chef Andreas Babler kommt in Umfragen nicht vom Fleck.
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Trotzdem ist auch die ÖVP Ziel roter Attacken. SPÖ-Chef Andreas Babler hat bereits mehrfach eine Koalition mit der ÖVP, so wie sie "jetzt ist", als Partner ausgeschlossen und bedient gerne die Erzählung der käuflichen Volkspartei. Die Ära des türkisen Ex-Kanzlers Sebastian Kurz bietet Babler dafür eine gute Angriffsfläche – nicht zuletzt durch den vergangenen und den gerade angelaufenen U-Ausschuss. Das Bild der "korrupten ÖVP" könne man im Wahlkampf "gut zeichnen", sagt Politikexperte Thomas Hofer. Hinzu komme für Babler die "logische Abgrenzung" von der Regierungspartei ÖVP. Nach aktuellem Stand rittern Nehammer und Babler um Platz zwei. SPÖ und ÖVP sind in Umfragen derzeit weit hinter der FPÖ abgeschlagen. Für beide geht es um viel. Dritter zu werden, könnte beiden Parteichefs den Job kosten.

Vizekanzler und Grünen-Chef Werner Kogler tritt erneut als Spitzenkandidat an. Seiner Partei wird in Umfragen ein Minus prognostiziert.
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Bei den Grünen wollen hingegen manche schon länger erkennen, dass die Volkspartei – ganz im Wahlkampfmodus – verstärkt auf ihren kleinen Koalitionspartner losgeht. Bevorzugt kritisieren ÖVP-Vertreter die grünen Ministerinnen Alma Zadić oder Leonore Gewessler. Man muss dazu sagen: Auch die Grünen schießen regelmäßig Spitzen gegen die ÖVP. Es ist noch nicht lange her, dass Grünen-Chef Werner Kogler Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) eine "präfaschistoide" Ausdrucksweise attestierte.

Kleine kämpfen nicht ums Kanzleramt

Dabei haben die Grünen andere Probleme: Zwar haben sie ein Wahlpublikum, das mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zur Wahl geht. Doch gleichzeitig eines, das tendenziell auch mit der SPÖ und den Neos liebäugelt. Nach ihrem Rauswurf aus dem Parlament konnten sich die Grünen 2019 fulminant zurückkämpfen – auf Kosten der SPÖ. Und die Roten könnten den Grünen auch 2024 weh tun. Den gerade in der Intensivphase des Wahlkampfs spitzt sich vieles auf die Frage zu: Wer wird Kanzler? Weder der grüne Werner Kogler noch die pinke Beate Meinl-Reisinger können ernsthafte Chancen auf diesen Job für sich beanspruchen. Und hier beginnen die strategischen Überlegungen. Denn Grün-Sympathisanten könnten schlussendlich die SPÖ wählen – mit der dem Hintergedanken, einen Kanzler Kickl zu verhindern oder zumindest Babler im Match um Platz zwei zu stärken. Und davor fürchtet man sich bei den Grünen auch diesmal: Im Rennen ums Kanzleramt zwischen Sebastian Kurz und Christian Kern schauten sie 2017 durch die Finger und verfehlten den Einzug ins Parlament.

Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger will mit den Pinken punkten.
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Neben der SPÖ sind es aber auch die Neos, die um Grün-Sympathisanten buhlen. Dass die Umweltpartei mit den Türkisen regiert, kann aus Sicht ihrer Wählerschaft auch ein Image-Schaden bedeuten. Neben dem Klimaschutz inszenierten sich die Grünen seit jeher als die Kontrollpartei im Parlament – heute koalieren sie mit einer durch Affären und Skandale gebeutelten ÖVP. Das Image der "Kontrollpartei" machen den Grünen inzwischen die Neos strittig, die sich ebenfalls dem Thema verschrieben haben. Neben Grün-Wählern sind eine zweite Zielgruppe der Pinken wirtschaftsliberale ÖVP-Sympathisanten. In den Strategieabteilungen fast aller Parteien herrscht Verwunderung darüber, dass die Neos in Umfragen von der strauchelnden ÖVP nicht stärker profitieren. Denn bei dem prognostizierten Minus der Türkisen sind sehr viele ÖVP-Stimmen auf dem Markt. Die Abtrünnigen dürften allerdings weniger dem bürgerlichen als dem nationalen Flügel der Volkspartei angehören, sagt Filzmaier.

Und ein weiterer Konkurrent steht offenbar bereits in den Startlöchern: die Bierpartei. Dominik Wlazny soll am Donnerstag bekanntgeben, dass er bei der Nationalratswahl antritt. Spekuliert wird seit der vergangenen Bundespräsidentschaftswahl über eine Kandidatur. Als Bundespräsidentschaftskandidat erreichte Wlazny überraschend Platz drei und bekam mehr als acht Prozent der Stimmen. Dass die Bierpartei besonders im linken Spektrum punkten könne, ist laut Hofer vor allem für SPÖ, Grüne und KPÖ schmerzhaft, wie er zuletzt im STANDARD erklärte.

Herbert Kickl (FPÖ) führt seit Monaten die Umfragen an und beschimpft in seinen Reden regelmäßig alle politischen Gegner.
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Wer kämpft nun also gegen wen? Der simpelste Grundsatz lautet: Alle gegen die FPÖ – und die FPÖ gegen alle anderen. Kickl teilt regelmäßig gegen jeglichen politischen Gegner aus – zuletzt vergangenen Samstag bei einem blauen "Neujahrsempfang" in der Steiermark. Ansonsten ist Kickl im politischen Diskurs oft überraschend ruhig. Er sieht es offenbar gar nicht mehr als notwendig an, ständig im Alltagsgeschäft mitzumischen. Ein Stratege einer anderen Partei formulierte es kürzlich so: Kickl sei wie ein Geist, immer da, aber selten sichtbar.

Die Koalitionsbildung nach der kommenden Wahl wird jedenfalls schwierig. (Oona Kroisleitner, Katharina Mittelstaedt, 18.1.2024)