Donnerstagabend wurde in Warschau gegen die Verhaftung des ehemaligen Innenministers und seines früheren Stellvertreters protestiert. Unter den Demonstranten war auch Jarosław Kaczyński, Chef der oppositionellen nationalkonservativen PiS.
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Dass der Machtwechsel in Polen sich für den neuen Premierminister Donald Tusk schwierig gestalten würde, war von Anfang an klar. Die Regierung des liberalen Tusk war Mitte Dezember nach langem Gezerre angelobt worden, doch zahlreiche Stolpersteine liegen auf ihrem Weg. Die abgewählte nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat für Donnerstag zur Großdemonstration gegen Tusk gerufen – und protestiert lautstark gegen die Verhaftung zweier verurteilter PiS-Politiker. Laut offiziellen Angaben folgten rund 35.000 Teilnehmende, die die Regierung unter anderem als Lakaien der EU und Berlins diffamierten. Die PiS selbst sprach von mehr als 100.000 Demonstrierenden.

Frage: Die Regierung von Donald Tusk ging aus demokratischen Wahlen hervor und ist erst seit knapp einem Monat im Amt. Was bringt die Anhänger der nunmehr oppositionellen PiS derart auf die Palme?

Antwort: Die PiS hat acht Jahre lang regiert und dabei weite Bereiche von Justiz und Medien unter ihre Kontrolle gebracht. Von Anfang an war das ein schweres Erbe für Tusk: Einerseits will er die Justiz entpolitisieren und die öffentlich-rechtlichen Medien reformieren, die zuletzt vor allem der PiS-Propagandamaschinerie gedient hatten. Andererseits muss er versuchen, dabei nicht selbst wegen allzu radikaler Schritte für Verunsicherung zu sorgen. Das ist eine heikle Gratwanderung. Was aus Sicht der Regierung der legitime Rückbau der einzementierten PiS-Macht ist, erscheint Anhängern der abgewählten Regierung als Willkür. Daher auch die lauten Proteste.

Frage: Nun aber wurden zwei PiS-Politiker verhaftet: der ehemalige Innenminister Mariusz Kamiński und sein früherer Stellvertreter Maciej Wąsik. Das ist in Europa kein alltäglicher Vorgang. Ist an den Vorwürfen nicht etwas dran?

Antwort: Mit den Reformen haben die Verhaftungen nichts zu tun. Es geht dabei um ein viele Jahre zurückliegendes Verfahren wegen Amtsmissbrauchs bei der damals von Kamiński geleiteten Antikorruptionsbehörde. Präsident Andrzej Duda, der ebenfalls aus den Reihen der PiS kommt, hatte die beiden 2015 begnadigt. Das Oberste Gericht hat die Begnadigung inzwischen aber für ungültig erklärt, weil seinerzeit das Berufungsverfahren lief und das Urteil noch gar nicht rechtskräftig war. Im Dezember 2023 wurden Kamiński und Wąsik zu zwei Jahren Haft verurteilt, nun sollten sie ihre Strafe antreten.

Frage: Trotzdem bezeichnet die PiS die beiden als "politische Gefangene", Kamiński ist am Mittwoch sogar in Hungerstreik getreten. Lässt sich das nachvollziehen?

Antwort: Natürlich hat der Fall eine politische Dimension. Das war aber von Anfang an so. Wäre Kamiński 2015 nicht von Duda begnadigt worden, hätte er gar nicht Minister werden können. Nun will Duda beide erneut begnadigen. Das passt zum Narrativ der PiS, die ja nun ihrerseits Demokratieabbau beklagt. Die Demonstration am Donnerstag sollte sich ursprünglich vor allem gegen die Umgestaltung der öffentlich-rechtlichen Medien richten. Klar, dass nun auch die Verhaftung zweier PiS-Politiker in den Fokus geriet.

Frage: Auch rund um die öffentlich-rechtlichen Medien gibt es Vorwürfe gegen die Regierung Tusk. Ende Dezember hat Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz sogar deren formale Auflösung angeordnet. Warum hat er das gemacht, und wie ist der Stand der Dinge?

Antwort: Die öffentlich-rechtlichen Medien sollen nicht wirklich liquidiert, sondern so umstrukturiert werden, dass sie wieder ihrem Auftrag nachkommen können. Die formale Auflösung schien der Regierung aber der einzige Weg aus der verfahrenen Lage dort zu sein. So haben sich etwa kurz vorher drei Männer unter Berufung auf drei verschiedene Kommissionen als rechtmäßige Intendanten des Fernsehsenders TVP bezeichnet. Vorerst wird unter einer provisorischen Struktur weitergesendet, doch die Zeit drängt. Ein neues Mediengesetz ist in Arbeit, die Finanzierung ist teils nur noch bis zum Frühjahr gesichert.

Frage: Was wurde aus der Justizreform, wegen der Polen während der PiS-Regierung immer wieder in Konflikt mit Brüssel geriet?

Antwort: Der Begriff ist sehr vereinfachend. Es handelt sich um viele unterschiedliche Schritte auf vielen Ebenen, mit denen die PiS die Justiz unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Entsprechend kompliziert ist auch hier ein Rückbau. Das gilt insbesondere für das Verfassungsgericht, dessen legitime Besetzung umstritten ist, das aber letztlich über seine eigene Legitimität entscheidet – und sich unter dem Einfluss der PiS sogar selbst attestiert hat, über dem gemeinsamen EU-Recht zu stehen. Und dann ist da noch Präsident Duda, der Reformen der neuen Regierung mit seinem Veto behindern kann. Seine Amtszeit endet erst 2025. Mindestens bis dahin dürfte das Fahrwasser für die Regierung Tusk ungemütlich bleiben. (Gerald Schubert, 11.1.2024)