Wieder einmal wird um eine Kampfpause im Gazakrieg gerungen. Aber so wie bei der ersten Waffenruhe Ende November bedeutet diese kein Ende des blutigen Krieges. Immer noch wehrt sich Israel gegen einen ständigen Waffenstillstand, solange die Hamas nicht vernichtet worden ist.

Steht immer stärker unter Druck: Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu.
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Angesichts der unzähligen Toten und katastrophalen Umstände für die Lebenden im Gazastreifen gerät Israel mit dieser Politik immer stärker unter Druck, selbst bei seinem engsten Verbündeten, den USA. Je länger der Krieg andauert, desto schwieriger wird es, die grauenhaften Kriegsfolgen für die Menschen im Gazastreifen mit dem Selbstverteidigungsrecht Israels nach dem Massaker vom 7. Oktober zu rechtfertigen.

Langfristige Friedenschance

Aber so manche Kritiker machen es sich zu einfach. Die hohe Opferzahl ergibt sich vor allem dadurch, dass die Terrormilizen der Hamas sich bewusst inmitten der zivilen Bevölkerung platziert haben. Wer sie bekämpfen will, kann nur eingeschränkt Rücksicht auf Zivilisten nehmen. Ein Waffenstillstand bedeutet, dass die Hamas einen Teil ihrer militärischen Infrastruktur behalten kann. Dass diese noch intakt ist, zeigen die fast täglichen Raketenangriffe auf israelische Städte. Selbst die moderate Forderung der USA, Israel müsse mehr für den Schutz von Zivilisten tun, lässt sich mit dem übergreifenden Ziel, die Hamas ein für alle Mal zu besiegen, schlecht vereinbaren.

Die beste Rechtfertigung für Israels Vorgehen läge in einer politischen Strategie, die eine langfristige Friedenschance eröffnet. Seit 30 Jahren bekämpft die Hamas mit Terror jede Friedensinitiative. Weil sie Israels Zerstörung anstrebt, will sie jene Zweistaatenlösung verhindern, zu der sich die PLO von Mahmud Abbas bekennt. Schon in den 1990er-Jahren hat nichts so viel zum Scheitern des Osloer Friedensprozesses beigetragen wie die Selbstmordattentate der Jihadisten. Verliert die Hamas ihre militärische Macht, wäre ihre politische Kraft geschwächt und ein großes Hindernis für eine Nahostlösung beseitigt.

Unendliche Gewaltspirale

Doch statt dieses Argument mit Überzeugung vorzubringen und mit entsprechenden Zusagen zu untermauern, tut Israels Premier Benjamin Netanjahu das Gegenteil. Als er vor kurzem erklärte, wie stolz er sei, die Gründung eines Palästinenserstaats verhindert zu haben, sprach er vielen Israelis aus der Seele, die seit dem 7. Oktober keinem Araber mehr trauen. Aber er signalisiert damit den Palästinenserinnen und Palästinensern, dass sie von Verhandlungen mit Israel kein Ende der Besatzung erwarten können – und daher nur die Zerstörung des jüdischen Staates, für die die Hamas steht, ihr Elend beenden kann.

Ohne eine — zumindest theoretische – Friedensperspektive lässt sich die israelische Kriegsführung nicht verteidigen. Dann wäre das Blutvergießen in Gaza – so wie zuvor das Massaker vom 7. Oktober – nur eine weitere Runde in einer unendlichen Gewaltspirale, in der die Hamas langfristig die besseren Karten hat. Israel könnte dann auch bei Kontrolle und Wiederaufbau im Gazastreifen auf keine Unterstützung der PLO oder arabischer Staaten zählen.

Viele Israelis hoffen auf einen Regierungswechsel, wenn die Kämpfe einmal enden. Doch Netanjahu ist ein Meister im politischen Überleben. Mit seiner von rechtsextremen Kräften dominierten Regierung verliert Israel diesen Krieg nicht nur moralisch, sondern auch strategisch. (Eric Frey, 20.12.2023)