Chelsea-Fans protestierten nahe der Stamford Bridge zu London gegen die Pläne für eine Super League.
Als zwölf Klubs 2021 die Super League gründen wollten, reagierten Fans mit Protesten und die Uefa mit harten Drohungen.
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Am Donnerstagvormittag fällt der Europäische Gerichtshof ein wegweisendes Urteil: Die 15 Richter der Großen Kammer entscheiden, ob Uefa und Fifa Teilnehmer einer Super League von ihren jeweiligen Bewerben ausschließen dürfen. Zwei Szenarien illustrieren, warum das Urteil weitreichende Folgen haben könnte.

Szenario 1: Uefa und Fifa bekommen recht

Uefa und Fifa sind in der Rechtssache C-333/21 optimistisch. Die "European Super League Company" und die Sportmarketingagentur A22 haben den europäischen und den internationalen Fußballverband vor einem Madrider Gericht geklagt, der hat die Causa an den Europäischen Gerichtshof weitergegeben, nun fällt das Urteil.

Kurzer Rückblick: Im April 2021 veröffentlichten zwölf Topklubs aus England, Spanien und Italien ihre Pläne zur Gründung einer europäischen Super League mit 15 fixen Mitgliedern und fünf Plätzen für Gästeteams. Die Drohung der Uefa, die Super-League-Teams und deren Spieler von sämtlichen Uefa-Bewerben auszuschließen, war neben starken Fanprotesten wohl einer der entscheidenden Faktoren für den Rückzug der meisten involvierten Teams.

Das soll nicht mit Europas Wettbewerbsrecht vereinbar sein, argumentierten die Super-League-Verfechter, von denen zweieinhalb Jahre später nur Real Madrid und der FC Barcelona geblieben sind. Der im Dezember 2022 veröffentlichte Schlussantrag von Generalanwalt Athanasios Rantos argumentierte, dass die Uefa sich dieses Recht sehr wohl nehmen dürfe. In 80 Prozent der Fälle folgen die 15 Richter der Großen Kammer dem Schlussantrag – deshalb der Optimismus der alteingesessenen Verbände.

Gibt der EuGH Uefa und Fifa wie erwartet recht, dürfte die "Superleagueifizierung" des Spitzenfußballs ihr Vorrecht bleiben: mehr Spiele der beliebtesten Teams, mehr Geld. Die Champions League entwickelt sich mit der 2024 einsetzenden Reform einen Schritt in Richtung geschlossene Gesellschaft, die Fifa leistet ihren Beitrag zur endgültigen Verstopfung des Fußballkalenders mit der 2025 erstmals stattfindenden Klub-WM. Dann spielen 32 Teams von Mitte Juni bis Mitte Juli in den USA um den Titel, mit höchster Wahrscheinlichkeit ist Red Bull Salzburg einer der zwölf europäischen Vertreter.

Immerhin: Theoretisch sind Uefa und Fifa die Summe der Nationalverbände, die wiederum theoretisch dem Breitensport entspringen. Praktisch herrscht auf allen Seiten ein Gezerre um Geld und Macht – und in diesem könnte die Super League trotz des Urteils ein Druckmittel bleiben. Spuckt sie genug Geld aus, könnte man ja auf alle anderen Bewerbe pfeifen.

Szenario 2: Die Kläger bekommen recht

"Das Urteil hat das Potenzial, Bosman hoch zehn zu sein", sagte Jean-Louis Dupont kürzlich der "Zeit", und er muss es wissen. Der belgische Anwalt vertrat seinen Landsmann Marc Bosman bei dem Prozess 1995, der Spielern ablösefreie Wechsel ermöglichte und die Kräfteverhältnisse im Fußball damit für immer veränderte.

Nimmt der EuGH der Uefa ihr wichtigstes Druckmittel, gäbe das den Super-League-Antreibern neuen Aufwind. Zumindest PR-technisch haben diese offenbar dazugelernt. Bernd Reichert, Geschäftsführer der klagenden Agentur A22, spricht jetzt von mehreren Spielklassen mit 60 bis 80 Klubs mit Auf- und Abstieg, jedem Teilnehmer wären so 14 Spiele garantiert. Qualifizieren soll man sich für diese "Super League Light" nun auch über nationale Ligen können.

Ab 2024 kicken in den drei Uefa-Bewerben je 36 Teams, in dem neuen Super-League-Konzept gäbe es also deutlich weniger Profiteure – aber eben doch mehr als die ursprünglich angedachten 20. Für ein derart umfangreiches System müssten sich freilich dementsprechend viele Teams finden, doch Geld und der Verzicht auf lästige Qualifikationsprozedere stinken nicht. Europas Fußballfans würden sich gewiss wieder aufregen, doch sie waren nie die Kernzielgruppe des Projekts. Und auch viele aufrechte Fanprotestler wären womöglich nicht ganz immun gegen einen gewissen Gewöhnungseffekt – es ist also nicht auszuschließen, dass eine Super League Fuß fassen könnte.

Der Kern der Sache ist ident mit jener damals im April 2021: noch mehr Fußball, noch mehr Flüge, noch mehr lukrative Rechtepakete für Sportstreaming-Anbieter. Was mit diesem Geld passiert und wer es verteilen darf, ist neben dem Kippen von jahrzehntelang gewachsenen Strukturen die zentrale Frage des Streits um einen möglichen Konkurrenzbewerb.

Entwürfe der Super League sicherten dem Rest Fußballeuropas stets hunderte Millionen Euro an Solidaritätszahlungen zu, doch das wären nur temporäre Beschlüsse von Milliardärsgnaden. Die Gier ist ein unvermeidlicher Hund. Sobald sich die Super League als Premiumprodukt etabliert und nichts mehr zu befürchten hat, könnten Zuwendungen an den Unterbau, an Nachwuchsfußball und Breitensport ein schnelles Ende haben. (Martin Schauhuber, 20.12.2023)