Seoul/Pjöngjang – Immer neue Raketentests, ein Spionagesatellit im All, die Kündigung eines gemeinsamen Demilitarisierungsabkommens, und nun auch gegenseitige Drohungen mit Atomkrieg: Zwischen Nordkorea auf der einen und Südkorea und den USA auf der anderen Seite gehen einmal mehr die Wogen hoch. Lange vorbei sind die Zeiten, als der damalige US-Präsident Donald Trump von "perfekten Briefen" seines nordkoreanischen Gegenparts Kim Jong-un schwärmte und man in der demilitarisierten Zone gemeinsam vom einen in das andere Land sprang. Mittlerweile zeigt sich aber auch: Die damalige Annäherung war vor allem aus nordkoreanischer Sicht mehr Schein als Sein. Pjöngjang hat die Zeit ohne ständige verbale Schlagabtäusche für Aufrüstung genützt, baut fleißig zusätzliche Atombomben und testet nun häufiger als je zuvor neue Raketen – so auch in der Nacht von Sonntag auf Montag. Wenn sich die Krise nun verschärft, steht das Land zudem mit neuen Verbündeten da. Ein Überblick:

Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un bei einem früheren Propaganda-Auftritt mit der Hwasong-18 (hinten) und Militärs.
AP

Frage: Was für eine Rakete hat Nordkorea jetzt schon wieder getestet? Und warum verursacht der Test neue Sorgen?

Antwort: Nordkorea hat eine seiner bisher modernsten Raketen getestet: die Hwasong-18. Sie ist zwar einerseits "nur" eine Weiterentwicklung in einer langen Liste an Hwasong-Raketen (Feuerstern-Raketen), in vielerlei Hinsicht aber doch jene, die für den Westen bisher am bedrohlichsten scheint. Erstmals nämlich ist es Nordkorea mit der Entwicklung gelungen, einen Feststoffantrieb mit der schon bisher erreichten, hohen Reichweite seines Langstreckenarsenals zu kombinieren. Die Hwasong-18 flog am Sonntagabend zwar nur rund tausend Kilometer weit und landete noch vor dem Beginn der japanischen Wirtschaftszone wieder im Meer. Allerdings erreichte die Rakete dabei eine Höhe von etwa 6000 Kilometern (siehe Tweet unten). Man kann sich also ausrechnen, dass die tatsächliche Reichweite, würde die Hwasong-18 in einem anderen Winkel abgeschossen, deutlich größer ist. Fachleute gehen hier von bis zu 15.000 Kilometern aus. Das wäre genug, um nicht nur die US-Verbündeten Südkorea und Japan oder die US-Basis in Guam zu treffen, sondern auch alle Teile des amerikanischen Festlandes. Unsicher sind sich Fachleute, ob Nordkorea auch bereits die Fähigkeit hat, die Rakete mit ausreichend kleinen Atomwaffen zu bestücken, um solche Distanzen für einen Atomschlag überwinden zu können.

Frage: Was hat es mit dem Feststoffantrieb auf sich?

Antwort: Es gibt im Grunde zwei mögliche Antriebe für Raketen: flüssigen Treibstoff oder eben Feststoff. Bei letzterem wird, wie der Name sagt, am Ende der Rakete eine kontrollierte chemische Reaktion fester Stoffe ausgelöst, bei der hohe Temperaturen und ein entsprechend gelenkter Rückstoß entstehen. Die grundlegende Technologie an sich ist Jahrhunderte alt (und wird etwa auch in Silvesterraketen genutzt). Ihre Entwicklung für große, präzise arbeitende Langstreckenraketen ist aber schwieriger zu meistern als jene von flüssigen Treibstoffen. Der Grund, wieso Feststoffantriebe auch für Nordkorea erstrebenswert sind: Sie können wesentlich leichter und länger gelagert werden, ihr Einsatz im Ernstfall kann besser versteckt werden und braucht deutlich weniger Vorbereitung. Nordkorea könnte also mit viel höherer Wahrscheinlichkeit einen Überraschungseffekt für sich nutzen – oder die Raketen etwa für einen nuklearen Gegenschlag einsetzen, noch während man eine Atomrakete im Anflug wähnt.

Frage: War das nun der erste Test?

Antwort: Nein, Nordkorea hat die Hwasong-18 bereits zweimal erfolgreich getestet, im April und im Juli des laufenden Jahres. Der aktuelle Test fällt aber in eine Phase, in der die Spannungen ohnehin bereits gestiegen sind.

Frage: Wie ist die aktuelle Lage zwischen Nord- und Südkorea?

Antwort: Bereits seit Jahren fahren die USA und Südkorea ihre gemeinsamen Militärübungen wieder hoch, die der Norden mit ständiger Sorge sieht, weil er sie als Vorbereitung auf eine mögliche Invasion interpretiert. Auslöser für die aktuellen Raketentests – Pjöngjang schoss wenige Stunden vor der Hwasong-18 auch Mittelstreckenraketen ab – dürfte der Besuch eines Atom-U-Bootes in Südkoreas südlicher Hafenstadt Busan gewesen sein. Am Freitag hatte in den USA zudem das zweite Treffen der Nuclear Consultative Group (NCG) stattgefunden. Dabei geht es um ein Forum, in dem Washington und Seoul den gegenseitigen Informationsaustausch über das Nukleararsenal der USA in Bezug auf Nordkorea ausbauen. Dass es das Forum gibt, ist unter anderem auch dem Drängen der konservativen südkoreanischen Regierung geschuldet. Sie hatte immer wieder anklingen lassen, sich auch den Bau eigener Atomwaffen vorstellen zu können, sollte der Schutz durch die USA aus Sicht Seouls ungenügend ausfallen.

Frage: Konkrete Kriegsvorbereitungen gibt es aber nicht – oder?

Antwort: Grundsätzlich stehen die Zeichen in der sogenannten demilitarisierten Zone zwischen den beiden Staaten – die in Wahrheit alles andere als das ist – stets auf Bereitschaft. Allerdings hatte es in den vergangenen Jahren ein Abkommen zwischen den beiden Staaten gegeben, das bestimmte Waffen und Flugeinsätze in der Gegend untersagte, was dabei helfen sollte, eine Konfrontation zu vermeiden. Dieses Abkommen hat Nordkorea allerdings vor wenigen Wochen aufgekündigt – in Reaktion auf Südkoreas Vorhaben, bestimmte Teile des Deals, die Flugverbote betroffen hätten, zu streichen. Gegenseitige Drohungen, man erlebe eine "Vorschau auf einen Atomkrieg" (sagt Nordkorea) oder "Das Regime würde einen Atomkrieg nicht überleben" (sagten die USA und Südkorea bei ihrem Treffen) lassen seither die Sorgen wachsen. Grundsätzlich aber sind sich die meisten Fachleute einig: So schnell es in der Region mit der Eskalation gehen kann, aktuell ist eine unmittelbare Konfrontation eher nicht zu erwarten.

Frage: Und international?

Antwort: Während Nordkorea unablässig aufrüstet, haben auch Südkorea und Washington ihre Allianz weiter vertieft. Das liegt unter anderem am Personal. US-Präsident Joe Biden teilt nicht die Affinität seines Vorgängers zum Regime in Pjöngjang – und der konservative südkoreanische Präsident Yoon Suk-yeol nicht die aufopfernde Bereitschaft des früheren südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in, einen Ausgleich mit dem Norden zu suchen. Es liegt aber auch am geänderten geopolitischen Umfeld: Erst im Sommer haben Japan, Südkorea und die USA einen historischen Gipfel abgehalten, der die drei stärker als bisher als Verbündete gegen China und Russland in der Region positioniert. Zugleich haben China und Nordkorea sich wieder angenähert, was sich am Montag auch in einem Treffen hoher nordkoreanischer Vertreter mit dem chinesischen Außenminister Wang Yi niederschlug. Dort wurde die "traditionelle Freundschaft" der beiden Länder beschworen. Und auch Russland würde Nordkoreas Verhalten diesmal wohl weniger entgegensetzen als bei den letzten größeren Krisen: Immerhin hat Moskau zuletzt große Mengen dringend benötigter Artilleriemunition in Pjöngjang gekauft und als Dank die Zusammenarbeit ausgebaut. (Manuel Escher, 18.12.2023)