Als vor kurzem die Ergebnisse des Pisa-Tests veröffentlicht wurden, war wieder einmal die Aufregung groß. Wir sind unter vergleichbaren (OECD-)Ländern nur Mittelmaß. Der zuständige Minister Martin Polaschek zeigte sich hingegen "großteils zufrieden". Und darauf angesprochen, welche Reformen er sich für die Schule im 21. Jahrhundert vorstelle, meinte er gar, dafür sei er nicht zuständig. Der Ball liege bei den Bildungsforscher:innen. Diese Reaktion des Ministers löste eine Welle von Kritik aus. Verständlich.

Mädchen schreibt auf Tafel
Die Bildungsungerechtigkeit ist in Österreich besonders hoch. Um dem entgegenzuwirken, braucht es vor allem sinnvolle Maßnahmen.
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Nun ist der Pisa-Test durchaus nicht unumstritten. Kritiker:innen wie der Bildungsforscher Stefan Hopmann stellen die Sinnhaftigkeit der Standardisierung prinzipiell infrage. Die gleichen Vorgaben für alle würden dazu führen, dass die Ungleichheit zwischen Schüler:innen verstärkt werde. Solche Kritiker:innen muss man natürlich ernst nehmen, doch liegt es nicht in erster Linie an standardisierten Testungen wie Pisa oder den inzwischen abgeschafften Bildungsstandarderhebungen, dass in Österreich die Bildungsungerechtigkeit so hoch ist wie in kaum einem anderen vergleichbaren Land. Diese unerfreuliche Tatsache ist uns seit 25 Jahren bekannt, und zwar seit es internationale Bildungsvergleichsstudien gibt, neben Pisa etwa "Education at a Glance" der OECD oder TIMMS für Mathematik, um nur zwei weitere zu nennen.

Bildungshintergrund entscheidender Faktor

Dennoch sehen wir kaum Fortschritte, sondern die Schere geht in vielen Bereichen immer weiter auseinander. Wir wissen auch, dass der Bildungshintergrund der Eltern eine entscheidende Rolle spielt. Der Migrationshintergrund allein ist nicht ausschlaggebend, auch wenn das immer wieder betont wird. Es ist die Kombination von Migrationshintergrund, nichtdeutscher Erstsprache und einem ökonomisch schwachen, bildungsfernen Elternhaus, die Kinder und Jugendliche extrem benachteiligt. Wer das Pech hat, in eine solche Familie hineingeboren zu werden, ist vom Start weg benachteiligt.

Bereits zu Beginn des verpflichtenden Kindergartenjahres sind die Rückstände von Kindern aus solchen Familien beträchtlich. Am Ende der Volksschule beträgt der Rückstand bereits bis zu drei Jahre. Leider ist unser Schulsystem nicht dafür ausgestattet, herkunftsbedingte Defizite von Anfang an zu beheben. In der Elementarpädagogik mangelt es an vielem, besonders gravierend sind die viel zu großen Gruppen. Die Art des Unterrichts, die fehlenden Möglichkeiten zur individuellen Förderung, mangelndes nichtpädagogisches Personal (Förderlehrer:innen, Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen, Zweitsprachenlehrer:innen etc.), das sind nur einige der Faktoren, die dazu führen, dass das Ausmaß der Bildungsungerechtigkeit hierzulande so hoch bleibt. Auch die besten Lehrer:innen gelangen aufgrund dieser schlechten Voraussetzungen bald an ihre Grenzen.

Fehlende Reaktionen der Politik

Und die Politik? Wann hat sich in den letzten Jahren eine Regierung die Beseitigung dieser eklatanten Diskriminierung als vorrangiges Ziel gesetzt? Warum gibt es nicht schon längst eine gerechte Mittelzuteilung an Schulen? Also: Warum erhalten Schulen mit besonders vielen zusätzlichen Herausforderungen nicht mehr Ressourcen, die sie autonom verwalten? Kann es sein, dass das nicht geschieht, weil man damit keine Wählerstimmen gewinnt? Der Verdacht liegt nahe. Und wie reagieren politisch Verantwortliche auf die aktuellen Ergebnisse? "Wir müssen die Eltern in die Pflicht nehmen!", heißt es da. Sogar von Geldstrafen ist die Rede, wenn Eltern ihrer Pflicht nicht nachkommen sollten. Dass mit solchen Maßnahmen genau gar nichts bewirkt wird, wissen vermutlich die dafür Zuständigen. Falls nicht, umso schlimmer.

Selbstverständlich ist es sehr wichtig, dass Schule und Elternhaus in engem Kontakt sind, und selbstverständlich sollen Eltern in die Schule kommen, wenn sie dazu gebeten werden. Aber was ist mit den Kindern, deren Eltern nicht dazu in der Lage sind, sich um die Kinder zu kümmern? Oder Alleinerziehende, die immer dann arbeiten, wenn die Schule offen hat? Oder Eltern, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind? Haben diese Kinder halt einfach nur Pech gehabt?

Unser Schulsystem setzt die Mitarbeit der Eltern voraus, sie ist sogar im Schulunterrichtsgesetz vorgeschrieben. Das ist ein großes strukturelles Problem. Eltern, die es sich leisten können, zahlen Nachhilfelehrer:innen. Oft sind es auch die Mütter, die als Nachhilfelehrerinnen der Nation fungieren. Wo das nicht geleistet werden kann, fallen die Kinder immer mehr zurück.

Produktive Maßnahmen

Dabei wissen wir, was zu tun wäre. Das beginnt mit den Kleinsten in einer anders gestalteten Elementarpädagogik und setzt individualisierten Unterricht von Beginn des Schulbesuchs voraus. Die Einführung eines sogenannten Chancenindex, also einer gezielten Mittelzuteilung an Schulen, wäre dringend notwendig. Ganz wichtig wäre auch eine gezielte Förderung in Deutsch als Zweitsprache, die in den jetzt verpflichtenden Deutschförderklassen nicht stattfinden kann. Im Gegenteil, sie sind kontraproduktiv. Die Deutschförderung müsste dringend in die Autonomie der Schulen ausgelagert werden.

Und: Wir brauchen einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Eltern. Die Devise sollte sein, sie ins Boot zu holen. Die Verantwortung für den Unterricht hingegen sollte keinesfalls mehr zu den Eltern ausgelagert werden. Dafür ist alleine die Schule verantwortlich. Die Eltern in die Pflicht zu nehmen, notfalls sogar mit Geldstrafen, das bringt uns jedenfalls nicht einen einzigen Schritt weiter. (Heidi Schrodt, 18.12.2023)