Midjourney, ChatGPT: Darstellung einer KI als Forscherin oder Wissenschafterin
So stellt sich die künstliche Intelligenz Midjourney eine KI als Wissenschafterin vor.
Midjourney

Hausaufgaben machen, formelle E-Mails entwerfen, Programmiercode schreiben: ChatGPT verändert für viele Menschen den Alltag enorm. So sehr, dass Lehrpersonal oft eine neue Herangehensweise an Übungen wählt, um die Kompetenzen vom Schüler bis zur Studentin noch sinnvoll abzufragen. An Hochschulen wird aber nicht nur die Lehre, sondern auch die Forschungsarbeit von künstlicher Intelligenz beeinflusst. Sie hilft etwa beim Zusammenfassen und Brainstormen und entwickelt sogar selbst Forschungshypothesen.

Diesem Trend trägt das Fachmagazin "Nature" nun im Rückblick auf die bedeutsamsten Figuren im Wissenschaftsjahr 2023 Rechnung. Erstmals ist ein nichtmenschliches Wesen dabei: ChatGPT verdrängt keine Forscherin und keinen Forscher aus der Top-10-Liste, sondern wird zusätzlich geehrt.

Menschliche Ausgezeichnete

Genau genommen soll es sich weder um eine Auszeichnung noch um die Top 10 handeln, heißt es in einer Aussendung. Nichtsdestoweniger werden herausragende Personen – und eben eine KI – ins Scheinwerferlicht gestellt, die in diesem Jahr wichtige Rollen für die Forschung eingenommen haben. Sie repräsentieren bedeutende Entwicklungen der Wissenschaftswelt. Zu den hervorgehobenen Menschen gehören die Ingenieurin Kalpana Kalahasti, die mit Chandrayaan-3 zur glorreichen ersten Landung einer indischen Raumfähre auf dem Mond beitrug, und der Arzt Halidou Tinto, der in Burkina Faso an der Entwicklung einer Malariaimpfung mitwirkt. Wie meistens stehen hinter den Leistungen nicht nur die Einzelpersonen, sondern ihre Forschungsteams.

Auch die erste Kernfusion, bei der mehr Energie frei wurde, als man hineinsteckte, wird mit der Physikerin Annie Kritcher gewürdigt. Dass der 2023 gefeierte Durchbruch der Supraleitertechnologie nur ein scheinbarer Erfolg war, deckte Kollege James Hamlin auf. Erstmals Mäusewelpen aus den Zellen zweier männlicher Mäuse zu erzeugen, gelang dem Team des Entwicklungsbiologen Katsuhiko Hayashi von der japanischen Universität Osaka. Auf der Liste finden sich zudem der Londoner Krebsforscher Thomas Powles, dessen Team Fortschritte bei der Behandlung bestimmter Krebsarten erreichte, sowie die Biochemikerin Svetlana Mojsov, die eine entscheidende Rolle bei der Entdeckung des Hormons GLP-1 spielte, das neuen Medikamenten gegen Fettleibigkeit zugrunde liegt.

Mit der brasilianischen Umweltministerin Marina Silva, die der Entwaldung des Amazonasgebiets entgegenwirkte, und der Hitzebeauftragten der Vereinten Nationen Eleni Myrivili wurden zudem zwei Frauen geehrt, die nicht in der Forschung tätig sind. Schließlich hob "Nature" mit Ilya Sutskever von OpenAI die wissenschaftliche Leitung hinter ChatGPT in die Magazinliste der zehn außergewöhnlichen Menschen.

Wertvoller Input

Die Beitragsautoren Richard Van Noorden und Richard Webb halten fest, dass die Revolution generativer KI begonnen hat, "und es gibt kein Zurück". ChatGPT habe wissenschaftliche Arbeiten mitverfasst – manchmal, ohne ausdrücklich genannt zu werden.

Klar ist, dass künstliche Intelligenz längst nicht nur die KI-Forschung prägt. Ein wichtiges Feld ist die Entwicklung von Wirkstoffen. Fachleute versprechen sich viel von künstlichem Proteindesign. Soziologen fütterten vor kurzem ein eigenes KI-Modell mit Forschungsdaten bis 2001 und stellten fest: 30 Prozent der "vorhergesagten" Anwendungsbereiche von Stoffen wurden tatsächlich in den folgenden sechs bis zehn Jahren entdeckt. Insbesondere eignen sich die Modelle dafür, Forschungslücken in der Literatur zu identifizieren, sagt die Informatikerin Marinka Zitnik von der Harvard Medical School in Boston (USA).

Problematische Kollegin

Gleichzeitig sind Modelle wie ChatGPT stark eingeschränkt. Seine Gratisversion und die mächtigere Bezahlvariante sind so alltagstauglich, dass sie eine neue Revolution hervorgerufen haben. Doch ihre Aufgabe ist eben, basierend auf Trainingsdaten plausible Dialoge mit Nutzerinnen und Nutzern zu führen. Dabei kann die KI die gleichen Verzerrungen abbilden wie die Texte, auf denen sie basiert. "Sie erfand auch Literaturhinweise und Fakten und plapperte Hassrede nach", schreiben die Autoren. Werden Antworten nicht gegengecheckt und die Technologie für Plagiate genutzt, kann dies die Wissenschaft und ihren Ruf stark beeinträchtigen.

KI-Modelle wie ChatGPT zeichnen sich aber auch dadurch aus, die Fantasie der Menschen anzuregen: "ChatGPT war abwechselnd gehorsam, bezaubernd, unterhaltsam und sogar furchterregend", heben Van Noorden und Webb hervor. Für manche war die KI wohl auch ein angenehmerer Gesprächspartner für die Mittagspause als der Forscher im Nachbarlabor. (Julia Sica, APA, 13.12.2023)