Es ist ein magischer Moment. Barbara Lüneburg steht konzentriert auf der Bühne. Plötzlich hebt sie ihren linken Arm, greift ihre unsichtbare Violine, während sie mit der rechten Hand und imaginärem Bogen die Saiten attackiert. Über Lautsprecher ist verfremdete Violinmusik zu hören. Die kurze, aber intensive Darbietung ist einer der Höhepunkte, mit denen die Anton-Bruckner-Privatuniversität vergangene Woche ihre Forschungsaktivitäten der Öffentlichkeit präsentierte.

Lüneburgs Spiel auf der Luftvioline wurzelt in ihren Fertigkeiten und Erfahrungen als Kammermusikerin, besitzt aber auch einen Forschungshintergrund. Im vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt "Embodying Expression, Gender, Charisma" untersucht sie, welche Rolle die Körperlichkeit bei der Interpretation von Musik spielt und wie sie die Wahrnehmung bei Zuhörenden beeinflusst.

Barbara Lüneburg
Die Künstlerin Barbara Lüneburg analysiert in ihrer Forschungsarbeit Spieltechniken bekannter Musikerinnen und Musiker.
Bruckner-Universität Linz

Dazu hat Lüneburg den Ausdruck von namhaften Virtuosen und Virtuosinnen wie Maxim Vengerov, María Dueñas, Salvatore Accardo, Sergey Khatschaturjan und Janine Jansen analysiert und deren typische Körperhaltungen herausgearbeitet. "Vom Publikum wird diese Körperlichkeit meist nicht bewusst wahrgenommen, weil sie von der Musik überlagert ist. Tatsächlich löst sie beim Zuhören viel aus", erklärt die Künstlerin und Forscherin. Sie spielt dabei auf die Rolle der Spiegelneuronen an. Vereinfacht gesagt reagieren diese Nervenzellen auf Verhaltensweisen, die wir bei anderen beobachten, und kommen folglich bei einer Live-Performance ebenfalls zum Tragen.

Suche nach dem Charisma

Mit ihrer künstlerischen Forschung will Lüneburg nicht nur ergründen, was Charisma auf der Bühne ausmacht, sondern angehenden Kunstschaffenden Anhaltspunkte geben, um ihre Expressivität und ihren persönlichen Interpretationsstil ausloten zu können. "Die Zeiten, in denen Studierende einfach den Stil ihrer Lehrer und Lehrerinnen übernehmen sollten, sind definitiv vorbei", sagt Lüneburg.

Eine moderne Uni, fernab von Personenkult und mit einem diversen Forschungsschwerpunkt, das schwebt auch der erst im Vorjahr bestellten Vizerektorin für Forschung, Claire Genewein, vor. Neben der Musikwissenschaft und der Kulturwissenschaft solle auch die künstlerische Forschung in Linz weiterhin eine gewichtige Rolle spielen. Die Einrichtung eines Forschungsvizerektorats sieht Genewein als weiteren Schritt auf dem Weg vom reinen Konservatorium zur Universität. In diese Richtung gehen auch die seit 2018 angebotenen Doktoratsprogramme, bei denen die Ersten nun zum Abschluss kommen.

Vormachen, nachmachen

"Meine Ausbildung war damals geprägt von Vormachen, Nachmachen", sagt die ausgebildete Flötistin. "Der universitäre Gedanke ist aber mehr. Da geht es um kritisches Reflektieren, um die geschichtlichen Zusammenhänge und das Hinterfragen. Das erwarten sich Studierende heute."

Vizerektorin Claire Genewein und Rektor Martin Rummel von der Bruckner-Universität in Linz.
Vizerektorin Claire Genewein und Rektor Martin Rummel von der Bruckner-Universität in Linz.

Als Beispiel nennt sie die Neubewertung des Komponisten und Theorbisten Giovanni Girolamo Kapsperger, der durch die Biografie der an der Uni tätigen Anne Marie Dragosits in völlig neues Licht gestellt würde. Auch die versteckte politisierte Bruckner-Rezeption ab den 1930er-Jahren ist eines der Themen, die reflektiert aufgearbeitet gehören und daher an diesem Tag der offenen Tür nicht fehlen durften.

Keinen Personenkult verspricht die Bruckner-Universität auch beim neu gegründeten Nikolaus-Harnoncourt Zentrum. Für das musikwissenschaftliche Forschungszentrum wird das sieben Jahrzehnte umspannende Archiv des berühmten, aber immer wissens- und kunsthungrigen Musikers und Dirigenten digitalisiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Kunst und Gesellschaft

Ein weiterer Aspekt, den neben Genewein auch Rektor Martin Rummel betont, ist die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst, die man als Universität künftig noch stärker sichtbar machen wolle. Dabei wolle man definitiv kein Elfenbeinturm sein, sagt Rummel im Gespräch mit dem STANDARD.

Auch dafür finden sich am Forschungstag mehrere Beispiele. So untersuchten Forschende in einem Projekt, wie das Musizieren älterer Personen in einem Heim deren kognitive Fähigkeiten und Wohlbefinden verbessert. Die Erkenntnisse sollen auch in pädagogische Konzepte für diese besondere Bevölkerungsgruppe einfließen. Zwei vorgestellte Doku-Tanz-Theaterprojekte wiederum zeigten, wie mithilfe von Bewegung kriegstraumatisierten Jugendlichen und Langzeitarbeitslosen geholfen werden kann. (Martin Stepanek, 8.12.2023)