Migranten am nordfinnischen Grenzübergang bei Salla.
Migranten kommen immer öfter über Russland bis an die nordfinnische Grenze.
AFP/Lehtikuva/JUSSI NUKARI

Es war der letzte offene Grenzübergang für den Personenverkehr zwischen Finnland und Russland: Raja-Jooseppi, nördlich des Polarkreises gelegen, fast 1000 Kilometer Luftlinie von Helsinki entfernt, benannt nach einem Einsiedler, der hier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelebt hat. Ab Donnerstag bleibt nun auch in Raja-Jooseppi der Grenzbalken unten, wie Ministerpräsident Petteri Orpo auf einer Pressekonferenz ankündigte.

Grund für die Maßnahme: Die Zahl von Migrantinnen und Migranten, die vom finnischen Grenzschutz hier registriert werden, war zuletzt sprunghaft angestiegen. Es handelt sich vorwiegend um Menschen aus Ländern wie Afghanistan, Kenia, dem Jemen, Marokko, Pakistan, Somalia oder Syrien, sie haben meist keine gültigen Einreisepapiere und wollen in Finnland Asyl beantragen. Offiziellen Angaben zufolge sind allein im November 600 Personen über Russland nach Finnland gelangt.

Dass Helsinki nun auf die Bremse tritt, hat auch mit entsprechenden Anschuldigungen gegen Moskau zu tun: Die hohe Zahl von Asylwerbern sei nicht auf einen echten Notfall zurückzuführen, sondern auf "eine organisierte Aktivität", sagte Regierungschef Orpo. Finnland wirft Russland nämlich vor, die Migranten gezielt nach Finnland und damit in die Europäische Union zu steuern. Erst am Montag hatte Orpo von Geheimdienstinformationen gesprochen, denen zufolge noch mehr Menschen auf der Route in den hohen Norden unterwegs sind.

Kritik auch in Finnland

Bei Raja-Jooseppi sollen die Grenzübertritte vorerst für zwei Wochen gestoppt werden. Damit gibt es entlang der 1340 Kilometer langen Grenze zwischen Finnland und Russland zunächst nur noch für den Güterverkehr freie Fahrt: Ein Grenzbahnhof im Südosten bleibt weiter in Betrieb. Kritik an den Maßnahmen kommt auch aus dem eigenen Land. Nachdem Helsinki bereits vergangene Woche Schritt für Schritt alle anderen Grenzübergänge geschlossen hatte, meldete sich am Freitag Kristina Stenman zu Wort, die Gleichstellungsbeauftragte der finnischen Regierung: Wenn keine Asylanträge mehr gestellt werden könnten, so Stenman, dann sei das ein Verstoß gegen das Prinzip der Nichtzurückweisung und das Verbot kollektiver Ausweisungen.

Indes hat die EU-Grenzschutzbehörde Frontex angekündigt, Finnland bei der Grenzsicherung zu unterstützen – konkret durch Personal vor Ort und die Überstellung von Patrouillenfahrzeugen. Finnische Medien meldeten zudem, der heimische Grenzschutz habe bei der Armee um Hilfe beim Bau von Stacheldrahtsperren angesucht. Berichte über steigende Migrantenzahlen kamen am Mittwoch voriger Woche auch aus Estland: Dort war es Innenminister Lauri Läänemets, der beklagte, Russland würde Menschen bis zur estnischen Grenze schleusen und sich damit an einer "hybriden Angriffsoperation" beteiligen.

Der Grenzübergang bei Virolahti.
Auch der Grenzübergang bei Virolahti im Süden Finnlands wurde bereits vor Tagen geschlossen.
via REUTERS/LEHTIKUVA

Moskau wies sämtliche Vorwürfe zurück. "Wir lassen derartige Anschuldigungen nicht gelten", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die finnischen Vorwürfe seien "an den Haaren herbeigezogen". Das Außenministerium in Moskau lud sogar den finnischen Botschafter vor: Die Schließung der Grenzübergänge sei provokativ und eine Belastung für die ohnehin angespannten Beziehungen.

In der Tat hatte sich das bilaterale Verhältnis zwischen Moskau und Helsinki zuletzt massiv verschlechtert. Finnland, das jahrzehntelang an seiner Bündnisfreiheit festgehalten hatte, war im April der Nato beigetreten. Der Schritt war eine Konsequenz des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der vor allem in vielen osteuropäischen Ländern, im Baltikum und eben in Finnland die Sorge vor weiteren Aggressionen Russlands wachsen ließ.

Route über Belarus

Die aktuellen Klagen aus Finnland und Estland erinnern an den Migrationsdruck, der bereits seit 2021 über Belarus auf Europa ausgeübt wurde. Auch dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko wurde vorgeworfen, Asylsuchende aus dem Nahen Osten nach Minsk und von dort nach Europa zu schleusen, konkret an die Grenzen zu Polen, Litauen und Lettland.

Ziel des mit Kreml-Chef Wladimir Putin verbündeten Lukaschenko soll demnach schon damals die Destabilisierung der europäischen Gesellschaften gewesen sein. Auch damals wies Moskau sämtliche Vorwürfe zurück, während insbesondere Polen vorgeworfen wurde, Migrantinnen und Migranten illegal über die Grenze zurück nach Belarus zu schieben. Heuer im Sommer wurden an den EU-Außengrenzen zu Belarus wieder steigende Migrationszahlen registriert. (Gerald Schubert, 30.11.2023)