Andreas Onea sieht in Sachen Inklusion Möglichkeiten zur Verbesserung.
Andreas Onea sieht in Sachen Inklusion Möglichkeiten zur Verbesserung.
Foto: Michael Schatzmann

Der deutsche Moderator Thomas Gottschalk hat sich bei seiner letzten Moderation von "Wetten, dass..?" den Unmut von Behindertenvertreterinnen und -vertretern zugezogen. Gottschalk sprach unter anderem davon, dass Wettkandidat Felix Mayr "den ganzen Tag" an den Rollstuhl "gefesselt" sei. Im Gespräch mit dem STANDARD macht sich der österreichische Para-Schwimmer und Moderator Andreas Onea Gedanken zum Umgang mit Menschen mit Behinderung.

STANDARD: Auf X werden Sie als "Oberlehrer" und "Pfeife" bezeichnet, weil Sie die Wortwahl von Thomas Gottschalk kritisiert haben. "Heul doch", heißt es. Überrascht?

Onea: Ich war negativ überrascht, etwas schockiert. Ich dachte, wir wären als Gesellschaft weiter. Wenn Menschen mit Behinderung Kritik am Umgang mit ihnen üben, wird das weggewischt, weil es nicht mit der eigenen Wahrnehmung zusammenpasst. Es gibt überhaupt keine Diskursbereitschaft. Als müssten Menschen mit Behinderung ohnehin dankbar sein, in so eine große Sendung eingeladen zu werden. Wir werden wohl noch aufzeigen dürfen, wenn es Potenzial zu Verbesserungen gibt.

STANDARD: Es heißt unter anderem, Wettkandidat Felix Mayr hätte sich nicht an der Wortwahl gestört. Ein zulässiges Argument?

Onea: Felix war großartig. Aber ein 14-Jähriger wird Gottschalk in einer der größten Shows im deutschsprachigen Raum nicht live auf Sendung widersprechen. Er wird nicht sagen, dass er nicht gefesselt ist. Er wird sich auf seine Rolle als Wettkandidat konzentrieren. Und das ist auch gut so. Interessenvertretungen erklären seit Jahren, warum man auf dieses Wording verzichten sollte. Der Rollstuhl ist ein Fortbewegungsmittel von A nach B, der Menschen eigenständige Mobilität ermöglicht.

STANDARD: Die zweifache Olympiasiegerin Kristina Vogel schreibt in den sozialen Medien "Inklusion in Deutschland – just a nice try". Wie sieht es in Österreich aus?

Onea: Vielleicht sind wir eine Spur weiter. Nehmen wir die öffentlich-rechtlichen Medien her. Immer wieder informieren sich Kollegen bei mir. Wir veranstalten im ORF Workshops mit Redakteuren und Moderatorinnen zur Sensibilisierung. Und offensichtlich macht sich das bezahlt. Zumindest sind mir aus letzter Zeit keine Fauxpas bekannt.

STANDARD: Redewendungen wie "an den Rollstuhl gefesselt" sind bei vielen Menschen abgespeichert, nicht böse gemeint.

Onea: Genau das ist das Problem. Worte bezeugen eine Sichtweise. Der Mensch mit dem Rollstuhl ist gefesselt, immobil, nicht eigenständig, bemitleidenswert. Der kann halt nichts machen. Und das stimmt eben nicht, dieses Bild muss man auflösen. Als Moderator einer großen Show, als Vollprofi weiß man, dass jedes Wort eine Bedeutung hat, dass es eine Vorbildwirkung gibt. Ich studiere meine ganzen Moderationen durch, und ich bin irgendwer. Solche Dinge passieren nicht einfach.

STANDARD: Welche andere Redewendung sollten wir tunlichst vermeiden?

Onea: "Leidet an". Ein Mensch hat eine Sehbehinderung. Ob er daran leidet oder nicht, kann er selbst entscheiden. Man kann nicht davon ausgehen, dass jemand an etwas leidet. Ich habe nur einen Arm. Aber ich leide nicht an meiner Behinderung. Und wenn jemand im Rollstuhl sitzt, kann er sehr wohl ein cooles Leben haben. Er muss nicht traurig und frustriert sein.

STANDARD: Haben Sie persönlich negative Erfahrungen gemacht?

Onea: Ich habe 2012 bei den Staatsmeisterschaften der Nichtbehinderten das B-Finale gewonnen. Ich war also Neunter unter den Schwimmern mit zwei Armen. Das war bei aller Bescheidenheit eine unglaubliche sportliche Leistung, die mir nie wieder gelungen ist. Am nächsten Tag titelte eine große österreichische Tageszeitung: "Mit einem Arm schneller als die Gesunden". Was impliziert das?

Onea ist Schwimmer. Kann aber auch Volleyball.
Onea ist Schwimmer. Kann aber auch Volleyball.
APA/EXPA/JFK

STANDARD: Dass Sie krank sind.

Onea: Aber bin ich krank? Bin ich vielleicht sogar ansteckend? In der Berichterstattung muss man sensibler kommunizieren.

STANDARD: Sind wir zu verkrampft im Umgang mit Behinderungen? Wird das Sichtbare vielleicht nur thematisiert, um die eigene Unsicherheit zu überspielen?

Onea: Nehmen wir noch einmal das Beispiel Gottschalk. Es heißt, er habe ja eh ganz normal mit Felix gesprochen. Aber zuerst ging es in dem Gespräch um den Rollstuhl und dann um die Erkrankung. Warum nicht zuerst über die Hobbys des Burschen sprechen? Ja, wir sind zu verkrampft, weil wir keine Berührungspunkte haben. Weil wir nicht wissen, wie wir mit Menschen mit Behinderung umgehen sollen.

STANDARD: Werden Sie oft gefragt, warum Sie nur einen Arm haben?

Onea: Als Schwimmer kann ich meine Behinderung nicht verstecken. Und dann gibt es im Schwimmbad immer wieder Kinder, die mit dem Finger auf mich zeigen. Kinder sind eben neugierig, und das sollen sie auch sein. Dann gehe ich hin und frage die Kids, ob sie etwas wissen möchten. Die Fragen lauten dann: Was ist passiert? Warum hast Du nur einen Arm? Dann erzähle ich meine Geschichte. Alles kein Problem.

STANDARD: Haben Sie drei gute Tipps für einen vernünftigen Umgang?

Onea: Erstens sollte man sich immer die Frage stellen: Würde ich einen Menschen ohne Behinderung genauso behandeln? Zweitens, ganz wichtig: Die Behinderung ist nur eine Eigenschaft, der Mensch steht im Vordergrund. Und drittens: Auf Menschen mit Behinderung hören. Oft wird einfach über uns hinweg entschieden. Aber unsere Meinung gilt auch.

STANDARD: Wo muss man ansetzen, damit Behinderung eben nur noch als Eigenschaft wahrgenommen wird?

Onea: Es braucht Inklusion von klein auf. Im Sport, in der Kultur, in der Bildung und später im Berufsleben. Wir dürfen nicht mehr trennen. Ich garantiere Ihnen, dass jeder, der mit mir zu tun hatte, gelernt hat, entspannt mit Menschen mit Behinderung umzugehen. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Und ich habe nur eine. (Philip Bauer, 28.11.2023)