Volle Zuseherreihen im Großen Schwurgerichtssaal im Landesgericht für Strafsachen Wien
Full House im Großen Schwurgerichtssaal: Die Mehrheit der Sitzplätze ist für die Angeklagten und ihre Verteidiger reserviert.
moe

Wien – "Euch hol ich locker ein und mach jetzt den Werkmeister!", kündigte einst in einem Werbespot für ein Fernlehrinstitut ein Herr im blauen Kittel seinen Kolleginnen an. Die Ausbildung, die Jobchancen im mittleren Management eröffnet, hat auch die Mehrzahl der Personen absolviert, die in den Zuseherinnenrängen des Großen Schwurgerichtssaals sitzen. Sie sind allerdings nicht die interessierte Öffentlichkeit – sondern die Angeklagten. Ursprünglich 53 Personen waren es, die die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen Bestechung im Dunstkreis der für die Gemeindebauten zuständigen Magistratsdienststelle Wiener Wohnen vor ein Schöffengericht unter Vorsitz von Thomas Spreitzer gebracht hat. Dieser Auflauf an Beschuldigten sorgt für Platzprobleme: In den ersten beiden Tischreihen sitzen die Verteidigerinnen und Verteidiger, dahinter die Angeklagten, und nur die hintersten Reihen bleiben frei.

Aus Sicht der WKStA soll ein Unternehmer eine bestechende Idee gehabt haben: Erst ließ er eigene Mitarbeiter für Aufträge sorgen, die eigentlich die Werkmeister von Wiener Wohnen melden hätten müssen, dann ging er einen Schritt weiter und reichte Fantasierechnungen ein, sind die beiden Anklagevertreter überzeugt. Die eigentlich verantwortlichen Werkmeister wurden demnach mit Gutscheinen und Barzuwendungen in Höhe von rund drei Prozent der Auftragssumme belohnt, meint die Anklagebehörde. Im Zeitraum von April 2011 bis Jänner 2013 sollen so rund 170.000 Euro rechtswidrig geflossen sein, findet sich in der Anklageschrift.

Grundsätzlich bestand zwischen der Firma und Wiener Wohnen ein Rahmenvertrag. Soll heißen: Sobald ein Mieter oder eine Hausmeisterin ein kaputtes Fenster meldete, mussten die jeweils für ein oder mehrere Objekte zuständigen Werkmeister die Firmen mit der Reparatur beauftragen. Die gelegten Rechnungen wurden stichprobenartig kontrolliert. In allgemeinen Teilen, beispielsweise Keller, hätten aber die Werkmeister selbst in "ihren" Bauten kontrollieren müssen, ob es Beschädigungen gab. Was sie aus Zeitmangel oder wegen wiederholtem Vandalismus laut WKStA nicht machten. Statt dessen nahmen ihnen ohnehin in den Gebäuden beschäftigte Monteure diese Aufgabe ab – und verschafften so ihrem Arbeitgeber den ohnehin im Rahmenvertrag vorgesehenen Umsatz.

Dichte Kette an Indizien

Schließlich soll es aber zu illegalen Umsatzsteigerungen gekommen sein, meint die Anklagebehörde. In die korrekten Rechnungen sollen auch fingierte Aufträge geschmuggelt worden sein. Sieben Jahre ermittelte die WKStA und ist nun überzeugt, dem Schöffengericht eine überzeugende Indizienkette vorlegen zu können. Die auf zwei Säulen beruht: Einerseits wurden bei dem Unternehmen umfangreiche Dateien sichergestellt, die durchaus belastend scheinen. Im Eröffnungsplädoyer projiziert ein Oberstaatsanwalt beispielsweise einen Ordner "Öffentlicher Bereich" an die Wand, in dem sich wiederum der Unterordner "Gutscheine 2012" befindet. Dort ist feinsäuberlich Monat für Monat aufgelistet, welcher Werkmeister welche Gutscheine bekam.

Es gab aber auch schriftliche Dossiers über die einzelnen Beamten und Vertragsbediensteten bei Wiener Wohnen und sogar rund 40 Stunden Audioaufnahmen von Besprechungen in der Firma, wo über die Sache geplaudert wurde. Der ermittelnde Kriminalbeamte machte sich auch die Mühe, einzelne dubiose Aufträge zu überprüfen und stieß auf Erstaunliches. Gemeinsam mit dem Innungsmeister der Glaser besuchte er die angeblichen Einsatzorte des Unternehmens. In einem Keller, in dem angeblich ein beschädigtes Fenster getauscht wurde, gab es solche gar nicht, entdeckte man dabei, führt der Anklagevertreter zum Prozessauftakt auf. In einem anderen Fall wurde zwar die angeblich im Jahr 2012 getauschte Scheibe gefunden – allerdings war im Glas noch immer das Herstellungsjahr 2006 eingraviert, was nur bei einem ungewöhnlich hohen Lagerbestand des Unternehmens möglich wäre.

Mehrere Menschen warten im Regen vor dem Eingang des Landesgerichts für Strafsachen Wien.
Die durch den Umbau des Gerichts beengten Platzverhältnisse bei der Sicherheitskontrolle sorgten am Montag für einen Rückstau auf die Alser Straße.
moe

Als die verdächtigen Firmenvertreter und die Werkmeister ab Ende 2016 einvernommen wurden, leugneten allerdings alle rundheraus, in irgendwelche Malversationen verwickelt zu sein oder machten von ihrem Recht zur Aussageverweigerung Gebrauch. Für den Firmenchef seien die Unterlagen "ein Fantasiegebilde" und "Scherz", beschied der von Martin Nemec vertretene Unternehmer. Die Werkmeister wiederum leugneten, je Gutscheine von der Firma erhalten zu haben. In mühsamer Kleinarbeit konnte der Kriminalist dann in zwei Fällen nachweisen, das Werkmeister Gutscheine eingelöst haben. Beim einen für zwei Staubsaugerroboter, beim anderen für Kleidung. Der Roboter-Mann gab daraufhin an, den Gutschein im Internet ersteigert zu haben – für die WKStA unglaubwürdig.

"Ich brauch Geld für das Puff!"

Allerdings stamme der Erstangeklagte aus einer konservativen Familie – und auch seine mitangeklagte Schwester, die in dem Betrieb für die Buchhaltung zuständig war, hänge eher strikten Moralvorstellungen hinsichtlich Freizeitgestaltung an. Um das Dilemma auch für die beiden Schöffen und die fünf Ersatzschöffen verständlich zu machen: "Er konnte nicht zu seiner Schwester gehen und sagen: 'Ich brauch Geld für das Puff!'", führt Nemec aus. Daher habe er gemeinsam mit seinem Freund überlegt, wie man das Problem lösen könnte, und sei auf die Idee mit den Tabellen und Listen gekommen, nichts davon habe aber je zu tatsächlichen Auszahlungen an Werkmeister geführt, argumentiert der Verteidiger. Gutscheine habe es in der Firma zwar gegeben, die seien aber für die eigenen Mitarbeiter reserviert gewesen. Die laut Anklage ausgegebenen Tankgutscheine habe es in diesem Umfang aber überhaupt nie gegeben, das sei jedoch von der WKStA nie überprüft worden, kritisiert Nemec.

Am Dienstag wird fortgesetzt. (Michael Möseneder, 27.11.2023)