Blick auf einen vollgefüllten Tisch mit Speisen und Tellern
Noch einmal zugreifen oder doch nicht? Diese Frage wird auch entscheidend vom Gehirn mitbeantwortet.
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Frei nach Sebastian Kurz: Haben Sie heute schon gegessen? Gerade die Vorweihnachtszeit bietet jede Menge Gründe, sich den Bauch vollzuschlagen. Doch wann wissen wir, dass es genug ist? Und wie genau steuert der Körper das Gefühl von Völle? Dem sind Neurowissenschafter der Universität California, San Francisco (UCSF), in den USA anhand von Mäusen nachgegangen. Dabei konnten sie erstmals in Echtzeit beobachten, welche Gehirnregionen und welche spezifischen Neuronen daran beteiligt sind, zu bemerken, dass man keinen Nachschlag mehr nehmen sollte.

Bisher bekannt ist, dass der Vagusnerv im Darm erkennen kann, eine wie große Menge an Nahrung und Nährstoffen aufgenommen wurde. Der Vagusnerv leitet diese Informationen über elektrische Signale an eine kleine Region im Hirnstamm weiter, von der man annimmt, dass sie beeinflusst, wann Mäuse und auch Menschen mit dem Essen aufhören. Diese Region, der sogenannte Nucleus Tractus solitarii (cNTS), enthält Neuronen des Prolaktin freisetzenden Hormons PRLH, das mit Appetithemmung in Zusammenhang steht, sowie GCG-Neuronen, die die Produktion jener Peptide anregen, die von Medikamenten wie Wegovy, bekannt als Abnehmspritze, imitiert werden. Studien an betäubten Tieren haben ergeben, dass beide Neuronentypen als Reaktion auf die Magenfüllung aktiv werden.

Starke Signale aus dem Mund

Nun haben Forschende rund um den Neurobiologen Zachary Knight eine neue Methodik entwickelt, wie sie im Fachjournal "Nature" berichten. Dazu implantierten sie Lichtsensoren in die Mäusegehirne, die die Neuronenaktivität anzeigten. Dann fütterten sie die Tiere mit verschiedenen Arten von fester und flüssiger Nahrung, um zu sehen, wie und wann jede Gruppe von Neuronen reagierte. Die Aufzeichnungen zeigten, dass die Aktivität der GCG-Neuronen in den Minuten, nachdem eine Maus mit dem Essen begonnen hatte, anstieg. Die Zufuhr von Nahrung oder sogar Luft in den Magen hatte den gleichen Effekt, was darauf hindeutet, dass diese Neuronen die Ausdehnung des Magens nutzen, um ein Völlegefühl zu signalisieren.

Die PRLH-Neuronen verhielten sich etwas anders. Wie in früheren Forschungsarbeiten stellte das Team fest, dass die Infusion von Nahrung in den Magen diese Zellen aktivieren konnte. Wenn die Tiere jedoch normal essen durften, reagierten die Neuronen viel stärker. Dies zeige, dass die PRLH-Neuronen unterschiedlich reagieren, je nachdem, ob die Signale aus dem Mund oder aus dem Darm kommen, und deute darauf hin, dass die Signale aus dem Mund jene aus dem Darm überlagern, sagt Knight.

Der Faktor Zeit

Sobald die Tiere begannen, die Nahrung aufzulecken, begannen die Neuronen zu feuern – und wurden deaktiviert, sobald sie aufhörten zu lecken. Um herauszufinden, was genau diese Neuronen triggert, fütterten die Forscher Mäuse mit Fett, Zucker, kalorienfreien Süßstoffen und Wasser. Die ersten drei Substanzen lösten innerhalb von Sekunden die Aktivität der PRLH-Zellen aus, nicht jedoch Wasser. Diese Reaktion lässt darauf schließen, dass der Geschmack "ein kritischer Faktor ist, der die Zellen während der Nahrungsaufnahme aktiviert", sagt Truong Ly, der an der Studie beteiligt war, zu "Science News".

Die Nervenzellen scheinen die Geschmackssignale außerdem zu nutzen, um zu kontrollieren, wie schnell man isst, erläutern die Forschenden. Die Ergebnisse würden darauf hindeuten, dass die beiden Arten von Neuronen "das Essverhalten auf zwei verschiedenen Zeitskalen steuern, von der sehr schnellen Koordination jedes Bissens bis hin zur längerfristigen Sättigung", sagt Knight. "Die Signale aus dem Mund steuern, wie schnell man isst, und die Signale aus dem Darm steuern, wie viel man isst."

Essen als Balanceakt

Er und andere Fachleute betonen, dass wahrscheinlich noch andere Hirnregionen und Zellen an diesen Verhaltensweisen beteiligt sind. Es gibt etwa 20 Arten von Neuronen im cNTS, von denen viele noch genau charakterisiert werden müssen. Und obwohl bekannt ist, dass Signale aus dem Darm über den Vagusnerv an diese Region weitergeleitet werden, ist unklar, wie die PRLH-Neuronen Informationen aus dem Mund erhalten, wie sie Informationen aus dem Mund und dem Magen ausgleichen und wie sie das Essverhalten von Sekunde zu Sekunde regulieren könnten.

Die Essgeschwindigkeit sei jedenfalls ein Balanceakt, meint Knight. Ein Signalweg signalisiere: "Das schmeckt, ich werde mehr davon essen", sagt er. "Aber gleichzeitig gibt es dieses andere System, das sagt: 'Moment einmal, das hat viele Kalorien, mach ein bisschen langsamer.'" Was für Mäuse zutrifft, dürfte auch für Menschen gelten. Schließlich sind diese neuronalen Schaltkreise bei beiden Spezies in der Regel gut konserviert. Die Arbeit eröffnet jedenfalls weitere Fragen nach den Netzwerken im Gehirn, die beim Essen aktiv sind, und danach, was im Fall von übermäßigem Essverhalten schiefläuft. Mahlzeit! (kri, 24.11.2023)