Weine vom Heiligenstein im niederösterreichischen Kamptal könnten in Zukunft die Klassifizierung
Weine vom Heiligenstein im niederösterreichischen Kamptal könnten in Zukunft die Klassifizierung "Große Lage" auf dem Etikett tragen dürfen.
Foto: ÖWM / Robert Herbst

Wenn es um Wein geht, wird Frankreich gerne als Paradebeispiel genannt. Und das freilich nicht zu Unrecht, ist es französischen Winzern im Laufe der Geschichte schließlich besser als anderen gelungen, ihre Sortenauswahl, Anbau-, Erziehungs- und Kellertechniken, aber auch ihre Marketingmethoden zu perfektionieren und über den Erdball zu exportieren. Und so ist es auch wenig verwunderlich, dass der in Österreich vorgesehenen gesetzlich geregelten Lagenklassifikation Frankreich als Vorbild diente. Ist das Land doch das bislang einzige, indem per Gesetz geregelt wird, welche Weine sich mit weltweit bekannten Zusätzen wie Grand Cru, Premier Cru oder Premier Grand Cru schmücken dürfen. Hierzulande segnete ÖVP-Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig kürzlich eine daran angelehnte Lagenklassifikation ab. Bestehen bleibt freilich das 2002 eingeführte DAC-System (Districtus Austriae Controllatus). Dabei handelt es sich auch nicht um ein System der Klassifizierung, sondern um eines der Herkunftsbezeichnung. Was bedeutet, dass jeder Winzer in einem bestimmten Gebiet (z. B. Weinviertel), der sich an bestimmte Regeln hält (wie bestimmte Traubensorten) und einen Wein erzeugt, der als geschmacklich typisch für das Gebiet befunden wird, das DAC-Siegel tragen darf. Mit der Klassifizierung, also mit einer qualitativen Einstufung einzelner Lagen innerhalb der Weinbaugebiete, geht man nun einen wesentlichen Schritt weiter.

"Damit wir unseren Vorsprung hinsichtlich Herkunft, Qualität und Nachhaltigkeit in der Weinwirtschaft noch weiter ausbauen, haben wir gemeinsam mit der Branche eine Novelle des Weingesetzes auf den Weg gebracht", ließ der Landwirtschaftsminister verlautbaren. Besagte Novelle wird es bestimmten Weinen erlauben, ganz offiziell die Zusätze "Erste Lage" oder "Große Lage" zu tragen, und damit, weil gesetzlich geprüft und genehmigt, Konsumenten eine Orientierungshilfe im Dschungel der bislang mehr oder weniger willkürlich verliehenen Prädikate bieten. Die da theoretisch auch lauten könnten: "Herrlicher Hügel", "Delikater Hang" oder "Beste Riede von überhaupt".

Welche Lagen nun tatsächlich als "Große" oder "Erste" gelten, steht im Augenblick noch nicht fest, da erst Anträge eingereicht, Verhandlungen geführt, Entscheidungen getroffen werden müssen – und obendrein keineswegs gesichert ist, dass auch alle heimischen Winzervereinigungen mitspielen werden. Da historische Erwähnung und Bedeutung einer Lage zu den Bewertungskriterien zählen, ist aber davon auszugehen, dass darunter jene auftauchen werden, die schon jetzt klingende Namen tragen und unter Weinkennern besten Ruf genießen wie etwa Heiligenstein im Kamptal, Loibenberg in der Wachau oder Nußberg in Wien.

Erleichterte Vermarktung im Ausland

Die Klassifizierung soll auch die Vermarktung der österreichischen Weine im Ausland erleichtern, wie Michael Moosbrugger, Obmann des Vereins Österreichische Traditionsweingüter (ÖTW), betont. "Wenn ich etwa in Hongkong mit einem Sommelier spreche, dann gibt mir der drei Minuten Zeit, um ihn von meinem Wein zu überzeugen. Wenn ich da erklären kann, dass Österreichs Weinbaugebiet größer ist als etwa das Burgund und besagter Wein aus einer der besten Lagen des Landes kommt, fällt es mir entscheidend leichter", so der Winzer, dessen Weingut Schloss Gobelsburg zwei Drittel der Erzeugung exportiert.

Kritisiert wird unter anderem, dass die betroffenen Weine lediglich jene seien, die sowieso schon am Markt gut eingeführt sind und ihre Position durch den Vermerk am Etikett nun zusätzlich festigen können, während junge Winzerinnen und Winzer, die auf bislang weniger renommierten Lagen anbauen, der Erfolg gleichzeitig erschwert werde. "Es kann doch nicht sein, dass erfolgreiches Marketing mehr wert ist als die Arbeit des Winzers im Weingarten und an den Reben", sagt etwa der Obmann eines Winzervereins, der namentlich nicht genannt werden will.

Eine derartige Klassifizierung stelle, so der skeptische Winzer weiter, eine Wettbewerbsverzerrung dar und verletze den Gleichheitsgrundsatz, während zu den Aufgaben eines Vereins doch gehöre, gleiche Ausgangsbedingungen für alle zu schaffen. Und auch das französische Beispiel lässt der Vereinsobmann nicht gelten. "Die französischen Klassifikationen stammen aus vergangenen Jahrhunderten und zum Teil aus Feudalsystemen, in denen Landbesitz noch eine völlig andere Bedeutung hatte." Eine gute Gelegenheit also, um einen Blick zu werfen auf drei der prestigereichsten Beispiele aus Frankreich, die der heimischen Gesetzesnovelle als Vorbild dienen.

1. Die Bordeaux- Klassifizierung von 1855

Typischer Weingarten nahe bei Chateau Latour, Bordeaux, Aquitaine, Frankreich.
Typischer Weingarten nahe bei Chateau Latour, Bordeaux, Aquitaine, Frankreich.
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Sie ist mit Sicherheit die bekannteste und ruhmreichste, zugleich aber absurdeste und anachronistische von allen. Entstanden ist sie, als Kaiser Napoleon III. beschloss, im Jahr 1855 eine Weltausstellung in Paris zu organisieren. Dort wollte die Handelskammer von Bordeaux die besten Weine ihrer Region präsentieren. Also beauftragte sie die Innung der Weinhändler, ihr eine Klassifizierung der besten Weine zukommen zu lassen. Um eine solche zu erstellen, veranstalteten die Händler nicht etwa eine Verkostung, sondern bedienten sich der durchschnittlichen Preise, die die Weine über die vergangenen Jahrzehnte erzielten. Womit sie ganz offensichtlich nach dem Prinzip "gut, weil teuer" vorgingen. Seit damals ist viel Wasser durch die Garonne geronnen – und dennoch blieben die damals erstellten fünf Qualitätskategorien bis heute bestehen. Eine nennenswerte Veränderung gab es in Wahrheit nur eine. Nämlich im Jahr 1973, als es dem Baron Philippe de Rothschild endlich gelang, seinen ursprünglich zweitkategorisierten Château Mouton (nach Intervention bei Jacques Chirac, damals Landwirtschaftsminister unter dem Präsidenten Georges Pompidou, einem ehemaligen Mitarbeiter der Banque Rothschild) in die höchste Kategorie Premier Grand Cru zu hieven. Dort befinden sie sich seither in exklusiver Gesellschaft von lediglich vier weiteren Rotweinen: Château Margaux, Château Latour, Château Haut-Brion sowie der Château Lafite von Philippes lange Zeit mit ihm verfeindeten Cousin Élie de Rothschild.

2. Die Klassifizierung der Weine von Saint-Émilion

In die selbstgefällige Welt der geschniegelten Weinberge und distinguierten Châteaux von Saint-Émilion platzte die Meldung wie eine Cola-Dose in einem Verkostungsraum: zwei der prestigereichsten und weltbekanntesten Weingüter der Gemeinde verkündeten im Juni 2021, dass sie ihre Weine aus der geltenden Klassifizierung zurückzuziehen würden. Dabei handelt es sich um die klingenden Namen Château Ausone und Château Cheval Blanc. Ihnen folgte im Januar 2022 das nicht minder prestigereiche Château Angélus, womit gleich drei der vier bislang bestgereihten Châteaux (Premier Grand Cru Classé) aus der für Herbst 2022 angesetzten Klassifizierung ausscherten.

Domaine Romanée Conti in Burgund, Frankreich.
Domaine Romanée Conti in Burgund, Frankreich.
Getty Images/iStockphoto

Dazu ist zu wissen, dass Saint-Émilion zwar im Weinbaugebiet Bordeaux, aber am rechten Ufer der Garonne liegt; und somit der Handelskammer der Stadt Libourne untersteht. Die berühmte Klassifizierung aus 1855 indessen wurde von der Handelskammer von Bordeaux vorgenommen und bezieht sich ausschließlich auf die Weine des linken Flussufers. Und so gibt es eine Klassifizierung in Saint-Émilion erst seit 1955. Im Unterschied zur Bordeaux-Qualifizierung ist sie alles andere als in Stein gemeißelt und sollte alle zehn Jahre (offenbar können es auch mehr oder weniger sein) erneuert werden. Dabei werden auch die Kriterien der Bewertung immer wieder verändert, was in den letzten Jahren zu heftigen Streitereien führte. So leiteten etwa nach dem Ergebnis im Jahr 2012 gleich mehrere Winzer Gerichtsverfahren ein, die zum Teil noch laufen. Weswegen das Ergebnis aus besagtem Jahr genau genommen noch gar nicht gültig ist. Dennoch wurde im Vorjahr neuerlich und nach zum Teil neuen Kriterien klassifiziert. Miteinbezogen werden nun etwa auch Architektur und Erscheinungsbild des Weinguts oder dessen Infrastruktur zum Empfang von Gästen, aber auch die Präsenz und Qualität (!) seines Auftretens im Internet und in den sozialen Medien. "Kriterien wie Terroir und Verkostung spielen, obwohl sie für einen Wein wie den unseren fundamental sind, eine viel zu geringe Rolle im Vergleich zur äußerlichen Wahrnehmung und zu sozialen Medien", so Pauline Vauthier, Besitzerin des Château Ausone zum Fachmagazin Terre de vins, bevor sie ihren Wein aus der Bewertung zurückzog.

3. Die Burgunder-Klassifizierung

Im Burgund ist die Ausgangslage eine völlig andere. Hier werden nicht Weine klassifiziert, sondern Lagen, also Böden. Und das offenbar bereits seit dem Mittelalter, als Zisterzienser Mönche begannen, die Weinberge in sogenannte "climats" (Parzellen, Rieden) zu unterteilen. Was, wie manche annehmen, weniger dazu diente, die geschmackliche Qualität eines Weins als viel mehr seine für Handel und Transport entscheidende Haltbarkeitsdauer hervorzuheben. Im Jahr 1935 wurden gesetzliche Klassifizierungen geschaffen, die mehrere climats umfassen können. Die höchste Kategorie ist hier jene der Grand Crus, aus denen 34 Weine stammen, darunter der mythische Romanée-Conti, der als der teuerste Wein der Welt gilt. Grands-crus-Weine können aber auch aus einem einzigen climat stammen. Und ein climat kann auch von mehreren Winzern bewirtschaftet werden. Wie etwa Griotte-Chambertin, wo sechs Betriebe sich die winzige Fläche von 2,5 Hektar teilen. Zum Vergleich: Das zuvor genannte Château Cheval Blanc umfasst alleine an die 40 Hektar. Außerdem ist der gleichnamige Wein, laut Saint-Émilion Klassifizierung, ein Premier Grand Cru, während man in Burgund zwischen Grand Cru und Premier Cru unterscheidet. Wobei die Premiers Crus, die "Ersten Crus", geringer als die Grand Crus gereiht werden, also absurderweise nur in die zweite Kategorie fallen.

Weingärten in Nähe der Stadt Saint-Emilion, Frankreich.
Weingärten in Nähe der Stadt Saint-Emilion, Frankreich.
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Alles in allem zeigt sich, dass die auf dem Gebiet des Weines in vielen Bereichen so tonangebenden Franzosen hier ein waschechtes Chaos beieinanderhaben, das wohl kaum dazu taugt den Konsumenten zu orientieren, wie gerne behauptet wird. Vielmehr hat man das Gefühl, dass es in erster Linie darum geht, das Ego der alteingesessenen Weinbauern zu streicheln und den Wert ihres Landbesitzes zu steigern. Und dabei womöglich jungen Winzern, die auf bisher weniger renommierten Lagen tolle Arbeit leisten, das Durchstarten zu erschweren. Ob das der heimischen Weinwirtschaft tatsächlich als Vorbild dienen kann, muss sich erst zeigen. (RONDO, Georges Desrues, 27.11.2023)