Er ist vorsichtiger geworden. Philipp Plein sitzt im ersten Stock seines Wiener Stores und wirkt zurückhaltend. Aber vielleicht täuscht der Eindruck. Der deutsche Modeunternehmer, hellblaues, leicht aufgeknöpftes Hemd, dunkle Hose, Sneaker ohne Socken, hat am frühen Morgen bereits einen Interviewmarathon hingelegt. Es ist später Nachmittag, und drumherum wuselt die Vorhut von Wiens Bussi-Bussi-Gesellschaft, Alfons Haider, Dominic Heinzl, Marika Lichter. Die Violinistin Céline Roschek fiedelt sich in einem Lederoutfit warm, Plein hat sich für den Abend klassische Musik gewünscht. Der Anlass ist ernst, später soll hier die Biografie des 45-Jährigen präsentiert werden.

Philipp Plein Interview Standard auf einem Motorrad.
Zurückhaltend: Philipp Plein am Motorrad auf der Fashionweek in Mailand.
IMAGO/Independent Photo Agency I

STANDARD: Es gibt nun eine Biografie zu Ihnen. Ist das nicht ein wenig früh für einen 45-Jährigen?

Philipp Plein: Diese Frage habe ich mir auch gestellt, als der Journalist Tobias Bayer in meinem Büro stand und erzählte, ein Buch über mich schreiben zu wollen. Wir haben das dann besprochen. Er ist genauso alt wie ich, hat lange für die Financial Times gearbeitet und bei der Textilwirtschaft über das Unternehmen Plein berichtet. Letzten Endes fand ich die Idee gar nicht so schlecht, auch weil meine Marke in diesem Jahr 25 Jahre alt geworden ist. Das ist schon eine ordentliche Nummer, obwohl wir im Vergleich zu den Mitbewerbern ein junges Unternehmen sind. Meine Geschichte könnte die Leute interessieren – viele verstehen die Marke Philipp Plein nicht oder interpretieren sie falsch.

STANDARD: Ihre Marke polarisiert …

Plein: Das tun doch alle Marken im Luxussegment. Es gibt Leute, die lieben Versace – die anderen mögen Jil Sander. Es gibt jene, die Thom Browne dem Unternehmen Gucci vorziehen. Vielleicht polarisiere ich als Person etwas mehr, weil ich das Testimonial meiner Marke bin. Abseits des Luxussegments ist das anders. Kaum jemand mag Nike, Adidas oder Zara nicht.

STANDARD: Haben Sie die Biografie autorisiert?

Plein: Ich habe das Buch vorab gelesen. Bis auf ein Kapitel, das sich auf eine frühere Beziehung bezog, wurde nichts verändert. Ich bin sehr offen und unangreifbar, weil ich keine Leichen im Keller habe. Man findet nichts, was mir unangenehm ist. Das lässt mich ruhig schlafen.

STANDARD: Welche anderen Biografien haben Sie gern ­gelesen?

Plein: Ich bin eigentlich kein Fan von Biografien, weil ich mich bisher nicht allzu sehr für das Leben anderer Menschen interessiert habe, da ich sehr beschäftigt mit meinen Unternehmungen bin.

STANDARD: Sie verkaufen sich als Underdog. Ist das nicht Koketterie?

Plein: Das hat das Magazin Forbes über mich geschrieben. Ich meine aber, dass man das zu Recht behaupten kann.

STANDARD: Nun ja, Sie sind im Elite-Internat Salem zur Schule gegangen, haben Jura studiert …

Plein: Es geht nicht darum, aus welchem sozialen Umfeld man stammt. Wenn man sich als Newcomer ohne Beziehungen und ohne Background in die abgeschottete Luxusmodeindustrie begibt, ist man ein Underdog und wird als solcher behandelt. Das geht allen so, die sich in eine Branche begeben, in der man weder erwünscht ist, noch erwartet wird.

STANDARD: Hatten Sie Vorbilder?

Plein: Nein, ich wollte eigentlich nicht in die Modeindustrie.

STANDARD: Virgil Abloh war auch ein Quereinsteiger. Wäre er ein Vorbild gewesen?

Plein: Weder als Designer noch als Stilikone – auch wenn er viel bewegt und für die Modeindustrie getan hat. Ich habe ihn übrigens bei einer Amfar-Gala in Cannes kennengelernt. Damals hatte er gerade angefangen zu designen.

STANDARD: Was darf Luxusmode kosten?

Plein: Erst einmal ist ja die Frage, wie wir Luxus definieren. Luxus ist alles, was wir konsumieren, aber nicht benötigen. Wenn Sie zwei Autos besitzen, aber nur eines fahren können; oder eine Wohnung mit zwei Schlafzimmern besitzen, aber nur eines nutzen; wenn Sie ein Paar Schuhe kaufen, obwohl Sie genügend im Schrank stehen haben. In unseren Breitengraden ist fast jede Anschaffung ein Luxuskauf – egal, ob ich bei einem Retailer wie Zara oder einem Luxusunternehmen shoppe. Wir haben von allem genug.

STANDARD: Was legt man bei Ihnen für Sneaker hin?

Plein: Los geht’s bei 490 Euro. Wir sind genauso positioniert wie unsere Mitbewerber im Luxussegment – Plein ist weder günstiger noch teurer. Jeans, Sneaker, T-Shirts von Marken wie Gucci oder Dolce & Gabbana kosten eins zu eins wie jene von uns. Kein Wunder, wir produzieren Textilien und Schuhe heute bei denselben Herstellern wie Chanel, Louboutin, Dior, Versace, Off-White. Bei Plein Sport hingegen starten wir mit 89 Euro. Im Premiumsegment spielt sich bei Schuhen alles zwischen 90 und 120 Euro ab. Wenn eine Familie mit drei Kindern 80 Euro im Monat für solche Ausgaben in der Tasche hat, sind 20 Euro mehr oder weniger für einen Sneaker entscheidend.

STANDARD: Im Luxussegment hingegen gibt es nach oben hin keine Grenzen?

Plein: Richtig. Die Modefirmen lassen sich deshalb einiges einfallen. Louis Vuitton hat zuletzt in seiner Männershow mit Diamanten besetzte Krokotaschen und -jacken gezeigt.

STANDARD: Sie gehören zu den wenigen unabhängigen Unternehmen im Luxussegment. Schließen Sie es aus, sich aufkaufen zu lassen?

Plein: 2018 wurden uns 750 Millionen geboten. Ich war damals 40, mein Stiefvater hat mir geraten, nicht zu verkaufen. Ich habe auf ihn gehört und abgelehnt, die Entscheidung war richtig. Es geht nicht nur ums Geld, es geht um Leidenschaft, um Freiheit. Manche Menschen arbeiten, um zu leben. Und dann gibt es die, die leben, um zu arbeiten. Ich bin zufrieden mit meinem Leben, weil ich neben meiner Familie eine Aufgabe habe und mich meine Arbeit erfüllt. Wir haben zehn Golf-Stores eröffnet, demnächst folgt das erste Plein-Hotel inklusive dreier Restaurants in Mailand, mit Uhren haben wir aus dem Nichts 100 Millionen Euro Umsatz gemacht. All diese Projekte sorgen für Adrenalin. Als Unternehmer kann ich ein Träumer sein.

STANDARD: In letzter Zeit war viel die Rede von "Quiet ­Luxury". Können Sie damit etwas anfangen?

Plein: Sicher, unsere Marke Billionaire profitiert davon. Allerdings glaube ich nicht an einen Trend zum stillen Luxus. Es existieren viele Stil- und Geschmacksrichtungen nebeneinander. Maximalisten, die bei Gucci, Versace oder Plein einkaufen, werden nicht morgen ihren Stil verändern und zu Loro Piana wechseln, weil "Quiet Luxury" angesagt ist. Ich kenne auch kaum jemanden, der von einem Lamborghini auf einen Audi umgestiegen ist. Das Gleiche gilt andersrum. Wenn ich ein überzeugter Mercedes-Fan bin, steige ich nicht auf einen lauten Ferrari um. Wir sind kein Trendsetter, keine Fahne im Wind. Wir bleiben als maximalistische Marke unserer Kundschaft treu.

STANDARD: Es wird immer Bling und Totenköpfe geben?

Plein: Absolut. Man sieht ja, wie wenig das funktioniert, wenn Milliardenkonzerne eine Kehrtwende hinlegen und sich verjüngen wollen. Ein Image kann man nicht so einfach ändern. Meist ist das der Anfang vom Ende.

STANDARD: Ihre größte Konkurrenz?

Plein: Vielleicht ein bisschen Versace oder Gucci. Aber eigentlich gibt es im Luxussegment niemanden, den wir fürchten müssen, weil wir eine Art Nische geschaffen haben. Die Leute erwarten von uns ein lautes Produkt, und wir zelebrieren das. Das haben andere Marken auch kapiert. Die haben, leiser Luxus hin oder her, heute auch Bling-Bling-Taschen und -Schuhe in den Schaufenstern stehen.

STANDARD: Tragen Sie etwas anderes als Ihre eigene Mode?

Plein: Schauen Sie, das ist alles Plein, was ich anhabe. Von Kopf bis Fuß. Ich habe keinen Bedarf, glücklicherweise habe ich Zugriff auf alles, was ich im Leben brauche.

STANDARD: Sie waren nie Kritikerliebling, stört Sie das?

Plein: Nein. Wir waren immer eine Art Fremdkörper in der Modeindustrie. Die Kritiker, die mit Plein nichts anfangen können, haben sich in der Regel nicht mit uns auseinandergesetzt. Mir ist wichtig, dass wir unser Produkt erfolgreich verkaufen und unsere Rechnungen bezahlen können. Das haben wir immer getan. In Wien betreibt die Familie Fischer seit 14 Jahren das Philipp-Plein-Geschäft, seit 20 Jahren ist sie Kunde. Wenn man so lange in einem so umkämpften Markt zusammenarbeitet, macht man etwas richtig. Ich habe viele Marken kommen und gehen gesehen. Wir haben uns aus der Nische herausentwickelt und organisch neue Märkte erschlossen. Die Mitbewerber sind auf Anabolika, auf Wachstumsmitteln, mithilfe von Investorengeld legen sie ein starkes, aber ungesundes Wachstum hin.

STANDARD: Apropos Wachstum: Ihr neues Ziel sind 300 Plein-Sport-Stores. Wann ist das Ende der Fahnenstange erreicht?

Plein: Eine Marke zu pflegen ist echte Sisyphusarbeit. Die Arbeit hört in dieser Branche nicht auf, das Werk ist nie vollendet.

STANDARD: Sie gelten als diszipliniert, haben Sie Laster?

Plein: Mir fällt nichts ein. Ich trinke nicht, nehme keine Drogen.

STANDARD: Sport vielleicht?

Plein: Das ist kein Laster, oder? Aber ja, ich renne täglich wie ein Verrückter, allerdings nicht länger als 40 Minuten. Bei 45 Minuten habe ich schon ein schlechtes Gewissen, mit Duschen verliere ich so eine Stunde Zeit am Tag. Nur für mich Sport zu treiben fühlt sich egoistisch an, ist mir aber wichtig. Wenn mein Sohn mich nachts um den Schlaf gebracht hat, laufe ich statt in der Früh auch um Mitternacht.

STANDARD: Wie lässt sich Ihr Leben mit dem Vatersein verbinden?

Plein: Mein Traumberuf ist heute Vater. Ich hätte nie gedacht, dass das Vatersein so eine intensive und emotionale Erfahrung sein kann. Mein erster Sohn ist getrennt von mir bei seiner Mutter aufgewachsen, das war eine traurige Geschichte. Bei meinem zweiten Sohn habe ich versucht, nachzuholen. Ich war 25 Jahre in einem Alltagstrott, keine Beziehung hat mich stoppen können. Ich habe zehn Jahre im Büro geschlafen, das hat mich damals nicht gestört.

STANDARD: Wieso der Sinneswandel?

Plein: Meine Kinder haben mir in den vergangenen Jahren gezeigt, wie man lebt. Eine Stunde mit meinem Sohn ziellos im Park herumzulaufen oder Eis zu essen und auf Wasser zu schauen – für viele Menschen sind solche Dinge normal, ich hatte sie verlernt.

STANDARD: Wann haben Sie zuletzt das Handy ­ausgeschaltet?

Plein: Für dieses Interview. Mein Handy ist schon eine Art Droge. Auf ihm sind einfach viele Dinge drauf, die ich für meinen Beruf benötige. Auf unserem Dashboard zum Beispiel sehe ich die Verkaufszahlen der Märkte, wir machen viele Videocalls usw. – Instagram ist jedenfalls nicht das Problem. (RONDO, Anne Feldkamp, 24.11.2023)

Tobias Bayer, Philipp Plein,
Tobias Bayer, Philipp Plein, "Aus dem Nichts zum Modeimperium. Die Erfolgsstory eines Underdogs", € 25,50, Verlag Lübbe.
Foto: Verlag Lübbe