Dass Oligarchen aus Russland und anderen ex-sowjetischen Staaten ihre fragwürdig erworbenen Reichtümer gerne in Europa parken, ist nicht neu. Man muss nur durch menschenleere Stadtviertel von "Londongrad" spazieren, um zu sehen, wie viele Milliarden allein in Luxusimmobilien der britischen Metropole investiert worden sind. Auch die Rolle des Inselstaates Zypern als Hauptumschlagplatz für russische Gelder ist wohlbekannt.

Zypern gilt als Hauptumschlagplatz für russische Gelder.
Collage: derStandard/Friesenbichler Foto: APA

Was die "Cyprus Confidential" genannten Enthüllungen einer internationalen Rechercheplattform, an der auch DER STANDARD beteiligt ist, deutlich machen, ist, dank welcher gefinkelten Konstruktionen mit der Hilfe von Anwälten und Steuerberatern riesige Vermögenswerte vor den Behörden versteckt und zum Teil für zumindest unlautere Zwecke verwendet wurden. Über Zypern wurden offensichtlich Steuern hinterzogen, Gelder gewaschen oder unfaire Wettbewerbsvorteile verschafft.

Möglich ist das, weil Zypern ein EU-Staat mit allen Rechten eines Mitglieds ist, der sich allerdings nicht an alle Regeln hält. Es begeht keine offenen Rechtsbrüche, sondern schaut bei fragwürdigen Geschäften bloß weg und nutzt die Tatsache aus, dass die EU dem Kapital einen grenzenlosen Markt bietet, aber keine einheitliche Regulierung durchsetzen kann. Das ermöglicht lukrative Geschäftsmodelle für seine marode Volkswirtschaft, aber auf Kosten der Partnerstaaten.

Trittbrettfahrer

Besonders betroffen sind Steuerfragen, für die in der EU immer noch Einstimmigkeit notwendig ist. Das öffnet Trittbrettfahrern Tür und Tor, zu denen neben Zypern auch reichere Mitgliedsstaaten wie Irland, die Niederlande oder Luxemburg zählen. Wer Steuern vermeiden oder Besitz verschleiern will, gründet einfach anderswo eine Briefkastenfirma und nutzt dann die Freiheiten des Binnenmarktes. Das tun Weltkonzerne genauso wie reiche Investoren.

Auch in anderen Bereichen wird die Rechtsordnung auf diese Weise unterwandert. Sanktionen werden umschifft, und illegal verdientes Geld wird gewaschen. Malta verkauft für teures Geld seine Staatsbürgerschaft, die in der ganzen Union gilt; seine unzähligen Onlinekasinos generieren zwölf Prozent der Wirtschaftsleistung im kleinen Land, aber untergraben die Schutzmaßnahmen anderer Staaten, auch jene in Österreich.

Mit jeder Erweiterungsrunde wird sich dieses Problem verschärfen. Denn die zukünftigen Mitglieder sind alle arm und freuen sich über profitable Schlupflöcher. Hier kann nur eine stärkere EU-Integration Abhilfe schaffen. Das Einstimmigkeitsprinzip bei Steuerthemen muss beendet werden; hier bieten sich seit dem EU-Ausstieg Großbritanniens, das sich stets besonders vehement dagegen wehrte, neue Chancen. Das Maßnahmenpaket gegen Steuervermeidung, das die OECD unter dem Titel Anti-BEPS vorgeschlagen hat, gehört endlich umgesetzt; da bremsen manchmal auch Staaten wie Deutschland und Österreich. Ebenso müssen nationale Gesetzgeber manche Vorschriften nachschärfen, um die Rechtstricks, die "Cyprus Confidential" aufzeigt, zu verhindern.

Der Weg dorthin ist mühsam, denn EU-Vorschriften sind oft unbeliebt und die Lobbys, die das verhindern wollen, stark. Aber wenn das nicht geschieht, zahlen Rechtsstaat und Steuerzahler einen hohen Preis. Dann helfen auch die brisantesten Enthüllungen wenig. (Eric Frey, 17.11.2023)