Seit seiner Gründung 1948 pflegt Israel das Selbstbild eines Staates, der aus eigener Kraft für das nationale Überleben und die Sicherheit seiner Bevölkerung sorgt und dabei von niemand anderem abhängig ist. Für Israelis bildet das völlige Versagen ihres Sicherheitsapparats am 7. Oktober neben dem Schock über den Massenmord durch die Hamas daher ein zweites Trauma, das noch lange anhalten wird.

Mit der Militäroperation im Gazastreifen hat die Armee wieder das Heft in die Hand genommen und versucht, die Kontrolle über seine Sicherheit zurückzugewinnen. Dabei scheint sie im Kampf gegen die Hamas Erfolge zu erzielen, wenn auch mit einem extrem hohen Blutzoll in der palästinensischen Zivilbevölkerung.

Die Militäroperation in Gaza läuft weiter.
Die Militäroperation in Gaza läuft weiter.
via REUTERS/ISRAEL DEFENSE FORCE

Doch Israel hat bei seinem Vorgehen weniger Handlungsfreiheit, als es behauptet oder glaubt. Seit Anfang an war der jüdische Staat auf die Unterstützung mächtiger Verbündeter angewiesen; in den ersten Jahrzehnten auf die europäischer Staaten wie Frankreich, seit dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 auf jene der USA. Ohne die jahrzehntelange massive militärische, politische und finanzielle Hilfe der Supermacht wäre Israel schwächer und verwundbarer.

Diese Abhängigkeit spielt auch im jetzigen Krieg eine Rolle: Unter dem Druck der Biden-Regierung hat Israels Armee ihre Taktik mehrfach geändert, die Bodenoffensive hinausgezögert, die Totalblockade des Gazastreifens gelockert, humanitäre Feuerpausen eingerichtet. Dennoch wachsen die Spannungen zwischen Washington und Jerusalem: Die hohen zivilen Opferzahlen in Gaza beschädigen auch Amerikas Ansehen in der Welt.

Keine Zugeständnisse

Der Gaza-Krieg verstärkt Tendenzen, die in Israel schon längst Alarm schlagen sollten. Bei den US-Republikanern wächst der Isolationismus, was auch die stark verankerte Solidarität mit dem jüdischen Staat untergräbt. Der Haushalt, den der Kongress nun beschließen dürfte, enthält kein Hilfspaket für Israel. Bei den Demokraten wendet sich eine jüngere Generation von Politikern und Aktivistinnen gegen die traditionelle eiserne Unterstützung jeder israelischen Regierung. Und auch die wachsende Kritik in Europa sollte Israel nicht gleichgültig sein: Wirtschaftlich und psychologisch ist die enge Verbindung zum alten Kontinent von existenzieller Bedeutung.

Dem israelischen Mythos einer kühl zielgerichteten Sicherheitspolitik steht eine weitere Abhängigkeit entgegen – die von einer Innenpolitik, in der religiös-nationalistische Kräfte übermäßigen Einfluss genießen. Eine rational handelnde Regierung würde jetzt die gemäßigtere Palästinenserführung im Westjordanland als Gegengewicht zur Hamas stärken und ihr eine Rolle für die zukünftige Verwaltung des Gazastreifens eröffnen. Stattdessen brüskiert Premier Benjamin Netanjahu sie bei jeder Gelegenheit, um nur ja keine Zugeständnisse in Richtung Zweistaatenlösung machen zu müssen. Denn diese lehnen seine ultrarechten Koalitionspartner vehement ab.

Ohne eine langfristige Friedensperspektive aber ist Israels Sicherheit mehrfach gefährdet: durch eine zunehmende Radikalisierung der Palästinenser auch im Westjordanland, mit denen das Land leben muss, und die Schwächung seiner internationalen Bündnisse. Diese Schäden kann auch eine noch so effektive Militärmaschinerie nicht wettmachen. (Eric Frey, 16.11.2023)