Antijüdische Ausschreitungen in Dagestan
Die Angreifer stürmten laut Medienberichten sowohl auf das Rollfeld als auch das Dach des Flughafens von Machatschkala.
AP

Machatschkala – Auf der Suche nach Israelis, Jüdinnen und Juden haben am Sonntag in Russland dutzende Männer in der mehrheitlich muslimischen russischen Republik Dagestan den Hauptstadtflughafen gestürmt. Laut russischen Angaben von Montagfrüh wurden in der Folge 60 Personen festgenommen. "Mehr als 150 aktive Teilnehmer an den Unruhen wurden identifiziert, 60 von ihnen wurden festgenommen", erklärte das russische Innenministerium.

Video: Mob in Dagestan stürmt auf der Suche nach Israelis und Juden Flughafen
AFP

Neun Polizisten wurden demnach verletzt, zwei von ihnen seien ins Krankenhaus gebracht worden. Die Beamten hätten zudem vollständig die Kontrolle über den Flughafen in der Stadt Machatschkala übernommen. Das Gesundheitsministerium in Dagestan hatte am Sonntagabend mitgeteilt, dass bei den Ausschreitungen am Sonntag 20 Menschen verletzt worden seien. Zuvor hatten Gerüchte über eine ankommende Maschine aus Israel die Runde gemacht.

Russland macht "äußeren Einfluss" verantwortlich

Die USA verurteilten den Vorfall, Israel forderte Russland zum Schutz seiner Staatsbürgerinnen und Staatsbürger auf.

Russland macht wiederum das Ausland für die antisemitischen Ausschreitungen verantwortlich. In einem Telefonat mit Journalisten sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, dass "Missgünstige" Bilder des Leids in Gaza benutzt hätten, um die Menschen in der überwiegend muslimischen Region aufzuwiegeln. Die Ereignisse seien Ergebnis eines "äußeren Einflusses".

Protestierende wollten Pässe kontrollieren

Die Angreifer stürmten laut Medienberichten sowohl auf das Rollfeld als auch das Dach des Flughafens von Machatschkala. Im Online-Netzwerk Telegram veröffentlichte Videos zeigten, wie Männer Zäune durchbrachen, Türen im Terminal eintraten und versuchten, Autos beim Verlassen des Flughafens zu kontrollieren. Bei dem Sturm habe es "Verletzte gegeben, die medizinische Hilfe bekommen", erklärte am Abend das Gesundheitsministerium ohne weitere Details.

Laut dem unabhängigen Medium "Sota" war es zuvor zu einer Demonstration vor dem Flughafen gekommen. Dabei hätten die Männer versucht, auf der Suche nach israelischen Staatsbürgern beziehungsweise Juden die Reisepässe von Passagieren zu kontrollieren. Auf Videos war zu sehen, wie einer ein Schild mit der Aufschrift "Kindermörder haben keinen Platz in Dagestan" hochhielt. Andere riefen demnach "Allahu akbar" (Gott ist groß). Die Echtheit der Videos konnten zunächst nicht überprüft werden.

Nach Angaben der russischen Luftfahrtbehörde wurde der Flughafen von Machatschkala vorläufig geschlossen und Sicherheitskräfte entsandt. Die Lage sei wieder unter Kontrolle, berichtete die Regierung der Kaukasusrepublik auf Telegram. Sie rief den Mob auf, alle "illegalen Akte" einzustellen. Zugleich erklärten die Behörden offensichtlich mit Blick auf den Krieg zwischen Israel und der Hamas, dass es "für jeden von uns nicht einfach ist, dem Massaker an einer Zivilbevölkerung, dem palästinensischen Volk, beizuwohnen".

Antijüdische Ausschreitungen in Dagestan
Männer sollen versucht haben, auf der Suche nach israelischen Staatsbürgern, beziehungsweise Juden, die Reisepässe von Passagieren zu kontrollieren.
IMAGO/Ramazan Rashidov

Am späten Abend dann erklärte die russische Luftfahrtbehörde, dass der Flughafen "frei von Staatsbürgern ist, die ohne Erlaubnis eingedrungen sind". Während zunächst die Rede davon war, dass der Flughafen bis zum 6. November geschlossen bleibe, meldete die russisch Luftfahrtbehörde am Montagvormittag, dass der Flughafen bereits am Dienstagabend wieder öffnen werden.

Gouverneur kündigt Strafen an

Dagestans Gouverneur Sergej Melikow kündigte an, dass alle Teilnehmer des Sturms auf den Flughafen bestraft werden sollen. "Alle Einwohner Dagestans fühlen mit dem Leid der Opfer des Handelns verwerflicher Menschen und Politiker und beten für Frieden in Palästina", schrieb er auf Telegram. "Aber was auf unserem Flughafen passiert ist, ist unerhört und muss von den Strafverfolgungsbehörden geahndet werden."

Laut der Website Flightradar war ein Flug der russischen Fluggesellschaft Red Wings aus Tel Aviv um 19 Uhr Ortszeit in Machatschkala gelandet. "Sota" zufolge handelte es sich um einen Transitflug, der um 21 Uhr nach Moskau weiterfliegen sollte. Ob sich die Maschine nach der Sperrung des Flughafens noch auf dem Rollfeld befand und was mit den Passagieren geschehen war, blieb zunächst unklar.

Israel ruft zum Schutz von Juden auf

Israel rief nach dem Vorfall Russland zum Schutz aller israelischen Staatsbürger auf. Sein Land erwarte von den russischen Behörden, dass sie "alle israelischen Bürger und alle Juden schützen und entschlossen gegen die Randalierer sowie gegen die Aufstachelung zur Gewalt gegen Juden und Israelis vorgehen", erklärte das Büro von Premierminister Benjamin Netanjahu.

Die USA verurteilten die "antisemitischen Proteste" in Dagestan. "Die USA stehen unmissverständlich an der Seite der gesamten jüdischen Gemeinschaft angesichts des weltweiten Anstiegs des Antisemitismus", erklärte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Adrienne Watson, auf X, ehemals Twitter.

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) meldete sich auch auf X zu Wort. Auf Englisch ließ er wissen: "Die Bilder vom Flughafen #Machatschkala in #Dagestan sind zutiefst erschreckend. Sie erinnern uns an die dunkelsten Zeiten. Österreich bekennt sich zum Kampf gegen #Antisemitismus in all seinen Formen, egal wo und wann, und lehnt jede Aufstachelung zur Gewalt ab. #NeverAgain ist jetzt."

Demonstranten stürmten Hotel

Bereits am Samstag umringte eine Menge aufgebrachter Menschen ein Hotel in der Stadt Chassawjurt in Dagestan, weil es das Gerücht gab, dort seien Flüchtlinge aus Israel untergebracht. Die Nachrichtenagentur Ria bestätigte diesen Vorfall. Laut örtlichen Berichten drangen mehrere Dutzend Männer in das Hotel ein, um angeblich die Pässe der Hotelgäste zu kontrollieren. Die Polizei riegelte das Hotel ab.

Verschärft wird die Lage dadurch, dass die Evakuierungsflüge für russische Staatsbürger aus Tel Aviv ausgerechnet im Nordkaukasus landen, nämlich auf den Flughäfen Machatschkala, Mineralnyje Wody und Sotschi. Im Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern halten die russischen Muslime zu ihren palästinensischen Glaubensbrüdern.

In Naltschik wurden am Sonntag Reifen neben einem im Bau befindlichen jüdischen Kulturzentrum angezündet, wie Ria meldete. Das Gebäude wurde nach Angaben der Sicherheitsbehörden der Teilrepublik Kabardino-Balkarie mit extremistischen Losungen beschmiert. Fotos zufolge stand dort "Tod den Juden". In der Teilrepublik Karatschajewo-Tscherkessien riefen Demonstranten dazu auf, die örtliche jüdische Bevölkerung auszusiedeln. (APA, 30.10.2023)

Suchoi Superjet der Flugline Red Wings in Murmansk
Keine hochauflösenden Agenturbilder aus Dagestan: Die Archivaufnahme zeigt einenSuchoi Superjet der Flugline Red Wings in Murmansk.
imago images/ITAR-TASS