FPÖ-Chef Herbert Kickl sieht die Neutralität und Souveränität Österreichs in Gefahr.
APA/TOBIAS STEINMAURER

"Sie haben die Neutralität und Souveränität Österreichs zertrümmert und verraten. Sie sind die Täter, und die österreichische Bevölkerung ist Ihr Opfer." Gewohnt scharfe Worte fand FPÖ-Chef Herbert Kickl am späten Mittwochnachmittag im Parlament in Richtung Regierung. Zu einer noch späteren Uhrzeit als sonst fand dort eine Sondersitzung statt, und zwar auf Antrag der Freiheitlichen. Anlass für die Debatte über die Neutralität und Souveränität Österreichs – beides sieht die FPÖ seit längerer Zeit in Gefahr – ist der vor der Tür stehende Nationalfeiertag am morgigen Donnerstag.

Die FPÖ ortet jedenfalls ein langes Sündenregister der schwarz-grünen Koalition, wenn es um die Verletzung der Neutralität und der Souveränität Österreichs geht. So führte Kickl in der Begründung des von ihm zu Mittag eingebrachten dringlichen Antrags zum Thema unter anderem die Unterstützung der Regierung für die Ukraine als Beispiel dafür an, warum die Neutralität zerstört werde. Österreich sei so in einen Wirtschaftskrieg "unter Vergatterung der USA" hineingetrieben worden.

Die Souveränität des Landes sieht Kickl gleich an mehreren Fronten in Gefahr, etwa durch verschiedene EU-Vorgaben. In ihrem 16-seitigen Antrag verlangen die Freiheitlichen die Nutzung des Vetorechts gegen jede EU-Initiative, die nationale Handlungsspielräume einschränkt – insbesondere in der Asylpolitik, der "sogenannten Klimapolitik" sowie der Währungspolitik. Um die Souveränität Österreichs auch in der Gesundheitspolitik zu bewahren, fordert die FPÖ außerdem die "entschlossene Ablehnung des von der WHO angestrebten Pandemievertrags".

In ihrem dringlichen Antrag, der am Ende der Sondersitzung von allen anderen Parteien abgelehnt wurde, fordern die Freiheitlichen daher einen höheren Schutz der immerwährenden Neutralität und Souveränität Österreichs – und wollen eine dahingehende Änderung von Artikel 1 in der Bundesverfassung.

Kickl: "Regierungsspitze auf der Flucht"

Gleich zu Beginn wurde vom FPÖ-Chef die Abwesenheit von Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) bemängelt. Die Regierungsspitze sei "auf der Flucht vor dem Parlament, vor der Freiheitlichen Partei, vor der eigenen Bevölkerung", in der Bundespräsidentenloge herrsche "gähnende Leere". Was für Österreich wichtig sei, "spielt für die selbsternannte politische Elite gar keine Rolle".

Am Dienstag hatte Kickl in einem offenen Brief Van der Bellen "sehr herzlich" zur Teilnahme an der Sondersitzung eingeladen. Aus Kickls Sicht sind Neutralität und Souveränität Österreichs nämlich nicht nur durch die Regierung, sondern auch "durch das Nichtstun" des Staatsoberhaupts "in akuter Gefahr". Van der Bellen, der regelmäßig Attacken seitens der Freiheitlichen ausgesetzt ist, habe "stets dann geschwiegen, wenn die Grundsätze der Verfassung, zu denen auch die immerwährende Neutralität und die Souveränität unseres Landes gehören, infrage gestellt wurden", ist in Kickls offenem Brief zu lesen.

ÖVP: Neutralität sei "unser höchstes Gut"

Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) beantworte den dringlichen Antrag der FPÖ.
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Weil Nehammer (ÖVP) Mittwochfrüh nach Israel gereist war, um dort unter anderem den israelischen Präsidenten Yitzhak Herzog und Premier Benjamin Netanjahu zu treffen, übernahm einmal mehr Staatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) die Beantwortung des dringlichen Antrags.

Auf Geheiß der Freiheitlichen würde man "über etwas diskutieren, das selbstverständlich ist, nämlich die Neutralität unseres Landes", sagte Plakolm gleich zu Beginn ihrer Rede. Sie hatte auch eine Erklärung dafür, warum die FPÖ dies zum Thema mache: "Man will Angst und Unsicherheit schüren, wo es absolut keine Grundlage für Angst und Verunsicherung gibt."

Die Staatssekretärin betonte, dass die Abschaffung der Neutralität "absolut nicht zur Debatte" stehe, weil diese "unser höchstes Gut" und "unumstößlich" sei. Das heiße aber nur, dass man militärisch neutral sei. Denn man sei immer auf der Seite jener, die angegriffen würden.

Plakolm nutzte außerdem die Gelegenheit, die Investitionen der Regierung in die Sicherheitsressorts wie das Bundesheer aufzuzählen. Es sei nämlich "nicht das geschriebene Wort, das uns schützt, sondern die Taten, die uns schützen".

SPÖ: "Wie unglaubwürdig kann man sein?"

Auch die anderen Parteien konnten mit dem dringlichen Antrag der FPÖ nichts anfangen. "Wie unglaubwürdig kann man eigentlich sein?", fragte der SPÖ-Abgeordnete Jörg Leichtfried. Dieser hielt den Freiheitlichen vor, dass ihr Vorgänger VdU 1955 als einzige Partei gegen die Neutralität gestimmt habe und die FPÖ später immer wieder für einen Nato-Beitritt eingetreten sei. Von einem "Schmäh" der FPÖ sprach auch der Grünen-Abgeordnete Michel Reimon, schließlich würde niemand einen Nato-Beitritt fordern, dennoch würden die Blauen einen solchen an die Wand malen.

Die Neutralität schütze Österreich nicht, "niemand wird nicht angegriffen, bloß weil er neutral ist", meinte wiederum Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Sie pochte daher vielmehr auf eine Stärkung der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, etwa durch eine "echte europäische Armee". (Sandra Schieder, 25.10.2023)