Im Salzburger Festspielbezirk hatte man schon mehr Grund zum Lachen. Die Causa
Im Salzburger Festspielbezirk hatte man schon mehr Grund zum Lachen. Die Causa "Jedermann" irritiert Künstler und Beobachter.
Foto: APA/Barbara Gindl, Montage: DER_STANDARD

So plötzlich, wie er gekommen war, ist er jetzt wieder weg: 2017 war Michael Sturminger als Regisseur des Salzburger "Jedermann" eingesprungen, sieben Jahre später wurde ihm und dem Ensemble vergangene Woche mitgeteilt, dass sie kommendes Jahr bei den Festspielen nicht mehr mit von der Partie sein werden. Eine ungewöhnliche Kurzfristigkeit, die seither für viel Wirbel sorgt.

Frage: Was ist da los bei den Salzburger Festspielen?

Antwort: Wie am Sonntagabend bekannt wurde, ist vergangenen Mittwoch dem Team des heurigen "Jedermann" mitgeteilt worden, dass bereits für kommendes Jahr eine Neuinszenierung des berühmten Stücks von Hugo von Hofmannsthal mit einem neuen Team geplant ist. Regie und Darsteller werden ausgewechselt, laut dem bisherigen Regisseur Michael Sturminger sind 50 Personen betroffen: darunter so prominente Namen wie der Burgtheater-Schauspieler Michael Maertens, der heuer erstmals den Jedermann gespielt hat, seine Burg-Kollegin Mavie Hörbiger oder die vor allem aus dem Film bekannte Buhlschaft Valerie Pachner. Außer Sturminger und Maertens hat sich bisher allerdings niemand öffentlich zu Wort gemeldet.

Frage: Warum stößt das auf so großes Interesse?

Antwort: Einerseits ist ein solches Vorgehen bei bereits unterzeichneten Verträgen bzw. mündlich erfolgten Zusagen in der Theaterbranche mehr als unüblich. Zweitens betrifft es mit den Salzburger Festspielen eine hoch angesehene Institution und mit den genannten Darstellern Stars. Drittens wurden mit der Uraufführung des "Jedermann" am 22. August 1920 die Salzburger Festspiele überhaupt begründet. Für die Festspiele ist er wirtschaftlich ein wichtiger Umsatzbringer, im Festspielkalender seit 103 Jahren eine programmatische Konstante, und die Öffentlichkeit wird jedes Jahr mit der Präsentation des Outfits der Buhlschaft in Atem gehalten: Farbe, Schnitt, Kleid oder Hose? Auch die Präsentation des Hauptdarstellers und seiner Buhlschaft sind jedes Mal ein großes Brimborium. Der "Jedermann" ist also, kurz gesagt, das wichtigste "Seitenblicke"-Thema der Festspiele. Er ist prominent, aber fürs Publikum erschwinglicher als die großen Opernproduktionen. Alles das macht ihn zur Ikone.

Frage: War der heurige "Jedermann" schlecht verkauft, weil unter anderem wirtschaftliche Überlegungen als Grund genannt werden?

Antwort: Selbst im ersten Corona-Jahr 2020 war der "Jedermann" vor Beginn der Festspiele schon ausverkauft, während für andere Produktionen noch Tickets zu haben waren. Das mag mit Reisebeschränkungen fürs internationale Publikum sowie der Open-Air-Aufführung auf dem Domplatz zu tun haben. Doch der "Jedermann" ist alljährlich ausverkauft, so auch heuer. Die Frage ist, ob man für nächstes Jahr einen Abbruch dieser Erfolgssträhne prognostiziert hat.

Frage: War der heurige "Jedermann" also künstlerisch so schlecht?

Antwort: Nein! Künstlerisch wäre eine Absetzung, zumal so überhastet zu diesem Zeitpunkt, nicht nötig gewesen. Tatsächlich war Sturmingers dritter Anlauf als Regisseur, dieses biedere christliche Moralstück aktuell zu machen, indem er es in eine von Kapitalismus und Klimakollaps gezeichnete Endzeit versetzt, so nah an der Gegenwart wie nie, fand DER STANDARD. Und eigentlich müsste es damit den Vorstellungen des künstlerischen Leiters Markus Hinterhäuser von dem, was Kunst leisten soll, entsprochen haben. Die Produktion ist wegen ihres radikalen Zugriffs aber auch bei Teilen des Publikums sowie manchen Medien wie den für die Festspiele wichtigen "Salzburger Nachrichten", bei "Presse" oder "Süddeutscher Zeitung" auf wenig Gegenliebe gestoßen. Hier wird auch ein Spezifikum des "Jedermanns" schlagend: Auf dem Domplatz findet sich ein anderes Publikum ein als in den Opern- und sonstigen Schauspielpremieren. Der "Jedermann" ist Folklore, er ist ein beliebtes Ausflugsziel auch für die lokale Bevölkerung aus Salzburg und Bayern, die Trachtendichte ist hoch. Aktuelles Theater und dessen Ästhetik stehen beim "Jedermann" weniger im Vordergrund, sind vielleicht sogar hinderlich.

Das nimmt kein gutes Ende: Valerie Pachner als Tod und Michael Maertens als Jedermann heuer in Salzburg.
Das nimmt kein gutes Ende: Valerie Pachner als Tod und Michael Maertens als Jedermann heuer in Salzburg.
REUTERS/LEONHARD FOEGER

Frage: Wer wird 2024 angesichts dessen Regie führen, und wie wird die nächste Inszenierung?

Antwort: Die Neubesetzung stehe schon fest, haben sowohl Schauspielchefin Marina Davydova als auch Intendant Hinterhäuser bereits kundgetan. Eine solche Produktion ohne Alternative abzusagen wäre ohne Not auch höchst unprofessionell gewesen. Namen will man aber noch nicht nennen. Der "Süddeutschen Zeitung" zufolge, die mit Hinterhäuser gesprochen hat, soll es sich um einen internationalen männlichen Regisseur handeln. Man darf angesichts der Begründungen für das überraschende Aus davon ausgehen, dass kommendes Jahr nicht wie heuer auf einem verwüsteten Erdboden herumgekrochen und gespielt werden wird. Der Auftrag "Spielts was Lustiges!" scheint denkbar.

Frage: Wird es nicht teuer, die Zusagen für 2024 zu brechen und eine Neuinszenierung zu produzieren?

Antwort: Natürlich kostet eine Neuproduktion mehr als eine Wiederaufnahme, gerade auch in Zeiten hoher Inflation. Dass auch arbeitsrechtlich Kosten auf die Festspiele zukommen, ist diesen bewusst. Michael Maertens hat schon einen Anwalt – er hat als Einziger aus dem Ensemble einen gültigen Zweijahresvertrag, den er einklagen kann. Über die Jahre bis 2026 will er schon gesprochen haben. Fragt sich, ob die anderen Darstellenden, die nur mündliche Zusagen für 2024 hatten, auch Kompensation einfordern werden? Es wird in der Branche langfristig geplant – wer sich den kommenden Sommer für das gut bezahlte Salzburger Engagement freigehalten hat, hat womöglich etwas anderes dafür abgesagt, was wochenlangen Verdienstentgang bedeuten kann. Juristisch gibt es für Arbeitsverträge keine Formerfordernisse, Verträge können also grundsätzlich auch mündlich abgeschlossen werden. War die Zusage aber tatsächlich rechtsverbindlich gemeint? Oder bloß eine Zusage mit Vorbehalt? Das könnte zur Beweisfrage werden, wenn die Festspiele es auf Streit anlegen. Mündliche Zusagen zu brechen ist in der Theaterwelt jedenfalls nicht gut angesehen. Am Dienstagnachmittag verkündeten die Festspiele per Aussendung, "etwaige vertragliche sowie finanzielle Verpflichtungen für 2024 werden selbstverständlich erfüllt." Was die Jahre 2025 und 2026 angeht, wird in derselben Aussendung festgehalten: "Die Möglichkeit von Wiederaufnahmen in den Jahren 2025 und 2026 wurde vom Leading Team an die Festspiele herangetragen, von Seiten der Festspiele allerdings nie zugesagt."

Frage: Wie lang bleiben die Darsteller normalerweise?

Antwort: Maertens hätte die Rolle bloß für ein Jahr nicht übernommen. Man muss bis 1946 zurückgehen, um mit Ewald Balser einen Jedermann zu finden, der nur eine Saison lang seinen Dienst tat. Wobei früher längere Intervalle Usus waren. Drei, vier, fünf Jahre waren zuletzt normal. Nur zwei Jahre gab Lars Eidinger auf eigenen Wunsch 2021/2022 den Jedermann, was aus Künstlersicht sowie aus Spektakelgründen durchaus sinnvoll ist: Im ersten Jahr sorgt eine neue Inszenierung für Aufsehen, im zweiten bedient sie die Nachfrage noch einmal. Dann ergibt sich für das Festival tendenziell Routine statt Hype. Heutigen Ausnahmekünstlern wird dann zudem schon auch einmal langweilig. Und jeden Sommer mit Festspielen blockiert zu sein, ist für gefragte Darsteller auch unangenehm. Früher war das anders. Die Buhlschaften wechseln traditionell häufiger als die Jedermänner. Warum? Auf sie fokussiert sich jedenfalls noch mehr Aufmerksamkeit als auf die männlichen Hauptdarsteller, das muss man erst einmal aushalten: Verena Altenberger ebenso wie Stefanie Reinsperger waren mit heftigen Pöbeleien in den sozialen Netzwerken konfrontiert, weil sie nicht den optischen Vorstellungen mancher für die Rolle entsprachen.

Frage: Wie lief der Entscheidungsprozess ab?

Antwort: Noch im August, so gibt Sturminger an, hätten er und das Ensemble Zusagen für 2024 bekommen. Ende September soll der Entschluss für einen neuen "Jedermann" gefallen sein. Man habe die letzten sieben Jahre analysiert, diese Analyse sei "auch schmerzhaft" (Hinterhäuser in der "SZ" vom Dienstag) gewesen, die Entscheidung Folge eines "sehr profunden Nachdenkens" und "keine Hauruck-Entscheidung" (Hinterhäuser in der "ZiB 1" von Montagabend). Das Festspieldirektorium – bestehend aus der Präsidentin Kristina Hammer, dem künstlerischen Leiter Markus Hinterhäuser und dem kaufmännischen Leiter Lukas Crepaz – habe einstimmig entschieden, heißt es. Die neue Schauspieldirektorin Marina Davydova hätte so etwas nicht entscheiden können. Dass sie mit dem Bruch also zum Einstand gleich Kante habe zeigen wollen, wie manche meinen, stimmt somit nicht. Kann sich in den wenigen Wochen allerdings tatsächlich so viel in der Einschätzung vom August geändert haben? Hatte man damals schon Gespräche mit anderen geführt und nur deren Zusage abgewartet – und bis dahin das Ensemble beruhigen wollen? Es tun sich in der Causa viele Fragen und Ungereimtheiten auf. Es soll jedenfalls versucht worden sein, Maertens seinen Vertrag 2024 erfüllen zu lassen – Sturmingers Nachfolge habe, berichtete das "Frühjournal" von Ö1 am Dienstag unter Berufung auf Hinterhäuser, aber gebeten, sein Team selber zusammenzustellen.

Frage: Ist die Zeit nun nicht verdammt knapp? Welche Vorlaufzeiten sind üblich?

Antwort: Normalerweise längere – im internationalen Theaterbetrieb wird vorausgeplant. Wobei auch Sturminger einst kurzfristig in die Festspiele eingestiegen ist. Erst Anfang April wurde er 2017 aus dem Hut gezaubert, nachdem mit dem bisherigen Regieteam Mertes/Crouch keine Einigung über eine Weiterentwicklung seiner Inszenierung erzielt werden konnte. Dreieinhalb Monate hatte Sturminger damals Zeit, die Produktion zu stemmen. "Es ist eine arschknappe G’schicht", zitiert die "Süddeutsche Zeitung" am Dienstag Hinterhäuser zum nun anstehenden Zeitplan.

Frage: Ist das Chaos so groß, wie es scheint? Und ist es nicht einer solchen Großinstitution unwürdig?

Antwort: Die Festspiele hätten dem gesamten Ensemble und dem Regisseur vergangenen Mittwoch "unmittelbar nach der Entscheidung" und zügig Bescheid gegeben, heißt es aus Salzburg. Dass dies großteils per Mail geschah, ist eine Stilfrage, über die man diskutieren kann. Dass die Information am Sonntag so unkontrolliert an die Öffentlichkeit gedrungen ist, war aber offensichtlich nicht geplant. Man sieht das auch daran, dass keine Kommunikationsstrategie vorlag. Ein Montagfrüh angekündigtes offizielles schriftliches Statement der Festspiele wurde erst Dienstagnachmittag ausgesandt. Von Festspielpräsidentin Kristina Hammer hat man auch noch nichts gehört. Jedenfalls strahlen die Festspiele international aus – und Künstlern derart unelegant den Vertrag zu kündigen oder Zusagen zu brechen, schadet den Künstlern wie auch den Festspielen. Ob dieser Umgang deren Ruf in der Szene ankratzen wird? Das wird sich zeigen. Mehr Transparenz auch bei der bisher schwammigen Angabe von Gründen für den Schritt hätte jedenfalls gut getan und das nunmehrige Spekulieren gebremst.

Frage: Regisseur Sturminger hat negative Veränderungen in der Leitung der Festspiele angesprochen – was meint er damit?

Antwort: Seit Helga Rabl-Stadlers Abgang aus dem Direktorium (sie war von 1995 bis 2021 Festspielpräsidentin) ist jedenfalls eine Führungsschwäche in Salzburg spürbar. Vor allem der künstlerische Intendant Markus Hinterhäuser scheint von kulturpolitischen Situationen schnell überfordert zu sein und reagierte bei Debatten stur. Ein Streit zwischen ihm und Präsidentin Hammer endete darin, dass Hammer zuletzt die Presseagenden entzogen wurden.

Frage: Wie geht es weiter?

Antwort: Damit der Herausforderungen nicht genug, steht demnächst die Entscheidung über die Verlängerung von Intendant Markus Hinterhäuser an. Dass dieser künstlerisch ein profiliertes Programm liefert, ist das eine. Sein Talent, mit kulturpolitisch schwierigen Situationen umzugehen und diese auch nach außen zu kommunizieren, ist allerdings bescheiden. Die derzeitige Konstellation im Direktorium, vor allem das mangelnde Zusammenspiel von Hinterhäuser und Hammer, zeigt, dass über die grundsätzliche Besetzung der Festspielleitung neu nachgedacht werden sollte. Bleibt Hinterhäuser, braucht er jemanden an seiner Seite, der ihm den Rücken freihält. (Michael Wurmitzer, Stephan Hilpold, 24.10.2023)