Ein Bub steht im Garten und spielt mit einem Gartenschlauch
Eine statistische Annäherung an den Lebensweg eines durchschnittlichen Österreichers bis zu dessen 35. Lebensjahr.
Paul Kranzler

Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm ist eine Provokation. Zumindest für manche. Die 28-Jährige zeigt sich auf Instagram in Loden, spielt Posaune und freut sich jedes Jahr auf das "Woodstock der Blasmusik" in Ort im Innkreis. Das alles kommt auf dem Land gut an, bei den urbanen Linksliberalen weniger. Viel Aufmerksamkeit bekam sie, als Plakolm – damals noch Mitte 20 – aufzählte, was alles zum Erwachsensein dazugehöre: "Man muss a Kind zeugen, man muss a Haus bauen, und man muss einen Baum setzen." Alles am besten noch vor dem Dreißiger.

Plakolm beschrieb damit gleich auf doppelter Ebene ein traditionelles Lebensmodell. Eines, das auf Fortpflanzung und Kernfamilie abzielte. Und eines, dessen Erfülltheit sich anhand einer Strichliste erkennen lässt. Es ist nicht so, als würde so ein Lebensmodell gar nicht mehr angestrebt: Laut den Zahlen des Jugendberichts möchten 49 Prozent der 16- bis 29-Jährigen später im Eigenheim leben, 47 Prozent wollen heiraten, 33 Prozent wünschen sich zwei Kinder. Das ist nicht wenig, aber daneben bleibt viel Platz. Für andere Lebensentwürfe, andere Ziele. Und andere Vorstellungen, was Erwachsensein bedeutet.

Beginnen wir ...

Diese Geschichte beginnt damit, dass wir uns vorstellen, dass ein Kind geboren wird. Ein durchschnittliches österreichisches Kind. Das heißt zum Beispiel: In 20 Prozent der Fälle kommt es in Wien zur Welt, in jeweils 15 Prozent in Nieder- oder Oberösterreich. Ist es ein Junge, würde er im Jahr 2022 statistisch Maximilian heißen, als Mädchen Emma. Die Mutter wäre 31,5 Jahre alt, der Vater drei Jahre älter. Die Geburt ist einer der wichtigsten Knotenpunkte im Leben. Wie hoch ist das Einkommen der Eltern? Welchen Bildungsstand haben sie? Ist Deutsch ihre Muttersprache? All das hat Einfluss auf das spätere Leben des Kindes. Statisch zumindest,

Die kleine Emma oder der kleine Maximilian werden von Babys zu Kleinkindern. Ob sie in eine frühkindliche Betreuung kommen, hängt stark vom Berufsstatus der Mutter und dem Bundesland ab. Sie durchlaufen Kindergarten und Volksschule. Kinder, die nicht Deutsch als Erstsprache haben, beginnen hier schon zurückzufallen. Das System müsste sie viel mehr unterstützen, aber dafür fehlen meist die Ressourcen.

In den folgenden Jahren stehen für Emma und Max viele wichtige Entscheidungen an. Was machen sie nach der Mittelschule? Gehen sie an eine AHS und machen die Matura? Nehmen sie ein Studium auf? Das alles wird stark von der Geburtslotterie beeinflusst. Knapp 80 Prozent der Akademikerkinder machen die Matura, aber nur 37 Prozent der Arbeiterkinder. Die Chance, danach ein Studium aufzunehmen, liegt bei Kindern aus Akademikerhaushalten knapp 25 Prozent höher.

Beruf? Besser später

Die Entscheidung, was Max und Emma einmal beruflich machen werden, fällt in Österreich vergleichsweise früh, was an der Aufteilung auf die berufsbildenden Schulen liegt. Die Vorstellungen des Traumberufs von jungen Menschen zeigen sich sehr stabil: Mediziner, Architektin, Kfz-Mechaniker, sowas halt. Emma wird statistisch in jungen Jahren ein breites Feld an Berufswünschen haben, das sich immer mehr verengt. Am Ende ist die Chance hoch, dass sie in einem klassischen Frauenberuf landet. Einzelhandelskauffrau bei einer Lehre, Psychologin im Fall eines Studiums. Max wird Elektro- oder Metalltechniker oder studiert Betriebswirtschaftslehre.

Wenn Max und Emma Matura machen, werden sie wahrscheinlich eine Phase des Lebens durchmachen, die es so früher nicht gab, zumindest nicht so lang. In westlichen Industrienationen ist zwischen Jugend und Erwachsenenalter die "Emerging Adulthood" getreten. Durch die Bildungsexpansion hat sich der Berufseinstieg signifikant nach hinten verschoben. Junge Menschen machen Praktika, gehen ins Ausland, probieren Dinge aus.

"Emerging Adulthood" zeichnet sich durch Unstetigkeit aus. Die Arbeitsverhältnisse sind noch nicht stabil, die finanzielle Unabhängigkeit von den Eltern ist oft noch nicht ganz erreicht. Beziehungen werden ernst, dauern aber meist nicht ewig. Diese Phase streckt sich heute oft bis zum 30er, gerade unter Akademikern.

Karriere? Nicht zwingend

In den 20ern, beim Einstieg ins Berufsleben, beginnt sich die Einstellung zur Arbeit zu festigen. Wie wichtig ist mir der Job? Will ich Karriere machen? Über die Arbeitseinstellung der Generation Z, also die heute 16- bis 29-Jährigen, gibt es viele Vorurteile. Die meisten sind übertrieben. Zu 80 Prozent werden Emma und Max sagen, dass sie bereit sind, für ihre Karriere hart zu arbeiten. Ihre persönliche Ziele werden natürlich auch mit ihrer Persönlichkeitsstruktur zu tun haben: Haben sie ein Wirtschaftsstudium absolviert, ist der Wunsch, später eine Führungsposition einzunehmen, signifikant höher als in anderen Bereichen. Ein Vorurteil über die Generation Z ist allerdings wahr, obwohl es ebenso auf Millennials, die Generation davor, zutrifft: Der Wunsch nach einer Work-Life-Balance ist signifikant höher als bei den höheren Alterskohorten.

Kinder, keine Kinder?

Auch wenn es die stabilen Partnerschaften, die sich mit Anfang 20 bilden und mit Mitte 20 im Hauskauf gipfeln, noch gibt: Statistisch werden Max und Emma ihren Partner später kennenlernen. In der zweiten Hälfte der 20er, zunehmend online. Wenn sie heiraten, werden sie dabei wesentlich älter sein als Menschen früher. Heiratet Emma in Niederösterreich, ist sie im Schnitt 30,7 Jahre alt, der Bräutigam Max in Vorarlberg 32,5 Jahre. Das Leben schiebt sich im Allgemeinen nach hinten. Die Phase zwischen dem Ende der Jugend und dem stabilen Leben mit fixem Job, Ehepartner und Kindern, sie wird länger.

Die Frage, ob sie Kinder wollen, wird auch für Max und Emma eine der wichtigsten ihres Lebens sein. Der Anteil der Menschen, die eigenen Nachwuchs kategorisch ausschließen, ist noch immer gering. Nur etwa fünf Prozent der Frauen wollen dezidiert keine Kinder. Emma wird statistisch weniger Kinder bekommen, als sie sich wünscht. Ist sie Akademikerin, bleibt sie überdurchschnittlich oft kinderlos. In nackten Zahlen: Eine Emma mit Studienabschluss wird 1,8 Kinder wollen, aber nur 1,5 bekommen. Und das liegt doch auch daran, dass sich die Welt und die Vorstellungen, was man mit 30 Jahren erreicht haben sollten, verändert haben.

Das erfüllte Leben

Das erste Kind verschiebt sich für Frauen wie Männer weiter nach hinten. Da macht nicht nur die Biologie nicht ganz mit. Auch die Partnersuche wird mit 30 plus nicht einfacher, gerade für Akademikerinnen. Was auch daran liegt, dass Männer die Familiengründung gedanklich noch weiter nach hinten schieben, oft jenseits des 40. Geburtstags. Aber weder Max noch Emma müssen zwingend unglücklich sein, wenn sie kinderlos bleiben. Für viele ist die Entscheidung heute ein Prozess: In ihren 20ern denken sie "Schauen wir mal", mit Anfang 30 "Wenn der oder die Richtige kommt".

Heute muss niemand mehr mit 35 Jahren verheiratet sein oder ein Kind haben. Wer es getan hat, ist hoffentlich glücklich damit. Aber die soziale Vorstellung, dass es zu einem "erfüllten" Leben dazugehöre, ist weniger stark. Zwar werden auch Emma und Max Druck verspüren, wenn ihre Freunde rundherum Kinder bekommen und heiraten werden, sie aber nicht. Aber nicht, weil sie sich wie Versager fühlen. Sondern weil sie merken werden, dass sich gewisse Entscheidungen nicht ewig hinausschieben lassen.

Vor allem in der urbanen Akademikerschicht findet man deshalb mit Mitte 30 ein Phänomen, das man vielleicht als Neuorientierung der Ziele und Werte beschreiben könnte. Wenn ich nach einigen Jahren im Job nicht mehr unbedingt weiter nach oben will und meinen Frieden mit dem Gedanken gemacht hab, dass ich keine Kinder haben werde – wofür möchte ich dann leben? Für was werde ich morgens aufstehen? Was ist meine Vorstellung von einem "erfüllten Leben"? Denn das suchen letztlich alle, auch Emma und Max. Auch gerne ohne Haus und Baum. (Jonas Vogt, 20.10.2023)