Die Welt der freien Software hat viele Stärken, das Treffen schwieriger Entscheidungen gehört nicht dazu. Die Vielzahl der unterschiedlichen Stimmen und Meinungen führt dazu, dass es oftmals schwer ist, grundlegende technische Änderungen durchzuführen. Dort, wo kommerzielle Hersteller einfach klare Vorgaben treffen können, kann es rund um Linux und Co schon einmal Jahre dauern, bis sich eine relevante Menge der Beteiligten auf eine gemeinsame Richtung einigt.

Wayland

Geradezu ein Paradebeispiel ist Wayland: Obwohl der indirekte Vorgänger X11 seit vielen Jahren praktisch nicht mehr entwickelt wird, obwohl sich einige zentrale Linux-Firmen schon lange hinter Wayland gestellt haben, gibt es noch immer viele Projekte, aber auch große Firmen, die das Thema ignorieren oder nur halbherzig angehen.

Der Desktop von Gnome
Gnome – hier bei Debian 12 – will sich von der alten X11-Unterstützung trennen.
Proschofsky / STANDARD

Das bedeutet wiederum für Desktop-Projekte und die Distributionen einen deutlich gesteigerten Wartungsaufwand, da man sich mit mehreren Lösungen zur Grafikausgabe und damit auch mit unterschiedlichen Problemen und Defiziten herumschlagen muss. Nun scheint den davon Betroffenen endgültig der Geduldsfaden zu reißen.

Schlussstrich

Das Gnome-Projekt diskutiert derzeit eine vollständige Entfernung der X11-Unterstützung. Ein aktueller Vorschlag sieht dabei vor, bereits in der für März 2024 anvisierten nächsten Version des Desktops die X11-Sitzung zu entfernen. Das würde bedeuten, dass beim Login keine Option zur Nutzung von X11 statt Wayland mehr zur Verfügung steht.

Nun wäre das in Wirklichkeit nur ein minimaler Eingriff, geht es dabei doch um die Entfernung einer wenige Zeilen langen Datei. Allerdings betont das Gnome-Projekt, dass dies nur der Anfang sein soll, in einer späteren Release soll dann auch der zugehörige Code aus dem Desktop entfernt werden. Für diesen zweiten Schritt gibt es noch keinen fixen Zeitpunkt, frühestens im Herbst 2024 oder Frühjahr 2025 dürfte das dann der Fall sein.

Lücken schließen

In dem aktuellen Vorschlag wird betont, dass man sich durchaus bewusst ist, dass es derzeit noch immer Lücken bei Wayland gibt, so sieht man etwa Farbmanagement und bessere Tools zur Barrierefreiheit als "Blocker" für den eigenen Vorschlag an. Beides soll also vor einer Entfernung der X11-Sitzung in den kommenden Monaten fertiggestellt werden. Gleichzeitig werde man aber sicher nicht noch einmal mehrere Jahre den X11-Support mitschleppen.

Die Realität sei: Dass es den X11-Support jetzt noch gibt, sei bereits ein Kompromiss gewesen. Einer, der aber auch dazu geführt hat, dass viele sich einfach überhaupt nicht oder nur wenig um Wayland-Unterstützung gekümmert haben. Insofern müsse man hier einen Schlussstrich ziehen, um Firmen wie Nvidia dazu zu zwingen, endlich das Thema ernst zu nehmen, anstatt der Linux-Welt doppelten Wartungsaufwand umzuhängen. Sonst werde sich nie etwas ändern.

Andere Projekte

Dieser Schritt kommt gewissermaßen mit Ansage. So plant die Linux-Distribution Fedora ebenfalls im Frühjahr 2024 die X11-Sitzung bei Gnome zu streichen. Doch nicht nur das, auch bei der KDE-Ausgabe von Fedora, basierend auf dem kommenden Plasma-6-Desktop, soll nur mehr Wayland unterstützt werden.

Der Gnome-Schritt dürfte trotzdem zweifellos für viel Widerspruch sorgen. So gibt es etwa einige Desktop-Projekte, die auf Gnome basieren, bisher aber den Wandel zu Wayland noch nicht vollzogen haben. Zudem muss sich natürlich zeigen, wie Nvidia auf die Ankündigung reagiert, also ob man endlich den Support für Wayland vervollständigt.

Betont sei, dass das keineswegs heißt, dass alte Anwendungen nicht mehr funktionieren. Dafür gibt es Xwayland, über das X11-Programme unter Wayland angezeigt werden können. Dieses wird sicher noch über viele Jahre als Brückenlösung zur Verfügung stehen, ist doch die Schar der Programme, die kaum mehr auf Wayland aktualisiert werden, einfach zu groß. (Andreas Proschofsky, 16.10.2023)