Fühlt man sich nicht gut, wirft man schnell mal eine Tablette ein. Dabei steht dem Körper eine riesige innere Apotheke zur Verfügung. Man muss nur den richtigen Schlüssel haben, um diese zu öffnen.
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Es kratzt im Hals. Der Kopf ist schwummrig, und die Nase beginnt auch schon zu rinnen. Kaum ist der Herbst da, sind zuverlässig auch die diversen Schnupfen- und Erkältungsviren wieder aus dem Urlaub zurück. Das fühlt sich nicht gut an, und man ist schnell dazu verleitet, sich diverse Pharmazeutika einzuwerfen. Schließlich wissen wir doch alle, dass es einem mit den richtigen Tabletten in null Komma nichts wieder besser geht.

Dabei wäre es das beste Rezept, die Selbstheilungskräfte unseres Körpers zu nutzen. Wir können den Körper nämlich auf unterschiedliche Arten dabei unterstützen, gesund zu bleiben oder zu werden. Wie das genau geht, weiß der Allgemein- und Notfallmediziner Ronny Tekal, auch bekannt als Ö1-Radiodoktor. Das hat er außerdem für sein neues Buch "Deine innere Apotheke" aufgeschrieben. Im STANDARD-Interview erzählt er, über welche Heilsubstanzen unser Körper verfügt, warum manchmal ein ärztlicher Voodoo-Akt nötig ist und was die wichtigste Erkenntnis seiner beruflichen Praxis ist.

STANDARD: Der Körper, sagen Sie, ist eigentlich ein Arzt mit integrierter Apotheke, er kann sich selbst heilen. Wie kann man sich das vorstellen? Was kann unser Körper alles?

Tekal: Im Prinzip alles und vor allem viel mehr, als wir ihm zutrauen. Die besten Medizinerinnen und Mediziner, die besten Medikamente wären nutzlos, wenn der Körper nicht so gut arbeiten würde. Er kann Viren unschädlich machen, Wunden verheilen oder Knochen zusammenwachsen lassen, Zellen reparieren und mehr. Deshalb sollten wir ihm ein bisschen mehr vertrauen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn man sich ein Bein bricht, dann kann eine Chirurgin oder ein Arzt die gebrochenen Knochen wieder zusammenführen, womöglich auch mit Schrauben oder Platten. Den Rest übernimmt dann aber der Körper selbst. Der sorgt dafür, dass der gebrochene Knochen tatsächlich auch wieder zusammenwächst.

Er produziert auch seine eigenen Medikamente. Die Arzneien, die wir aus der Apotheke beziehen, sind im Grunde nichts anderes als Substanzen, die jenen nachgemacht sind, die unser Körper selbst herstellt und die an bestimmten Rezeptoren andocken. Das heißt, wir müssen nur die richtigen Methoden und Schlüssel finden, die die Tür zu dieser inneren Apotheke aufsperren, damit sie dann das im Körper selbst produzierte Präparat zur Verfügung stellt.

STANDARD: Was sind das für Medikamente, und wie kann man sie nützen?

Tekal: In erster Linie sind das unsere Hormone. Die sind sozusagen die Sprache des Körpers, sie stoßen Prozesse an oder stoppen andere. Hormone können als Aufputschmittel wirken, als Antidepressivum, als Aphrodisiakum, als Beruhigungsmittel oder als Schmerzlinderer. Sie regeln aber auch das Körpergewicht, den Stresshaushalt, den Stoffwechsel, das Wachstum und die Fruchtbarkeit.

Neben den Hormonen hat der Körper aber auch noch andere Medikamente. Fieber ist so eines, das heizt den Krankheitserregern ein und killt sie damit. Das Immunsystem produziert Stoffe und Proteine, die man als körpereigene Antibiotika bezeichnen kann. Und dann gibt es noch das Mikrobiom im Darm, die dort heimische Bakterienvielfalt. Die arbeitet eng mit dem Immunsystem zusammen und beeinflusst vermutlich mehr Vorgänge im Körper, als wir erahnen.

Prinzipiell stehen diese "Medikamente" natürlich immer zur Verfügung. Und man kann dem Körper dabei helfen, auf sie zuzugreifen. Ernährung, Bewegung und ausreichend Entspannung sind die Schlüssel, die diese Türen öffnen, außerdem viele kleine Tricks, die ich in meinem Buch beschrieben habe.

STANDARD: Wie kann man sich das konkret vorstellen?

Tekal: Das sind im Grunde ganz viele kleine Dinge, die man ins tägliche Leben einbaut. Dopamin ist ein recht gutes Beispiel. Dieses Hormon hat viele Aufgaben im Körper. Vielen ist es als Glückshormon geläufig, weil es Glücksgefühle auslöst, wenn man etwas abgeschlossen oder gut gemacht hat und gleichzeitig für weitere Motivation sorgt. Es steht aber auch mit Erkrankungen wie Parkinson in Verbindung, da hat man zu wenig davon. Oder mit Suchtproblemen, vor allem bei Spiel- oder Drogensucht. Da ist man dann regelrecht süchtig nach dem Dopaminkick. Auf jeden Fall kann man den Körper dazu animieren, dieses Hormon permanent zu produzieren, und sich so regelmäßig sein kleines Glücksgefühl abholen. Es kommt nämlich immer dann, wenn wir eine Aufgabe erfüllt haben. Zum Beispiel wenn man endlich eine Parkplatzlücke gefunden und erfolgreich eingeparkt hat. Wenn man den Bus gerade noch erwischt hat. Wenn man die Präsentation abgegeben hat. Oder wenn man der Zeitung ein Interview gegeben hat.

Das Problem ist nur, dass wir das oft gar nicht mehr bemerken, wir holen uns dieses kleine Glücksgefühl nicht ab. Deshalb sollte man nach einer abgeschlossenen Aufgabe kurz innehalten und das gute Gefühl genießen. Je öfter man das macht, desto größere Glücksbahnen entstehen im Gehirn. Das heißt, man fühlt sich nicht nur unmittelbar besser, das beeinflusst tatsächlich auch die Neuroplastizität des Gehirns.

STANDARD: Gibt es ein ähnliches Beispiel für Pharmazeutika? Die sind ja im Grunde nur Nachahmungen von körpereigenen Mitteln, sagen Sie ...

Tekal: Ein sehr gutes Beispiel dafür sind die neuen Diabetesmittel wie Ozempic und Wegovy, die seit etwa einem Jahr als extrem erfolgreiche Abnehmmittel Schlagzeilen machen. Elon Musk und Kim Kardashian haben sie mit ihren Erfolgsberichten so gut beworben, dass es mittlerweile nicht einmal mehr genug davon für Diabetesbetroffene, die sie dringend brauchen, gibt. Der Wirkstoff darin heißt Semaglutid und ist ein GLP-1-Analogon. GLP-1 ist ein Peptidhormon, das das Hungergefühl unterdrückt und den Blutzuckerspiegel reguliert. Und Analogon bedeutet, dass es dem nachgemacht ist. Man hat also einen körpereigenen Wirkstoff nachgebaut und daraus ein extrem erfolgreiches Medikament gemacht.

Eine ähnliche Wirkung kann man aber auch ohne dieses Medikament erreichen, zum Beispiel mit proteinreicher Kost. Das bedeutet nicht, man darf keine Kohlenhydrate mehr essen. Aber es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die Reihenfolge der Nahrungsmittel eine Rolle spielt. Wenn ich mit dem Eiweißhaltigen beginne und die Kohlenhydrate erst danach esse, dann kann das einen ähnlichen Effekt auslösen. Auch Gewürze können in diesen Mechanismus eingreifen, Kurkuma und Zimt zum Beispiel.

STANDARD: Und trotz all dieser Fähigkeiten des Körpers werden Menschen immer wieder krank. Es gibt also auch vieles, was der Körper nicht oder nicht mehr kann. Wie kann man ihn dann unterstützen?

Tekal: Der Körper hat einen großen Spielraum, in dem er sich bewegt. Man kann sich das wie eine Feder vorstellen, die man stark dehnen kann und die dann wieder in ihre Ausgangsposition zurückfedert. So ähnlich ist das auch bei den Selbstheilungskräften. Wenn man die Feder aber zu sehr auseinanderzieht, kann sie sich irgendwann nicht mehr zusammenziehen. Und genau solche Grenzen, die ihn schlicht überfordern, gibt es auch beim Körper.

Ein sehr einfaches Beispiel dafür ist ein gebrochener Knochen. Der wächst zwar wieder zusammen, aber nur, wenn es auch eine Verbindung gibt. Berühren sich die gebrochenen Teile nicht, wird nichts passieren. Deshalb muss man ihn einrichten oder auch mit Platten oder Schrauben verbinden, das sind wichtige Hilfsmittel.

Dasselbe Prinzip gilt für schwere Erkrankungen wie zum Beispiel Krebs. Früher hatte man nur die Chemotherapie zur Verfügung, die, vereinfacht gesagt, den Körper so weit vergiftet hat, dass die Zellen abgestorben sind. Am schnellsten wachsen die Krebszellen, darum sind die als Erstes abgestorben, und man konnte mit der Chemo aufhören. Mittlerweile gibt es bei vielen Krebsarten die Immuntherapie. Die versucht, das Immunsystem des Körpers so zu unterstützen, dass es den Krebs selbst erkennen und zerstören kann. Diese Therapie steckt noch in den Kinderschuhen, und sie hat natürlich auch Nebenwirkungen. Aber die Grundidee dahinter ist, dass man den Körper in seinem eigenen Tun unterstützt, statt etwas kaputtzumachen.

Buchcover Innere Apotheke
Das neue Buch von Ronny Tekal, "Deine innere Apotheke", ist im Goldegg-Verlag erschienen.
Goldegg

STANDARD: Wie sieht es mit den sogenannten Lifestyle-Erkrankungen aus, Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes und Ähnliches? Wurde da auch die Feder überdehnt?

Tekal: Ja, das kann man wahrscheinlich schon so sagen. Wobei es bei all diesen Krankheiten keine Kausalität gibt, nur eine Korrelation. Deshalb bekommt auch nicht jeder schwere Raucher Lungenkrebs oder COPD. Das soll aber keinesfalls ein Freibrief für das Päckchen Zigaretten vor dem Frühstück sein.

Und nicht jeder Sportmuffel bekommt Diabetes oder Bluthochdruck. Die Menschen sind sehr individuell, manche können einiges viel besser wegstecken als andere, und man weiß in Wirklichkeit nicht genau, warum das so ist. Deshalb sollte man Ratschläge für eine bessere Gesundheit auch immer auf die Person zuschneiden. Wenn ich einer übergewichtigen Person sage, sie soll laufen gehen, wie es immer noch oft passiert, macht sie sich womöglich die Knie kaputt, und das schadet der Lebensqualität auch sehr. Besser wäre dann eine gelenkschonendere Art der Bewegung.

STANDARD: Es gibt so viele Regeln und Anleitungen, was gesundes Leben anbelangt, wie weiß ich dann, was mir guttut und was nicht?

Tekal: Wir sollten wieder mehr in uns hineinspüren, darauf achten, womit wir uns besser fühlen. Und was keine Besserung oder womöglich sogar eine Verschlechterung bringt. Das weiß nämlich an sich jeder und jede. Natürlich spielen Genetik und Konstitution für die eigene Gesundheit eine große Rolle. Aber darauf aufbauend kann man vieles selbst beeinflussen. Und da gilt es, abgesehen von den aktuellsten Gesundheitserkenntnissen, eben in sich hineinzuspüren, wie gut man das selbst verträgt. Früher hat es zum Beispiel geheißen, zu viel Kaffee fördert das Darmkrebsrisiko. Heute weiß man, dass er es sogar senkt.

Es ist auch allgemein anerkannt, dass Omega-3-Fettsäuren besonders gut für uns sind. Mittlerweile gibt es aber auch Studien, die nahelegen, dass sie für Menschen mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen womöglich gar nicht so gesund sind.

Und man muss natürlich ehrlich mit sich selbst sein. Auch wenn einem beispielsweise die Zigarette noch so gut schmeckt, wenn man ganz ehrlich und ernsthaft hinspürt, dann merkt man wahrscheinlich schon, dass einem die nicht guttut ...

STANDARD: Genau da hapert es aber oft. Warum sind so viele Menschen nicht ehrlich mit sich selbst?

Tekal: Das ist eine gute Frage. Wir machen alle und oft viele Dinge, die uns nicht guttun. Wir rauchen, wir trinken Alkohol zur Entspannung, wir essen Junkfood, weil es schnell geht, wir sind in toxischen Beziehungen, wir machen noch schnell ein Projekt fertig, obwohl wir eigentlich schon am Anschlag sind. Und es gibt immer irgendein Motiv, mit dem wir das rechtfertigen.

Wichtig ist, dass man die Balance hält. Denn so manche Dinge, von denen wir wissen, dass sie uns nicht guttun, erleben wir als Genuss. Man kann schon einmal ein paar Gläser Wein trinken oder das extragroße Stück Torte essen. Wichtig ist, dass man dabei einen Lustgewinn hat und kein schlechtes Gewissen. Wenn man schon "sündigt", dann bitte mit Freude daran.

STANDARD: Was ist das für Sie Faszinierendste in Ihrer täglichen Praxis als Arzt?

Tekal: Der Placeboeffekt. Der ist im Prinzip nichts anderes als die Wirkmacht des eigenen Körpers und die Fähigkeit, sich selbst zu behandeln. Mich beeindruckt immer wieder aufs Neue, wie groß dieser Effekt ist. Mittlerweile gibt es auch jede Menge Forschung dazu, und die unterstreicht im Grunde alles, was ich in meinem Buch schreibe.

Ich geben Ihnen ein Beispiel. Ich mache ja auch Hausbesuche und komme dabei zum Beispiel immer wieder zu Menschen mit Rückenschmerzen oder anderen akuten Schmerzen. Sehr oft wollen die dann eine Spritze haben. Das gleiche Mittel gibt es in vielen Fällen auch als Tablette, aber nein, es muss die Spritze sein. Die ist eine Art heiliger Akt, wie ein ärztlicher Voodoo-Zauber. Obwohl die Tablette pharmakologisch gesehen denselben Wirkstoff beinhaltet, sorgt die Spritze dafür, dass die Schmerzen stärker nachlassen. Das wurde auch wissenschaftlich untersucht. Man weiß, dass Schmerzen stärker oder weniger stark abnehmen, je nachdem, welche Information die Betroffenen über die eingesetzten Schmerzmittel bekommen. Und da wurden wirklich potente Schmerzmittel untersucht, aus der Gruppe der Opiate. Das finde ich schon sehr faszinierend.

STANDARD: Und was ist das Wichtigste, das sie in Ihrer beruflichen Praxis gelernt haben?

Tekal: Dass jeder Mensch anders ist. Was für den einen genau das richtige Heilungsmittel ist, wäre für eine andere gänzlich unpassend. Um das zu erkennen, ist natürlich die Fähigkeit zur Empathie nötig. Als Arzt oder Ärztin muss man sich in sein Gegenüber ein bisschen hineinfühlen können, man muss auf die individuelle Geschichte eingehen.

Ohne Untersuchungsbefunde geht es natürlich nicht. Aber dann kommt das Befinden, und das ist mindestens genauso wichtig. Manche Patientinnen haben einen furchtbaren Befund, und sie spüren im Vergleich wirklich wenig. Bei anderen Patienten kann man fast nichts nachweisen, und sie leiden furchtbar. Geht man darauf ein, hilft das, die innere Apotheke zu aktivieren.

Und noch eines habe ich gelernt: Es gehört dazu, dass man seinen Körper spürt, auch wenn es manchmal unangenehm ist oder zwickt. Man muss nicht immer gleich etwas dagegen einnehmen. Wir wollen, dass unser Körper lautlos arbeitet, ohne Schmerzen, ohne Ausdünstungen, er soll einfach funktionieren und ansonsten Ruhe geben. Dabei ist es genau dann, wenn er sich zu Wort meldet, wichtig, ihm zuzuhören, statt das wegzudrücken. Weil das ist die Art und Weise, wie unser Körper mit uns kommuniziert. (Pia Kruckenhauser, 3.10.2023)