Schild mit der Aufschrift 'Landesgericht für Strafsachen Wien'.
Ein Teenager, der IS-Videos gepostet hat, beschäftigt einen Schöffensenat am Straflandesgericht.
APA / GEORG HOCHMUTH

Wien – "2021 war überhaupt nicht so Ihre beste Phase, oder?", will Anna Marchart, Vorsitzende des Schöffengerichts, vom Angeklagten S. wissen. "Nein", gibt der 19-Jährige zu. Einerseits soll er vor zwei Jahren bei der Station Handelskai mit einer Soft-Air-Pistole auf einen Unbekannten geschossen haben, ohne ihn zu verletzen. Dann kam der Diebstahl von zwei Dosen Red Bull und schließlich die schwerwiegendsten Vorwürfe des Staatsanwaltes: Der Arbeitslose soll im Oktober und November Videos, in denen die Terrororganisation "Islamischer Staat" verherrlicht wurde, an Freunde geschickt beziehungsweise auf Instagram gepostet haben.

Grundsätzlich bekennt sich der 2019 zum Islam konvertierte Ukrainer wie schon im Ermittlungsverfahren für schuldig. Ja, er habe die Naschids, eine arabische Liedform in Sprechgesang, veröffentlicht. Ja, in einem Video habe er einen Ring gezeigt und sein Gesicht mit einer hineinmontierten schwarzen Fahne, die an den IS erinnert, unkenntlich gemacht. "Ganz ehrlich: Wenn Sie sich das anschauen, was denken Sie heute?", will Marchart von S. wissen. "Dass es entweder ein IS-Anhänger ist oder ein Möchtegern-IS-Anhänger", gibt der Angeklagte zu.

Ein wenig versucht er dann doch zu relativieren – er habe eigentlich gar keine Werbung für die Terrororganisation machen wollen, behauptet er. Und er führt einen Rechtsirrtum seinerseits an: "Ich dachte immer, dass man den IS nur physisch unterstützen kann. Aber mittlerweile haben sie mir bei der Beratungsstelle Extremismus erklärt, dass es auch psychisch geht." Sein Verteidiger merkt zugunsten seines Mandanten an, dass der Vorbestrafte freiwillig zum Verein Derad beziehungsweise zur Beratungsstelle Extremismus gegangen sei, um sich mit der Problematik auseinanderzusetzen. Bei Derad habe er allerdings für die Betreuung zahlen müssen, "und es war sehr teuer", meint der Angeklagte, der über kein Einkommen verfügt. Die Beratungsstelle Extremismus würde er aber gerne weiter besuchen, ist S. auch mit einer entsprechenden Weisung einverstanden.

Terrorpropaganda als Aufreißtrick

Nach einigem Hin und Her gesteht er schließlich doch zu, dass es ihm bewusst war, dass die Lieder IS-verherrlichend gewesen seien. Er liefert aber auch ein anderes Motiv für die Verbreitung: "Um ehrlich zu sein, ich wollte auch cool sein", sagt er, sowie: "Man hat Mädchen gefunden." Außerdem habe er damals Probleme mit seinem alleinerziehenden Vater gehabt und sei mit einem schlechten Umfeld unterwegs gewesen. "Wo sehen Sie sich in fünf Jahren?", will ein Schöffe von S. wissen. "Ich sehe mich als Elektrotechniker", antwortet der Angeklagte. Er sei bereits acht Monate in einer entsprechenden Lehre gewesen, allerdings habe ihn sein Chef hinausgeworfen, als er vom ersten Strafverfahren wegen schwerer Körperverletzung erfahren hat. Mittlerweile besuche er aber ein Jugendcoaching und ist zuversichtlich, seinen Traumberuf erlernen zu können.

Da der Angeklagte wirklich reumütig wirkt, spricht sich sogar der Staatsanwalt in seinem Schlussplädoyer für eine neuerliche, letztmalige bedingte Strafe aus. Auch der Verteidiger beteuert, dass S. damals "auf der Welle mitgeschwommen" sei und sich geändert habe. "Es tut mir schrecklich leid, dass ich damals so dumm war", bedauert der Angeklagte selbst in seinem Schlusswort.

Nach kurzer Beratung verkündet Marchart das Urteil: 20 Monate Freiheitsstrafe, bedingt auf drei Jahre. Zusätzlich erhält S. die Weisungen, weiter zur Beratungsstelle Extremismus zu gehen und eine Therapie bei der Männerberatung zu beginnen. Auch Bewährungshilfe wird verfügt. "Sie machen auf mich einen sehr reflektierten Eindruck", begründet die Vorsitzende die Entscheidung. "Ich bin sehr optimistisch, dass das bei Ihnen nur eine Phase war", zeigt sie sich zuversichtlich. Während der Angeklagte das Urteil annimmt, gibt der Staatsanwalt keine Erklärung ab, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 13.9.2023)