Thomas Ettl mit der Figur, die er führt.
Thomas Ettl ist mit dem Kasperl eng verbunden. Von politischer Korrektheit hält er wenig, sensibel will er dennoch sein.
Heribert Corn

Die wahre Attraktion des Kasperltheaters ist natürlich das Krokodil, das sich immer aus jener Richtung nähert, in die der Kasperl gerade nicht schaut. Das treibt die Kinder in eine regelrechte Raserei, da wird gekreischt und gequietscht, da wird herumgefuchtelt oder auch bange die Hand in den Mund gesteckt. Thomas Ettl, der hinter der Figur des Praterkasperl steckt, weiß, wie man die Kinder mitnimmt und bei Laune hält. Das Ritual zur Begrüßung – Seid ihr alle da? – gerät bereits zum Spektakel, bei dem sich alle die Seele aus dem Leib schreien. Im Idealfall auch die Ausgewachsenen, wenn sie ihre Schüchternheit fallen lassen.

Mütter verdrehen Augen

Das Rahmenprogramm ist immer das gleiche – und es ist weit davon entfernt, politisch korrekt zu sein. Das Krokodil wird vom Kasperl mit der Pritsche geschlagen, da verdrehen manche Mütter schon die Augen. Aber den Kindern gefällt’s – und den meisten Ausgewachsenen auch. Das Krokodil sorgt jedenfalls für eine Riesenaufregung im Publikum, und wenn dann noch der Teufel erscheint und die Großmutter entführt, ist das für viele Kinder ein richtig banger Moment, der sie mitunter auf den Schoß der Eltern flüchten lässt.

Seit ein paar Wochen sprengt Prinzessin Immerschön allerdings den Rahmen des üblichen Programms. Die Prinzessin will nämlich Ritter werden. Und die Ritterinnenschule besuchen. Das bereitet nicht nur ihrem Vater, dem König, sondern auch dem Kasperl Kopfzerbrechen. Es heißt nämlich DIE Prinzessin und DER Ritter. Das passt nicht zusammen, da kann man nicht so einfach tauschen oder wechseln. Eine Prinzessin kann kein Ritter werden. Hier werden sensible Rollenmodelle infrage gestellt.

Der Kasperl mit einer Frauenfigur. Die Prinzessin will Ritter sein.
Auch im Kasperltheater müssen die Frauen um Anerkennung und Gleichberechtigung kämpfen. Aber sie setzen sich durch.
Heribert Corn

Letztendlich beweist die Prinzessin aber Mut und Geschick, besiegt den Teufel und empfiehlt sich für weitere Abenteuer. Das müssen auch der Kasperl und der König einsehen. Dem Besuch der Ritterinnenschule steht nichts mehr im Wege. Die Kinder im Publikum nehmen es ganz unterschiedlich hin. Manche mit Genugtuung, für viele ist das ganz selbstverständlich, für andere ein Lernprozess.

Thomas Ettl, der Mann hinter (oder unter) der Kasperlfigur, hat mit politischer Korrektheit nichts am Hut, sagt er, er pfeift sogar drauf, sehr bewusst. Zumindest auf das, was weite Kreise unter Political Correctness verstehen. Der Kasperl macht Scherze über den dicken Popo einer Fernsehmoderatorin oder über die großen Ohren eines gewesenen Kanzlers, den er offenbar nicht sehr mag. Damit die Eltern im Kasperltheater auch was zum Lachen haben. Solche Scherze will sich der Kasperl nicht verbieten lassen, auch wenn sie nicht alle für sehr angebracht halten.

Das Stück mit der Prinzessin hat Ettl mit seiner 23-jährigen Tochter entwickelt, der Feminismus ein großes Anliegen ist. Ihm übrigens auch, behauptet er. Der Kasperl wird allerdings keinesfalls gendern, sagt Ettl, er selbst gendert schon. Das Thema sei ihm, also Ettl, aber auch dem Kasperl, ein Anliegen.

Was die Prinzessin kann

Es sei wichtig, sich mit den Rollenklischees auseinanderzusetzen, auch der Kasperl sei lernfähig. Dass die Prinzessin mehr kann, als man ihr zuerst zutraut, sei auch eine Botschaft an das Publikum. "Jungs mit Migrationshintergrund sehen das zuerst anders", sagt Ettl, "aber die nehmen da hoffentlich etwas mit."

Und die Scherze über die zwei Popos der Barbara Karlich? Ist das nicht sexistisch? "Ja, doch", räumt Ettl ein, "aber die Karlich hält das aus. Es ist ein harmloser Schmäh. Der Kasperl darf das." Aber vielleicht lernt auch der Kasperl dazu.

Der Kasperl wolle keinesfalls belehren oder erziehen, beharrt Ettl, das sei Aufgabe der Eltern. "Aber der Kasperl kann schon einmal seinen Finger wo drauflegen, worüber man nachdenken soll und was man vielleicht anders machen kann", sagt Ettl. "Aber der Kasperl wird niemals woke sein."

Der Kasperl müsse politisch unkorrekt sein, er setze sich selbstverständlich über gesellschaftliche Normen hinweg und schieße gelegentlich auch über das Ziel hinaus. "Eine Puppe darf alles sagen", meint Ettl. Es gebe aber Grenzen. Der Kasperl sei etwa nicht ausländerfeindlich. Ist er links? Ettl: "Wenn links sein bedeutet, dass man sich um die Umwelt schert, dass man Kinder fördert und sich dafür einsetzt, dass alle die gleichen Chancen haben, dann ist der Kasperl wohl links."

Der Kasperl und das Krokodil geraten regelmäßig aneinander. Dass dass Krokodil mit der Pritsche geschlagen wird, ist für Thomas Ettl ganz normal.
Heribert Corn

Regelmäßig Prügel

Als Ettl gemeinsam mit Elis Veit 1988 das Kasperltheater im Prater übernahm, bekam der Kasperl die Pritsche wieder. Und schlug damit das Krokodil. Dass das arme Krokodil regelmäßig Prügel einstecken muss, ist vielleicht auch nicht mehr ganz zeitgemäß. "Das ist ein richtig kathartisches Erlebnis für die Kinder", hält Ettl dem entgegen, "auch für die Erwachsenen." Die Vorwürfe, dass der Kasperl gewalttätig sei, gab es, sie seien mittlerweile verstummt.

"Die Figuren im Kasperltheater sind alle Teil einer Persönlichkeit." Die Gier, die Freude, das Durchwursteln, das Ordnungsliebende und das Chaos, das werde auf verschiedene Figuren aufgedröselt. "Und seien wir ehrlich", sagt Ettl, "jeder will jemandem einmal gerne eine drüberziehen. Das macht der Kasperl für uns. Und die Kinder wissen ganz genau, dass es nur ein Spiel ist, was sie sehen."

"Eigentlich ist das Krokodil gar kein Bösewicht"

Der Kasperl im Interview über seinen Widerpart und die Frauen an seiner Seite

Der Kasperl residiert im Prater, ist aber auch viel unterwegs. Immer mit dabei ist das Krokodil, eine schwierige Beziehung.

STANDARD: Warum ist das Krokodil böse?

Kasperl: Eigentlich ist das Krokodil gar kein Bösewicht. Das Krokodil hat nur ein Problem: Es ist immer hungrig. Wenn das Krokodil glaubt, dass es mich auffressen muss, muss ich leider draufhauen.

STANDARD: Musst Du es immer mit der Pritsche hauen? Hilft da nicht auch ein klärendes Gespräch? Gewalt kann doch nicht die Lösung sein.

Kasperl: Das Gespräch hilft nicht. Sobald ich gesagt habe "Wollen wir drüber reden?", hätte das Krokodil schon zugeschnappt.

Der Kasperl und das Krokodil, eine gewalttätige Beziehung.
Heribert Corn

STANDARD: Gibt es eigentlich eine Frau an Deiner Seite?

Kasperl: Es gibt die Omi. Die ist ganz wichtig. Es gibt auch die Gretl. Die ist manchmal da und manchmal nicht. Die lebt woanders. Aber hin und wieder doch gerne auch bei mir.

STANDARD: Was ist Dein liebster Schmäh?

Kasperl: Der Karlich-Schmäh ist mir der liebste. Der mit den zwei Popos. Der wird auch von den Ausgewachsenen schon hin und wieder eingefordert.

STANDARD: Womit holst Du die Kinder am besten ab?

Kasperl: "Seid ihr alle da?" Und noch bevor der Vorhang aufgeht: "Eins, zwei, drei, vier, sind überhaupt schon Kinder hier?" – und alle schreien "Ja!". Dann sag ich: "Fünf, sechs, sieben, acht, hab gar nichts gehört, gute Nacht." Da gehts schon ab.

STANDARD: Hast Du eigentlich noch Lampenfieber vor Deinen Auftritten?

Kasperl: Nein, nicht wirklich. Wer mit dem Krokodil umgehen kann, hat vor Lampen keine Angst.

STANDARD: Gibt es Kinder, die Du gar nicht aushältst?

Kasperl: Nein. Schwierig wird es, wenn die Kinder nicht und nicht ruhig sein wollen. Die große Kunst ist nicht, die Kinder raufzubringen, sondern sie wieder runterzubringen, wenn Du gerne hättest, dass sie Dir zuhören. Das funktioniert in 99 Prozent der Fälle aber wunderbar. (Michael Völker, 10.9.2023)