Für Fred Mandelbaum waren Zeitmesser ursprünglich Arbeitsgeräte. Er stamme noch aus einer Zeit, wo der mechanische Chronograf in der Produktion unerlässlich war, gibt er zu Protokoll. Aus dieser professionellen Beziehung erwuchs schließlich eine Sammelleidenschaft. Der Wiener Unternehmer, heute hauptberuflich mit Computerlösungen, industriellen Steuerungssystemen und interaktiven, webbasierten Technologien beschäftigt, gilt weltweit als Experte für Vintage-Chronografen. Besonders angetan hat es ihm Breitling. Auch wenn es ihm die Marke nicht immer leichtgemacht hat, wie wir noch erfahren werden: Sie habe beim Thema Chronografen immer schon mit Innovationen überzeugt, bekundet Mandelbaum.

Der monetäre Wert einer Uhr sollte beim Sammeln niemals im Vordergrund stehen, meint Fred Mandelbaum. Er warnt davor, Zeitmesser als Investment zu begreifen.
Der monetäre Wert einer Uhr sollte beim Sammeln niemals im Vordergrund stehen, meint Fred Mandelbaum. Er warnt davor, Zeitmesser als Investment zu begreifen.
Breitling

STANDARD: Stimmt es, dass Sie die wertvollste Sammlung von Breitling-Chronografen besitzen?

Mandelbaum: Ja, mit Sicherheit. Aber ich halte diesen Superlativ für komplett irrelevant.

STANDARD: Warum das?

Mandelbaum: Wenn man sammelt, sich von dieser Unvernunft anstecken lässt, dann steht der monetäre Wert nicht im Vordergrund. Ich bin der Allerletzte, der irgendjemandem vormacht, dass das eine wunderbare Geldanlage ist. All diese Bewertungen sind immer nur Momentaufnahmen.

STANDARD: Für manche gelten Uhren allerdings als wertstabiles Investment.

Mandelbaum: Ich kann mich an ein Gespräch in den frühen 1990er-Jahren mit einem großen Sammler aus einer sehr bekannten österreichischen Industriellenfamilie erinnern: Der meinte, niemand sammelt Armbanduhren, Taschenuhren seien das einzig Wahre. Wir alle wissen, wie daneben er mit dieser Behauptung lag. Da haben Menschen sehr, sehr viel Geld verloren. Und deshalb warne ich davor, die Uhr als sogenannte Asset-Class zu sehen. Ich finde aber, sie gehört zu den ganz wenigen Sachen, die einem eine garantierte Rendite bringen: in Form von Freude. Nur darum sollte es gehen. Und je mehr man zum Kenner wird, desto mehr Freude macht sie einem. Es ist leicht für jemanden, der Geld hat, tausend Uhren zu besitzen. Damit hat er aber noch keine relevante Sammlung.

Es sind vor allem Vintage-Chronografen mit besonderer Geschichte, die Fred Mandelbaum sammelt. Links sieht man eine Reihe Premiers Duographs und Datoras von Breitling aus den 1940ern.
Es sind vor allem Vintage-Chronografen mit besonderer Geschichte, die Fred Mandelbaum sammelt. Links sieht man eine Reihe Premiers Duographs und Datoras von Breitling aus den 1940ern.
Breitling

STANDARD: Was macht eine Sammlung relevant?

Mandelbaum: Ich sammle Uhren, die einen wichtigen Input für die Entwicklung des Chronografen geleistet haben – in technischer Hinsicht, im Hinblick auf das Design, weil sie eine spannende Historie haben. Selbstverständlich versuche ich eine Uhr zu finden, die im besten Zustand überlebt hat. Es geht um Relevanz, Qualität und Originalität. Ich habe Freunde, die haben weniger als zehn Uhren und trotzdem eine Sammlung von Weltruf. Ich kenne aber auch Leute, die wollen beeindrucken mit großen Kisten, die mit Zeitmessern gefüllt sind. Kein einziger davon ist relevant.

STANDARD: Sagen Sie diesen Personen das dann auch?

Mandelbaum: Ich versuche freundlich zu bleiben. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Herzen ich schon gebrochen habe, weil ich jemandem, der mir stolz eine alte Breitling gezeigt hat, sagen musste: Es tut mir leid, das ist eine Fälschung. Das passiert schrecklich oft, und es schmerzt immer wieder, weil die Leute zum Teil viel Geld ausgegeben haben. Egal, auf welche Plattform man geht, man wird hunderte Einträge mit "ultrararen" Uhren finden. Nur: Rar und selten ist daran gar nichts. Um eine seltene Uhr zu finden, etwa einen Breitling-Doppelchronografen aus den 1940ern, braucht man oft Jahre.

Die einzige bekannte Premier aus Gold, die Rattrapante, Datum und Mondphase vereint.
Die einzige bekannte Premier aus Gold, die Rattrapante, Datum und Mondphase vereint.
Breitling

STANDARD: Werden Sie des Öfteren um Rat gefragt?

Mandelbaum: Ich freue mich immer, wenn ich mit meiner Expertise helfen kann. Ich will gar nicht daran denken, wie viele Stunden ich manchen Leuten auch noch so abstruse Fragen beantwortet habe. Aber weil ich mir auch dann sicher sein wollte, dass ich fundiertes Wissen von mir gebe, habe ich mich immer tiefer eingelesen, historische Unterlagen studiert etc. So lernt man über die Jahrzehnte immer mehr dazu. Wobei Breitling das Herz meiner Sammlung ist.

Mandelbaums Expertise blieb auch Georges Kern, der die Geschicke Breitlings seit 2017 lenkt, nicht verborgen. Er nahm mit @watchfred, wie sich Mandelbaum auf Instagram nennt, Kontakt auf. Woraufhin sich eine wohl für beide Seiten fruchtbare Zusammenarbeit ergab. Kern positionierte die Marke neu, Mandelbaum steht ihm als offizieller Haus-Historiker beratend zur Seite.

Navitimer aus den 1950ern mit dem Logo der Aircraft Owners and Pilots Association: Die Uhrenikone feierte im vergangenen Jahr ihr 70jähriges Jubiläum.
Navitimer aus den 1950ern mit dem Logo der Aircraft Owners and Pilots Association (AOPA): Die Uhrenikone feierte im vergangenen Jahr ihr 70jähriges Jubiläum.
Breitling

STANDARD: Georges Kern gilt gemeinhin als Retter der Marke. Wie sehen Sie das?

Mandelbaum: Mit der Übernahme durch Georges keimte wieder Hoffnung in mir auf. Lange Jahre musste ich als Zuschauer danebenstehen und mitverfolgen, wie sich die Marke immer mehr von ihren Ursprüngen entfernte.

Bei diesem Thema wird Mandelbaum etwas emotional. Seiner Meinung nach hatte sich die Marke zu weit von ihren Wurzeln entfernt. Man setzte auf große, protzige Uhren, konzentrierte sich fast ausschließlich auf die Aviatik und hatte einen machistisch angehauchten Nimbus.

STANDARD: Was hat Sie am meisten gestört?

Mandelbaum: Breitling hat sich in eine Nische hineinmanövriert, aus der man nicht mehr herauskam. "Ein Hai im Swimmingpool", wie es Georges Kern ausdrückt. Breitling wäre ohne die Übernahme in dieser Nische geblieben, hätte dort als finanziell gesundes Unternehmen überlebt, und alles wäre okay gewesen – nur nicht für Puristen wie einen Fred Mandelbaum. (lacht)

Kern habe die Marke aus diesem Winkel herausgeführt und wieder breiter aufgestellt, sagt Mandelbaum. Natürlich sei unter den vorherigen Besitzern nicht alles schlecht gewesen, hält er fest: Das Chronografen-Kaliber B01, das von Breitling in Eigenregie entwickelt wurde, gehöre zweifellos zu den besten, die es am Markt gibt.

Bei der Gestaltung der Jubiläumsedition des Navitimer stand Fred Mandelbaum der Uhrenmarke beratend zur Seite.
Bei der Gestaltung der Jubiläumsedition des Navitimer stand Fred Mandelbaum der Uhrenmarke beratend zur Seite.
Breitling

STANDARD: Beschränken Sie sich grundsätzlich nur auf eine Marke?

Mandelbaum: Ich sammle auch Chronografen von Heuer (heute TAG Heuer, Anm.), Omega, Universal Genève, Mido, Jardur, Zenith, Gallet, Excelsior Park ... So ziemlich alles in diesem Bereich, das noch in guter Qualität und leistbar für Normalsterbliche ist. Das Problem beim Sammeln ist, dass es nicht bei einer Uhr bleibt. Wenn ich beginne, Chronografen aus den 1950er-Jahren, die für die französische Luftwaffe produziert wurden, zu sammeln, dann will ich nicht nur eine davon, sondern möglichst alle.

STANDARD: Das klassische Sammlerdilemma? Wie bei den Panini-Pickerln bei der Fußball-WM?

Mandelbaum: Genauso ist es. Und das wird, wenn man in die Haute Horlogerie geht, schnell sehr teuer. Eine relevante, umfassende Sammlung der Vintage-Chronografen von Patek Philippe, Audemars Piguet oder Vacheron Constantin kann ich mir nicht leisten.

STANDARD: Welche Rolle spielen Emotionen?

Mandelbaum: Die Uhr ist in Wirklichkeit nur Emotion. Wer braucht tatsächlich eine Uhr? Jeder, der versucht, die Liebe zur mechanischen Uhr mit Vernunft zu begründen, scheitert kläglich. Die Uhr ist ein durch und durch unvernünftiges Ding. Und dennoch kann ich mich der Faszination mechanischer Perfektion nicht entziehen, da mag die Elektronik noch so exakt sein. Ein Zeitmesser bedeutet für mich nichts weniger als pure Lebensfreude. Eine Smartwatch hat ein Ablaufdatum, ein mechanischer Zeitmesser wird über endlose Zeiten perfekt funktionieren, wenn man darauf aufpasst. Es ist erstaunlich, mit welcher Präzision und Perfektion eine Uhr aus den 1940ern hergestellt wurde. Diese Leistung eines begnadeten Uhrmachers lässt sich nicht maschinell duplizieren. Selbst mit den Möglichkeiten, die wir heute haben.

STANDARD: Sind Sie noch auf der Jagd nach seltenen Chronografen?

Mandelbaum: Es ist irgendwie traurig, aber ich jage keiner Breitling mehr nach. Die Marke ist in meiner Sammlung bereits so repräsentiert, wie sie es verdient. Es gibt da noch zwei oder drei Universals Genèves, die ich mir wünschen würde, und ich spüre auch noch die Lust auf Uhren, aber es ist kein wirkliches Jagen nach Vintageuhren mehr.

STANDARD: Trägt Ihre Frau Uhren?

Mandelbaum: Meine Frau hält Uhren generell für überbewertet und mich wohl auch für ein bisserl wahnsinnig.

Sagt’s, und kann sich dabei ein spitzbübisches Grinsen nicht verkneifen. (Markus Böhm, RONDO, 8.9.2023)