Girkinger Tirol
Irene Girkinger setzt auf Regisseurinnen und Dirigentinnen und hat mit der Absetzung der Tanzleitung schon gehörig für Aufregung gesorgt.
Bernhard Aichner

Jünger, diverser und europäischer soll das Tiroler Landestheater unter ihrer Leitung werden, dichter dran an den brennenden Fragen der Gegenwart soll es außerdem sein: Mit diesen Ansinnen tritt Irene Girkinger in Innsbruck an und wirft damit gleich einmal alles das in die Arena, was den Theaterbetrieb auf der Suche nach dem Publikum von morgen ganz im Allgemeinen und durchaus auch in Tirol umtreibt.

Was die Verjüngung betrifft, hat Innsbruck mit seinen fast 30.000 Studentinnen und Studenten auch nicht wenig Potenzial, das Landestheater ist aber traditionell eher ein Hort für ein bürgerliches Publikum. Das hat sich auch unter der Intendanz von Girkingers Vorgänger Johannes Reitmeier nicht groß verändert, wobei just in dessen Abschiedssaison aufgefallen ist, dass mehr Mut zum Experimentellen und Angriffigen durchaus Wirkung zeigen kann. Unter anderem die am Ischgl-Skandal aufgezogenen Gondelgeschichten entwickelten sich zum Publikumsrenner und lockten auch eher theaterferne Menschen ins Haus.

Selbiges versuchte die 1976 in Linz geborene Girkinger zuletzt jenseits der Brennergrenze zu erreichen – und zwar durchaus mit Erfolg. Während der letzten elf Jahre leitete die studierte Romanistin und Kulturmanagerin die Vereinigten Bühnen Bozen und brachte dort einerseits für die Region relevante Stoffe wie die Option oder die ladinische Sprache und Kultur auf die Bühne, war andererseits aber auch intensiv um internationale Kooperationen bemüht. "Regionaler und zugleich internationaler" lautet nun auch die von ihr angekündigte künstlerische Ausrichtung für das Dreispartenhaus in Innsbruck.

Provinzposse

Das erste Stück, das es dort nach der Bestellung Girkingers gespielt hat, fiel freilich eher in die Kategorie Provinzposse – und zwar nicht mit der Intendantin in der Hauptrolle, sondern dem langjährigen Leiter der Tanztheatersparte Enrique Gasa-Valga. Der gebürtige Katalane hat sich mit seinen stets opulent aufgemachten, tänzerisch aber eher konventionellen Stücken über Künstlerpersönlichkeiten Frida Kahlo, Romy Schneider oder Georg Trakl eine feste Fangemeinde aufgebaut, die empört gegen dessen Ablöse protestierte und die Politik zum Eingreifen aufrief. Die lokalen Medien griffen das Thema freudig auf, es erschienen Leserbriefe sonder Zahl, bald auch mit misogynen Untertönen gegen Girkinger. Gasa-Valga gründete unterdessen mithilfe von Spendengeldern eine eigene Tanzcompany und will auch weiterhin in Tirol mitmischen.

Girkinger, die eigenen Angaben zufolge im Theater Phönix in Linz künstlerisch sozialisiert wurde und im Lauf ihrer Karriere im Schauspielhaus Salzburg, bei den Salzburger Festspielen sowie im Wiener Volkstheater tätig war (wo sie 2019 übrigens auch als Anwärterin auf den Intendantensessel galt), dürfte mit alpenländischem Eigensinn freilich einige Erfahrungen aus Bozen mitbringen, privat ist sie mit dem aus Tirol stammenden Theatermacher und Regisseur Alexander Kratzer liiert, mit dem sie auch immer wieder zusammenarbeitet.

Netzwerkerin

Die erklärte Teamplayerin und erfahrene Netzwerkerin Girkinger tritt mit einem breitaufgestellten Leitungsteam an: Jede Sparte erhielt eine Doppelspitze, den Bereich Tanz übernehmen Marcel Leemann und Stefan Späti, Oper und Schauspiel liegen in Frauenhand (Jasmina Hadžiahmetović, Katharina Duda, Bettina Bruinier, Elisabeth Schack). Bei der Spielplanpräsentation im Frühjahr war es der Neointendantin wichtig zu betonen, dass zwei Drittel aller Produktionen von Regisseurinnen umgesetzt und mehr als die Hälfte aller Konzerte des ebenfalls zum Theaterbetrieb gehörigen Symphonieorchesters von Dirigentinnen geleitet werden.

In der Oper ist eine Ausweitung auf slawisches Repertoire angekündigt, der Startschuss fällt mit Prokofjews Die Liebe zu den drei Orangen. Im Schauspiel stehen unter anderem Roland Schimmelpfennigs Neuinterpretation der Odyssee und die Shakespeare-Komödie Was ihr wollt auf dem Programm, die Tanz-Saison beginnt mit einer Choreografie zu Max Richters Rekomposition von Vivaldis Die vier Jahreszeiten – und mit prominenter Unterstützung: Als Sprecher fungiert ZiB-Moderator Armin Wolf.

Neben dem Bekenntnis zum Experiment hat Girkinger zweifelsohne auch Bedacht auf die Besucherzahlen gelegt – und auch eine Reihe weiterer Publikumslieblinge engagiert, darunter Birgit Minichmayr, die die Saison im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit dem Festival Klangspuren eröffnen wird, Philipp Hochmair und die Osttiroler Musicbanda Franui. (Ivona Jelcic, 23.8.2023)