Gruppe von Erdmännchen mit Fragezeichen in Sprechblasen
Den Schlüssel in der Wohnung liegen lassen, sich fragen, ob man den Herd ausgeschaltet hat – ist das noch normal? Oder ist das ein schlechtes Vorzeichen?
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Demenz ist etwas, das will keiner haben. Möglichst bis ins hohe Alter dynamisch und leistungsfähig bleiben, das ist die Devise. Umso argwöhnischer beobachten manche Alltagssituationen, die auf zunehmende Vergesslichkeit hinweisen könnten. Die Wohnungstür etwa, die man zugezogen hat, ohne den Schlüssel einzupacken. Wenn einem der Code am Bankomat nicht einfällt. Wenn die Brille wieder einmal verlegt ist oder wenn einen die Ungewissheit quält, ob man den Herd ausgeschaltet oder die Tablette heute schon eingenommen hat. Lässt einen das Gedächtnis so im Stich, könnte das ja ein Vorbote von Demenz sein. Oder ist diese Vergesslichkeit ganz normal?

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"Das menschliche Gehirn beginnt circa ab dem 50. Lebensjahr zu schwächeln, das ist Fakt. Gedächtnis und Aufmerksamkeit lassen dann ganz natürlich und altersbedingt langsam nach", sagt Elisabeth Stögmann, die an der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Wien zu Demenz und Gedächtnisleistung forscht. "Und kognitive Probleme fallen im Alter einfach eher auf." Doch ab und zu im Alltag etwas zu verlegen oder etwas zu vergessen sei normal und gehöre zum Leben dazu.

Schutz vor Überlastung

Bei den meisten alltäglichen Vergesslichkeiten handelt es sich tatsächlich um banale Inhalte. Sie zu vergessen ist ein wichtiger Vorgang unseres Gehirns. Ältere Informationen werden ständig durch neue, wichtigere Eindrücke überschrieben. Damit schützt sich unser Gehirn vor Überlastung. Dieser ständige Austausch von Informationen findet vorwiegend im Kurzzeitgedächtnis statt. Dort sind auch alltäglich wiederkehrende Handlungen, über die man nicht nachdenkt oder immer neu entscheiden muss, verankert.

Aber ab wann sind Vergesslichkeiten ernst zu nehmende Warnzeichen? "Solche Gedächtnisaussetzer ab und zu sind nicht beunruhigend, wenn es keine weiteren Anzeichen gibt", sagt Stögmann. Bei einer Demenz ist nämlich nicht nur das Gedächtnis betroffen ist, zunehmend leiden dann auch die Aufmerksamkeit und die Sprache, die Bewältigung des Alltags kann zunehmend schwieriger werden. Erst wenn die Vergesslichkeit den Alltag beeinträchtigt oder gar stört, sollte man es nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen. Wer also häufig Sachen verliert wie etwa das Handy oder den Schlüssel, wichtige Termine vergisst, sich nicht an unlängst erst Besprochenes erinnern kann oder daran, was er am Vortag erlebt hat, sollte das abklären lassen. "Besonders Sachen, die einem im Leben wichtig sind, sollte man eher nicht vergessen. Wer das bemerkt, sollte deshalb lieber einen Arzt oder eine Ärztin konsultieren."

Viele Betroffene wollen die Beschwerden trotzdem nicht gleich abklären lassen. "Es gibt eine Verleugnungsphase, wo man schon Defizite bemerkt, sie aber noch nicht komplett zugeben kann", weiß Stögmann. Dann erfinden Betroffene häufig Ausreden, warum sie etwas vergessen haben, oder schieben es auf andere wie den Partner. Hier sind Angehörige und Freunde als außenstehende Beobachter gefragt, denn sie merken die Probleme der Betroffenen viel früher. Allerdings ist das gerade Angehörigen oft auch unangenehm, deshalb reagieren sie nicht gleich. Die Neurologin empfiehlt: "Sie sollten der betroffenen Person ihre Beobachtungen und Sorgen in einem ruhigen Gespräch schildern und ihn oder sie bewegen, einmal zum Arzt oder zur Ärztin zu gehen, um es abklären zu lassen."

Stress-Vergessen

In vielen Fällen steckt auch gar keine beginnende Demenz dahinter. Andere Krankheiten wie Depression, Schlafapnoe oder eine Stoffwechselerkrankung können dafür verantwortlich sein. Auch manche Medikamente wirken sich negativ auf das Gedächtnis aus. Wird die Begleiterkrankung behandelt oder die Medikation angepasst, verschwinden oft auch die Gedächtnisprobleme wieder.

Auch eine vorübergehende seelische oder geistige Belastung kann dahinter stecken, eine Phase mit hohem Stress oder zu wenig Schlaf. Dann ist man mit den Gedanken woanders, oft auch tagsüber zu müde, um sich zu konzentrieren. "Die Probleme sind meist vorübergehend und bessern sich wieder, sobald der Stress geringer wird", sagt Stögmann. Wichtig sei, dass man der Sache mit der Vergesslichkeit auf den Grund gehe, sobald der Betroffene darunter leidet.

Dann ist es wichtig zu handeln. Eine Demenz kann man nicht stoppen, ihr Auftreten liegt zu etwa 60 Prozent in der genetischen Veranlagung. "Aber zu 40 Prozent können wir über den Lebensstil beeinflussen, wann man eine Demenz bekommt, wie schnell sie voranschreitet und wie deutlich sie ausgeprägt ist", weiß Stögmann. Mittlerweile gelten zwölf Risikofaktoren für eine Demenz in Studien als gut belegt. Dazu gehören Faktoren wie eine geringe Bildung, Bluthochdruck, Schwerhörigkeit, Rauchen, hoher Alkoholkonsum, Übergewicht, Depressionen, Bewegungsmangel, Diabetes und wenige soziale Kontakte. DER STANDARD hat hier darüber berichtet.

Zwölf Risikofaktoren

Nahezu alle dieser Risikofaktoren kann man mehr oder weniger modifizieren oder behandeln. Der Nutzen wird dabei aber oft unterschätzt, wie das Beispiel Schwerhörigkeit zeigt. So zeigt etwa eine erst vor kurzem in "The Lancet" publizierte Studie mit 3.000 Probanden von Forschern um Frank Lin von der Johns Hopkins University School of Medicine, dass allein das Tragen eines Hörgeräts bei Menschen mit Hörproblemen das Risiko für eine Demenz halbieren könne. In einer früheren Studie kamen die Forscher nach einem Beobachtungszeitraum von zwölf Jahren zum Ergebnis, dass schon eine nur moderate Schwerhörigkeit das Risiko für eine spätere Demenz verdreifacht. Dazu kommt, dass eine Schwerhörigkeit weitere Risikofaktoren für eine Demenz verstärkt, etwa zunehmender sozialer Rückzug wegen der Schwerhörigkeit. Unterm Strich fehlen dadurch dem Gehirn wichtige Impulse, um aktiv zu bleiben, das Risiko für eine Demenz steigt.

"Es ist deshalb immer eine gute Idee, den eigenen Lebensstil zu verbessern. Bleibt man gesund, kann das einer Demenz vorbeugen oder eine beginnende Demenz positiv beeinflussen und das Voranschreiten der Erkrankung und die Ausprägung der damit verbundenen Symptome hinauszögern", sagt Stögmann. In der Mitte des Lebens ist das Demenzrisiko noch sehr gering. Zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr entwickeln aber von hundert Personen fünf eine Demenz, bei den 70- bis 80-Jährigen sind es bereits zehn von hundert. (Andres Grote, 1.8.2023)