Die Auswahl ist süß. In der kleinen Kuchentheke liegen Erdbeerrolle, Bananenbrot und Zitronentarte. Letztlich landet auf dem Teller mit dem Retrorosenmuster ein Stück Biskuitrolle. Während ich das Tortenstück verspeise, diskutiert Laurenz Schaffler mit zwei Gästen, was richtig guten Kaffee ausmacht. Sein Vintage-Store ist nicht nur Anlaufstelle für Secondhandfans, sondern auch eine Art verlängertes Wohnzimmer. Das ist dem Unternehmer ein Anliegen.

Sein Laden Freudich Vintage in der Kaiserstraße lädt zum Stöbern wie zum Kuchenessen und Rumhängen ein. Entweder im Store vor der Theke, die manchmal zum DJ-Pult umfunktioniert wird, oder aber in dem kleinen Schanigarten vor dem Geschäft. Für die Mehlspeisen ist Schafflers Mutter, eine ausgebildete Konditormeisterin, verantwortlich.

Überhaupt ist das Vintage-Reich in der Kaiserstraße 74 eine reine Familienangelegenheit. Die Leidenschaft für Mode habe ihm sein Vater vermittelt, der lange am Theater an der Wien tätig gewesen sei, erklärt Schaffler. In dessen Schneiderei sei er quasi aufgewachsen. 2019 hat der Wiener seinen Laden in Wien-Neubau eröffnet. Der floriert - selbst Corona hat ihm nichts anhaben können.

Secondhand-Mode Vintage Wien
In Wien-Neubau gibt es neben den etablierten Secondhandstores etliche Neuzugänge. Dazu gehören auch Freudich Vintage von Laurenz Schaffler und der Caritas-Pop-up-Store, der noch bis Ende September auf der Shoppingmeile Mariahilfer Straße geöffnet hat.
Attract Agency

Vintage-Boom

Freudich Vintage war in den vergangenen Jahren nicht die einzige Neueröffnung dieser Art. Im Gegenteil, im siebten Bezirk boomt das Geschäft mit Secondhand- und Vintage-Mode. Sogar etablierte Stores wie Bootik 54, die Ende der Neunzigerjahre aufsperrten, sind auf Expansionskurs. 2021 erweiterte man wenige Meter weiter auf der Neubaugasse um das Kiloshopkonzept Retroschatz.

Auch auf der Shoppingmeile Mariahilfer Straße wird mittlerweile Ware aus zweiter Hand angeboten: Hier messen sich das Innsbrucker Unternehmen Nowhere Vintage, die Vintage Fabrik und ein Pop-up der Caritas mit den Fast-Fashion-Ketten. Noch vor zehn Jahren wäre dieses Szenario auf der Mahü nicht vorstellbar gewesen. Lange galt Secondhandmode als Bestandteil der Alternativkultur, die den Duft von feuchtem Keller verströmte. Heute ist sie ein gigantisches Geschäft, vielleicht auch weil Fast Fashion dafür sorgt, dass der Altkleiderberg wächst.

In bester Lage

Ist Kleidung aus zweiter Hand endgültig im Mainstream angekommen? Schaffler mag die Frage nicht mit einem klaren Ja beantworten. Doch er räumt ein: "Es ist gesellschaftsfähiger geworden, gebrauchte Kleidung zu tragen - auch dank der vielen Vintage-Stores."

Möglicherweise spiegelt das Nebeneinander von Vintage Fabrik und Zara, von Caritas und Pull & Bear die widersprüchlichen Konsumgewohnheiten von heute wider: Unlängst ergab eine Umfrage von Greenpeace und der Arbeiterkammer, dass ein Drittel der befragten Österreicherinnen und Österreicher bereits Second-Hand-Kleidung gekauft hat - insbesondere junge Menschen. Sie shoppen allerdings genauso bei Billighändlern wie Shein. Denn nicht alle verstehen Vintage als nachhaltige Alternative, für viele gilt sie als zusätzliches Angebot.

Bummvoll

Oliver Türkoglu hat das Pop-up der Caritas auf der Mahü organisiert und beobachtet in internationalen Großstädten ein gestiegenes Interesse an gebrauchter Kleidung. Beeindruckt hat ihn während eines Urlaubs in Stockholm die Dichte an Secondhandstores: "In der Altstadt habe ich in bester Shoppinglage etwa 15 Secondhandshops von sozialen Trägern entdeckt - und alle waren bummvoll." Dadurch habe er sich in der Entscheidung, das Carla-Pop-up auf einer hochfrequentierten Straße auszuprobieren, bestätigt gefühlt.

Türkoglu wusste, was ihn erwartet. Er hat früher in der Modebranche für Marken wie Diesel und Puma gearbeitet und kennt sich mit der High Street aus. Das Caritas-Pop-up ziehe ein etwas breiteres Publikum als gewerbliche Anbieter an und versorge zudem armutsgefährdete Personen über spezielle Einkaufskonditionen oder Einkaufsgutscheine, erklärt er. Auf der Mahü gehe es aber auch darum, neue Kunden anzusprechen. So wurden etwa 30 Prozent der Ware, die in den anderen Caritas-Geschäften geführt wird, für den temporären Standort aussortiert. Tatsächlich hat das Projekt in den vergangenen Wochen viel mediale Aufmerksamkeit erhalten. Türkoglu sagt aber auch, dass es schwer sei, mit den kommerziellen Anbietern, die vorsortierte Ware teilweise sehr zielgerichtet einkauften, zu konkurrieren - auch wenn er sie gar nicht als Konkurrenz verstehen will: "Dafür müssten wir lange sortieren."

Vintage von der Stange lautet mittlerweile der Trend.
Freu dich Vintage

Das Sortiment von Stores wie der Vintage Fabrik ist nämlich sehr genau auf die Bedürfnisse junger Zielgruppen zugeschnitten. Das zeigt ein Rundgang durch das zweigeschossige Geschäft auf der Mahü: Angesagte Produkte gibt es in vielfacher Ausführung. Eine Stange mit den beigebraunen Jacken von Carhartt, haufenweise Collegesweater, Lingerie-Hemdchen in Pastellfarben oder Jeans von Levi’s. Hier wird nicht nach ausgefallenen Stücken gewühlt. In der Vintage-Fabrik bedient man stangenweise Trends, die auf Instagram und Tiktok groß geworden sind. Das Konzept scheint aufzugehen - die Mieten auf der Mariahilfer Straße muss man sich leisten können.

Aus dem Sack

Wie einer wie Laurenz Schaffler über den Boom der Secondhandstores im Siebten denkt? Grundsätzlich finde er diese Entwicklung begrüßenswert, sagt er. "Aber Vintage ist nicht gleich Vintage, die Geschäftsmodelle unterscheiden sich." Wenn die Liebe zum Produkt fehle, ein zerknittertes Hemd an der Stange hänge, könne man davon ausgehen, dass das Stück eben erst aus dem Sack gezogen wurde: "Wenn Secondhand auf Masse verkauft wird, ähnelt das doch sehr dem Prinzip Fast Fashion", gibt der Wiener zu bedenken.

Wie er es in seinem Shop hält? Man beziehe Waren von fair arbeitenden Händlern. Schaffler hat sich seit der Eröffnung immer wieder Neues ausgedacht. Um Transportwege zu vermeiden, organisiert er Secondhandkleidung zunehmend regional, kooperiert mit älteren Damen auf dem Land, die Kleidung sammeln. In Zukunft wolle man Secondhandware, die sich nicht verkaufe, zu einer eigenen Kollektion upcyceln.

Diese Idee ist nicht neu. Auch die Pioniere von Bootik 54 beispielsweise führen unter dem Namen Kamikaz eine eigene Kollektion. Oder kürzen Blusen zu bauchfreien Oberteilen, die auch auf dem Instagram-Account zu bewundern sind. Die Bedürfnisse der Generation Z sind auch hier angekommen. Alt zu werden kann sich das Vintage-Business nicht leisten. (Anne Feldkamp, 18.7.2023)