Soeben wurde Popstar Harry Styles während seines Wien-Konzerts insultiert: Ein Wurfgeschoß traf den papageiengrün gewandeten Jüngling nahe am Auge. Styles, ein ausnehmend gendersensibler Zeitgenosse, ertrug den Anschlag, ohne mit der Wimper zu zucken. Styles weiß, dass sich unter seinen Gefolgsfrauen keine Mänaden befinden. Diese, die bezechten Begleiterinnen von Rauschgott Dionysos, pflegten Hirschböcke, aber auch alle gutaussehenden jungen Kerle, die ihre Wege kreuzten, mit bloßen Händen zu zerreißen. Jugendliche Begeisterung kann Torheiten bewirken.

In der hohen Zeit der Reformära Kreisky suchte ich, ein verträumter Babyboomer, in Begleitung meiner Mutter einmal die Wiener Stadthalle auf. Wir kamen, um dem Schmusepop der Band Smokie zu lauschen. Während die Basstöne die mütterlichen Gallensteine kitzelten, sah ich, wie Chris Norman und Co in einem Meer von Stofftieren versanken. Interessanterweise – und ganz entgegen dem Klischee – landete kein einziger Slip auf dem Showparkett. Ich nehme an, meine Fankolleginnen wollten mit Blick auf den Nachtfrost ihr Wohlergehen nicht aufs Spiel setzen.

Spucke und faule Eier

Jahre vergingen. Die Acts wurden radikaler, mit ihnen wechselte die Beschaffenheit der Wurfgeschoße. Iggy Pop wurde in der nach faulen Eiern duftenden Kurhalle Oberlaa mit Mundladungen von Spucke bedacht. Led-Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page bekam einen Knallfrosch ins Gesicht geknallt.

Kolumne Pohl Wurfgeschoss Styles
Gegenüber der Punk-Ära haben die Popstars entschieden an Glamour zugelegt: Harry Styles, hier noch unbeworfen, aus Anlass eines Auftritts in Los Angeles 2023.
REUTERS / Anzuoni

Einen couragierten und dennoch zweifelhaften Umgang mit Flugobjekten demonstrierten die Orgel-Punks The Stranglers: In einer zu drei Vierteln leeren Stadthalle ließen sie, gewohnt übellaunig, wahre Bierduschen über sich ergehen. Als der erste Becher den Kopf des Karate praktizierenden Bassisten getroffen hatte, setzten er und der Gitarrist wie auf Kommando die Gitarren ab – und sprangen hinunter ins Publikum. Hundertschaften grimmig dreinblickender Punks nahmen vor den Streithähnen Reißaus, während Orgel und Schlagzeug unbeirrt den Takt hielten.

Stranglers-Bassist Jean-Jacques Burnel hätte Harry Styles' Modeherz bestimmt zum Schmelzen gebracht. Er trug über seinen Doc Martens einen traumhaft schönen Schottenrock. (Ronald Pohl, 12.7.2023)