Atıl Kutoğlu, Designer
Designer zwischen Istanbul und Wien: Atıl Kutoğlu in seinem Store im ersten Wiener Gemeindebezirk.
Foto: Regine Hendrich

Es herrscht Gedränge im Foyer des Wiener Hotel Hansen. Atıl Kutoğlu und Katharina Nehammer, Ehefrau des Bundeskanzlers, haben zur Charity-Modenschau geladen, Seitenblicke-Vibes hängen über dem Gewusel. Am Tag danach ein Treffen im Store des Designers, Kutoğlu hat eine lange Nacht hinter sich. Vom Plaudern hält ihn das nicht ab – zwischendurch schaut immer wieder jemand vorbei.

STANDARD: Sie sind Ende der Achtziger nach Wien gekommen. Hat es Ihnen Österreich leichtgemacht?

Kutoğlu: Schon. Ich erzähle gern folgende Anekdote: Bei der Eröffnung einer Straßenbahn, damals war ich erst für kurze Zeit in Wien, bin ich dem damaligen Bürgermeister Helmut Zilk begegnet. Ich bin ihm nachgelaufen, wurde erst von seinen Bodyguards gestoppt, dann durfte ich mich ihm doch vorstellen. In Istanbul wäre es undenkbar, so an einen Politiker ranzukommen. Ich habe ihm erzählt, dass ich von einer Modekarriere träume, und ihm meine Nummer gegeben. Eine Woche später wurde ich von der Kulturabteilung der Stadt angerufen, mir wurde eine Starthilfe zur Verfügung gestellt, in der alten WU habe ich eine Show gezeigt. Ich bin von Beginn an positiv aufgenommen worden. Dabei stand Zilk der Türkei damals kritisch gegenüber.

STANDARD: Stichwort Integration: Wann ist man Teil der Gesellschaft?

Kutoğlu: Für mich war das nie ein Thema, ich hatte an der Uni sofort Freunde. Ich beherrsche aber auch die Sprache, weil ich in Istanbul die deutsche Schule besucht habe und kosmopolitisch aufgewachsen bin, mit Literatur von Thomas Mann und Hermann Hesse.

STANDARD: Sie führen in Wien und in Istanbul ein Geschäft. Welches ist wichtiger?

Kutoğlu: Momentan sind beide Standorte gleich wichtig. Bis es vor fünf Jahren in der Türkei begonnen hat zu kriseln, war mein Store in Istanbul relevanter. Damals habe ich noch jede Saison auf der Istanbul Fashion Week gezeigt, die gibt es seit kurzem leider nicht mehr.

STANDARD: Wie unterscheidet sich der Geschmack Ihrer Kundinnen hier wie dort?

Kutoğlu: In Wien mag man es schlichter, in Istanbul üppiger. Allerdings haben sich die Geschmäcker angenähert. Bei der Store-Eröffnung 2008 in Istanbul habe ich mich über das Bedürfnis der Kundinnen nach Dekolletés und Schlitzen gewundert. Eine Bekannte witzelte sogar, der Besuch türkischer Hochzeiten habe was von FKK. Damals boomte die Stadt, Orhan Pamuk hatte zuvor den Nobelpreis bekommen. Heute ist man wieder konservativer. Manchmal verblüfft mich der Kontrast zwischen der konservativen Regierung und den offenherzig gekleideten Stars.

STANDARD: Wie verbreitet ist in Istanbul das Kopftuch?

Kutoğlu: Das sieht man wieder häufiger. Seine Verbreitung spiegelt ungefähr die Ergebnisse der letzten Wahl wider. Es gibt aber ein klares Stadt-Land-Gefälle. Im Zentrum Istanbuls tragen nur etwa 20 Prozent der Frauen Kopftuch, auf dem Land ist es verbreiteter. Die Outfits gläubiger Frauen fallen übrigens oft auffälliger als die der tief dekolletierten Damen aus.

STANDARD: Verkaufen Sie welche?

Kutoğlu: Ich habe eine Kollektion an Tüchern im Programm, die als Kopftuch verwendet werden können.

STANDARD: Was ist an Ihrer Mode türkisch, was österreichisch?

Kutoğlu: Meine Mode ist eine Melange aus beidem, türkisch-osmanische Elemente wie ein Brokatmantel vermischen sich mit Jugendstil-Elementen. Ich verarbeite Stoffe aus der Türkei genauso wie Vorarlberger Spitze. Das macht wahrscheinlich meinen Erfolg aus.

STANDARD: Sie sind in Wien mit Nadja Bernhard wie mit Dagmar Koller auf Du und Du. Braucht man in Wien die "Seitenblicke"-Gesellschaft, um Kleider zu verkaufen?

Kutoğlu: Wenn sich eine Modemarke am Markt behaupten will, sind Role-Models wichtig. Ich wäre heute nicht Atıl Kutoğlu, wenn eine Dagmar Koller, eine Arabella Kiesbauer oder eine Francesca von Habsburg nicht meine Sachen tragen würden. Sie geben einer Marke Inhalt. Netzwerken macht ein Drittel des Geschäftserfolges aus. Ich gehe das nicht strategisch an, ich habe das Glück, dass die Leute mich mögen und unterstützen.

STANDARD: Sine Sie in Istanbul oder in Wien bekannter?

Kutoğlu: Das hält sich die Waage, ich bin zwei Wochen hier, zwei Wochen dort. In manchen Phasen war Wien wichtiger für mich, aber die Verbindung zu meiner Familie ist stärker geworden.

STANDARD: Was mögen Sie an Österreich?

Kutoğlu: In Wien verschmilzt Lebenslust mit Intellektualität, dazu gesellt sich ein bisschen Eitelkeit. Das gefällt mir, das ist menschlich. In der Türkei sind Prominente kapriziöser, in Österreich eher umgänglich und bescheiden. Frau Nehammer oder Sonja Kirchberger kommen wie Normalbürgerinnen in mein Geschäft, in der Türkei ist das anders.

STANDARD: Über 73 Prozent der Auslandstürkinnen und Auslandstürken in Österreich ­haben bei den Wahlen für den Amts­inhaber gestimmt. Warum ist Erdoğan hier so populär?

Kutoğlu: Er ist sogar noch populärer geworden. Erdoğan trifft den Nerv vieler Menschen, in der Türkei scheint die Hälfte der Bevölkerung mit ihm zufrieden zu sein. Seine Fehler werden nicht ernst genommen.

STANDARD: Sie haben in der Vergangenheit gesagt, Erdoğan sei Ihnen anfangs sympathisch gewesen. Würden Sie das heute auch noch sagen?

Kutoğlu: Ich möchte mich nicht politisch positionieren. Aber sagen wir so: Man hat sich an ihn gewöhnt. Er ist autoritärer geworden, doch für etliche Leute scheint er im Vergleich zu Putin eher zahm zu sein.

STANDARD: Sie waren unter Sebastian Kurz Inte­grationsbotschafter, mit Katharina Nehammer haben Sie eine Show veranstaltet. Lohnen sich politische Kontakte, wenn man Mode verkaufen will?

Kutoğlu: Mit Sebastian, wir sind per Du, habe ich als Integrationsbotschafter viele Schulbesuche und Konferenzen absolviert. Den Job übe ich übrigens noch immer aus. Mit der Charity Fashion Show konnten wir dank Partnern wie dem Hotel Palais Hansen Kempinski Vienna Spenden für das Österreichische Rote Kreuz sammeln. Auch hier sind weitere Formate in Planung.

STANDARD: Sie gehören nicht zu denen, die von Kurz enttäuscht sind?

Kutoğlu: Nein. Ich möchte seine Politik nicht kommentieren, aber ich habe mich gut mit ihm verstanden. Übrigens bin ich auch mit Pamela Rendi-Wagner oder Claudia Schmid befreundet. Es ist gut, wenn starke Frauen in meiner Mode in der Öffentlichkeit zu sehen sind. Politische Präferenzen habe ich nicht. Nicht die Parteizugehörigkeit, die Persönlichkeiten sind wichtig.

STANDARD: Kleiden Sie mehr ÖVP- oder mehr ­SPÖ-Mitglieder ein?

Kutoğlu: Das kann ich nicht beurteilen, es gibt unter meinen Kundinnen sicher auch Grünen-Anhängerinnen. Eine bekannte grüne Politikerin hat bei mir auch schon eingekauft. Wie hieß sie noch mal? Ach ja, Frau Glawischnig war das. (RONDO, Anne Feldkamp, 10.7.2023)