Der europäischen Raumfahrt steht ein wehmütiger Termin bevor: Nach 27 Jahren soll die Trägerrakete Ariane 5 in der Nacht auf Donnerstag zu ihrem letzten Flug ins All abheben, wegen Schlechtwetters 24 Stunden später als geplant. Auf ihrer letzten Reise vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana soll das in die Jahre gekommene Vehikel einen deutschen und einen französischen Satelliten ins Weltall befördern. Der finale und insgesamt 117. Start der Ariane 5 markiert nicht nur das Ende des erfolgreichsten europäischen Raumtransporters, sondern auch den Beginn einer schmerzhaften Lücke: Bis das Nachfolgemodell Ariane 6 einsatzbereit ist, hat Europa keinen eigenständigen Zugang zum Weltraum mehr und droht damit weiter von alteingesessenen und neuen aufstrebenden Weltraumplayern abgehängt zu werden.

Ariane 5, Kourou
Der 117. Start der Ariane 5 ist das Ende einer Ära. Bis der Nachfolger einsatzbereit ist, muss die europäische Raumfahrt ihre Flüge anderswo buchen.
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Der Erfolg der Trägerrakete, die im Auftrag der europäischen Weltraumorganisation (Esa) entwickelt worden ist, war nicht von Anfang an absehbar gewesen: Bei ihrem Jungfernflug im Juni 1996 explodierte die Ariane 5 kurz nach dem Start, 2002 gab es einen weiteren Fehlschlag. Das sei ein "prägendes Trauma" gewesen, erinnert sich der Ingenieur Hervé Gilibert. "Wir brauchten zwei Jahre, um wieder in die Luft zu kommen", sagt Gilibert, heute technischer Direktor der Ariane Group. Die Anfangsschwierigkeiten hätten "den positiven Effekt gehabt, dass wir bei jedem Start absolut wachsam blieben".

Taxi für das Webb-Teleskop 

Zwischen April 2003 und Dezemeber 2017 gelangen 82 aufeinanderfolgende Starts, die Ariane 5 galt schließlich als besonders zuverlässiges Transportmittel, um Weltraumfracht in die Erdumlaufbahn zu befördern. Neben Satelliten brachte die Rakete auch wissenschaftliche Missionen in den Weltraum: etwa die europäische Kometen-Sonde Rosetta (2004) oder erst im vergangenen April die Raumsonde Juice, die das Jupitersystem und insbesondere die Eismonde des Gasplaneten untersuchen soll. Einen Höhepunkt in der Ariane-Transportgeschichte bescherte die US-Weltraumagentur Nasa Ende 2021: Sie ließ das von ihr federführend entwickelte, rund acht Milliarden Euro teure James-Webb-Weltraumteleskop mit einer Ariane 5 ins All starten. 

So prestigereich ist die letzte Mission der Ariane 5 nicht. Sie soll in der Nacht auf Donnerstag zwischen 00:00 Uhr und 01.05 Uhr MESZ starten, um den deutschen Kommunikationssatelliten Heinrich Hertz und einen französischen Militärsatelliten in ihre Umlaufbahnen zu bringen. Der Start sei "aufgeladen mit Emotionen" für die Teams, deren Arbeit sich seit fast drei Jahrzehnten um die Ariane 5 dreht, sagte Marie-Anne Clair, die Leiterin des Raumfahrtzentrums in Guyana.

Ariane 5, Kourou, Juice Mission
Im vergangenen April brachte eine Ariane-5-Trägerrakete die Esa-Mission Juice ins All, die das Jupitersystem erforschen soll.
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In kommerzieller Hinsicht sei die Rakete "die Speerspitze der europäischen Raumfahrt" gewesen, sagte Daniel Neuenschwander, Direktor für Weltraumtransport bei der Esa. Zwölf Länder waren an der Herstellung der schweren Trägerrakete beteiligt, die die Ariane 4 ablöste und deren Startkapazität verdoppelte – ein Wettbewerbsvorteil, der es Europa ermöglichte, sich auf dem Markt für Kommunikationssatelliten zu behaupten.

Keine Kapazitäten

Europa profitierte auch von einer zeitweiligen Flaute auf der anderen Seite des Atlantiks. "Heute erleben wir genau die umgekehrte Situation", sagte Neuenschwander, Europa habe praktisch keinen unabhängigen Zugang zum Weltraum mehr. Besonders der abrupte Wegfall der russischen Sojus-Raketen nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 macht der europäischen Raumfahrt zu schaffen.

Die Aktivitäten auf dem Weltraumbahnhof Kourou gingen durch den Ukrainekrieg drastisch zurück. 2022 gab es dort nur sechs Starts, im Jahr davor waren es noch 15 gewesen. Der Fehlschlag des ersten kommerziellen Starts der leichten italienischen Trägerrakete Vega C im vergangenen Dezember und Verzögerungen bei der Ariane 6 verschärfen die Situation. Nach dem finalen Ariane-5-Start soll es nur noch einen Start einer Vega-Rakete des älteren Typs im September geben, die Vega C dürfte erst Ende des Jahres wieder abheben. Das bedeutet eine Lücke von mindestens einigen Monaten, bis die Ariane 6 bestenfalls Ende 2023 bereit steht.

Flugbuchung bei Space X

Die Ariane 6 ist leistungsstärker und wettbewerbsfähiger als ihre Vorgängerin, da sie nur halb so viel kostet. Sie wurde entwickelt, um im harten Wettbewerb auf dem Markt für Trägerraketen bestehen zu können, der mittlerweile von Elon Musks Raumfahrtunternehmen Space X mit mehr als einem Start pro Woche dominiert wird. Anders als die Space-X-Trägerrakete Falcon 9 ist die Ariane 6 allerdings nicht wiederverwendbar, das wird sich auch auf die Kosten auswirken.

Und so musste auch die Esa gerade erst die Dienste der US-Firma in Anspruch nehmen. Eine Falcon-9-Rakete brachte am vergangenen Samstag das Esa-Weltraumteleskop Euclid in den Weltraum, das die Dunkle Materie erforschen soll. "Es ist keine einfache Zeit", sagte der Chef des Raketenkonzerns Arianespace, Stéphane Israël. "Aber sie wird nicht andauern." (dare, APA, 5.7.2023)