Die Track-Limits, die weiße Linie zwischen Asphalt und Kerbs, sorgte für Chaos in Spielberg. Fernando Alonso zeigte in der Sprint-Quali, was klar nicht erlaubt ist.
Die Track-Limits, die weiße Linie zwischen Asphalt und Kerbs, sorgten für Chaos in Spielberg. Fernando Alonso zeigte in der Sprint-Quali, was klar nicht erlaubt ist.
IMAGO/Motorsport Images/Mark Sutton

Niko Hülkenberg dürfte sich am Sonntag gehäkelt vorgekommen sein. Denn als der Automobilweltverband Fia den Deutschen über einen seinen Verstoß gegen die Track-Limits am Red-Bull-Ring informierte, war der Haas-Pilot bereits ausgeschieden. Der Motor seines Autos hatte zwei Runden zuvor gestreikt. Als Außenstehender kann man vielleicht über das Timing lachen. Für Haas-Teamchef Günther Steiner war da am Sonntag aber "gar nix lustig. Wir haben ein Problem", sagte er dem ORF.

Die Streckenbegrenzungsregel hatte zuvor beim Grand Prix von Österreich für Chaos gesorgt. Die Fia teilte am Sonntagabend mit, dass unfassbare 1.200 mutmaßliche Verstöße vorlagen. Diese alle zu überprüfen ging sich nicht während des Rennens aus. So stand das endgültige Ergebnis erst fünf Stunden nach Rennende fest. Acht Fahrer wurden nachträglich bestraft.

Das Reglement

Worum geht's eigentlich? Laut Artikel 33.3 des Sportlichen Reglements müssen Fahrer "alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um die Strecke jederzeit benutzen zu können, und sie dürfen die Strecke nicht ohne triftigen Grund verlassen". Wenn der komplette Wagen die Strecke nicht mehr berühre, drohen Strafen. Bei den ersten drei Malen kommt man mit Verwarnungen davon. Beim vierten Mal gibt's eine Fünf-Sekunden-Strafe, danach wächst das Strafmaß an.

Wie Track Limits geregelt sind.
Wie Track-Limits geregelt sind.
2023 FORMULA ONE SPORTING REGULATIONS

Um Sanktionen zu vermeiden, sollte man also wissen, was die Streckenbegrenzungen sind. Die zwölf bis 13 Meter breite Strecke in Spielberg ist asphaltiert. Eine weiße Linie, und diese ist entscheidend, umrahmt den Asphalt. Nach der weißen Linie folgen an manchen Stellen die rot-weißen Kerbs. Kurzum: Asphalt, weiße Linie, Kerbs. Die weiße Linie gilt als Streckenbegrenzung. Wessen Auto mit der gesamten Fahrzeugbreite diese nicht mehr berührt, begeht einen Track-Limit-Verstoß.

Strafen-Orgie

An diesem Wochenende hatte die Regel in Spielberg Hochkonjunktur. Allein am Freitag im Qualifying hagelte es 47 Verstöße. Weltmeister Max Verstappen beschwerte sich schon, dass die Handhabung der Regel die Fahrer "wie Deppen aussehen lässt". Am Sonntag bekamen Lewis Hamilton, Carlos Sainz und Logan Sargeant jeweils Fünf-Sekunden-Strafen, der Japaner Yuki Tsunoda sogar eine Zehn-Sekunden-Strafe. Die Regel und deren Auslegung wurden zum Gesprächsthema Nummer eins.

Die Teamvertreter kritisierten, dass sie zu spät über die Verstöße informiert worden waren. "Es ist arg, wie lange das dauert", sagte Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko. Steiner gibt ein Beispiel: Einer seiner Fahrer habe in der vierten Runde gegen das Track-Limit verstoßen. Informiert darüber wurden sie in der zwölften, sagte der Südtiroler. Das ist problematisch, weil ja die Strafhöhe ab einer bestimmten Menge ansteigt. Hat ein Fahrer zum Beispiel dreimal gegen die Regel verstoßen, wird er automatisch vorsichtiger fahren, weil ab dem vierten Verstoß eine Fünf-Sekunden-Strafe droht. Das kann er aber nur, wenn er davon weiß.

Marko: "Die Stewards sind überfordert"

"Die Stewards sind überfordert", fasste Marko zusammen. Befangenheit konnte man dem RB-Motorsportberater nicht vorwerfen. Sein Schützling Max Verstappen fuhr zu einem souveränen Sieg und musste die Strecke angesichts der komfortablen Führung nicht ausreizen. Sergio Perez tankte sich von Platz 15 auf Rang drei nach vorne. Auch er kam ohne Sanktion davon.

Mercedes-Teamchef Toto Wolff äußerte sich auf Sky zum Chaos: "So geht das gar nicht", sagte der Österreicher. "Niemand versteht es, und für die Zuschauer ist es am allerschlimmsten." Er erklärte den Zwiespalt: Wer gegen Regeln verstoße, müsse bestraft werden. Aber in diesem Ausmaß "wollen wir das nicht sehen, weil es nicht gut für die Show ist".

Kurven neun und zehn im Fokus

Vor allem die Kurven neun und zehn machten Probleme. "Das ist eine superschnelle Rechtskombination", sagt die frühere Rennfahrerin Corinna Kamper dem STANDARD: "Sie ist extrem wichtig, weil es danach auf die Start-Ziel-Gerade hinausgeht. Deshalb wollen Fahrer da so viel Geschwindigkeit mitnehmen wie möglich." Man wolle die Kurve so rund wie möglich fahren, deshalb versuche man, diese so weit wie möglich anzufahren. "Da zählt jeder Millimeter."

Das Streckenprofil.

Das wurde Fahrern am Wochenende zum Verhängnis. "Die Stewards empfehlen nachdrücklich, eine Lösung für das Problem der Track-Limits auf dieser Strecke zu finden", hieß es am Sonntagabend. Wie könnte diese aussehen? Es gibt mehrere Ansätze.

Kiesbett

Eine Möglichkeit wäre, ein Kiesbett seitlich der Kurven anzubringen. Dieses bestraft Fahrfehler härter als der Asphalt, weil man das Auto schwerer wieder auf die Strecke zurückbekommt. Piloten wären also wohl vorsichtiger. Das Problem dabei: Der Red-Bull-Ring ist eine permanente Rennstrecke. Hier gastiert nicht nur die Formel 1, sondern diverse andere Rennserien, unter anderem die MotoGP. Für die Zweiräder sind die flachen Randsteine, die in Spielberg in den letzten beiden Kurven verbaut sind, jedoch für die Sicherheit durchaus relevant.

Ein Kiesbett in Barcelona.
Ein Kiesbett in Barcelona. Da möchte man nicht reinfahren.
IMAGO/Motorsport Images/Andy Hone

Kerbs

Eine andere Option wäre, nicht mehr die weiße Linie als Track-Limit zu sehen, sondern dieses auf die Kerbs hinauszuverlagern. Wer über Kerbs drüberfährt, spürt diese und hat deshalb ein besseres Gefühl für die Streckenbegrenzung, so lautet das Argument. ORF-Expertin Kamper sieht aber auch hier einen Haken. "Wenn dann die linken beiden Räder über die Kerbs hinaus sind, spürt man sie ja wieder nicht." Das Problem würde sich also nur nach außen verschieben.

Und Track-Limits bei hohen Geschwindigkeiten zu spüren sei zwar eine "absolute Gefühlssache". Aber als Laie habe man ja auch ein Gefühl, wo das Auto anfängt und wo es aufhört. "Genauso ist es bei der Streckenbegrenzung."

Wolff brachte "Sausage-Kerbs" ins Spiel. So nannte man die langen und dünnen Randsteine, die bis 2020 Fahrer vom Überschreiten des Streckenlimits abhalten sollten. Das Problem: Teams und Fahrer rebellierten damals dagegen, weil die Reparaturrechnungen für Frontflügel und Radaufhängungen in die Höhe schnellten – fast jedes Überfahren führte zu einem Schaden.

Verzicht auf Track-Limits

Alternativ könnte die Fia auch sagen, dass es in den Kurven neun und zehn kein Streckenlimit mehr gebe. Die Fahrer könnten dann fahren, wo sie wollen, und sich selbst die Ideallinie suchen. Kamper kann sich mit diesem Vorschlag nicht anfreunden. Sie wisse nicht, warum daraus auch so ein großes Thema gemacht werde. "Bei einem Stadtkurs beschwert sich ja auch niemand, dass da so wenig Platz ist", sagt sie. "Wenn du dort zu schnell fährst, steckst du in der Wand."

Die frühere Rennfahrerin Corinna Kamper analysiert für den ORF die Formel 1.
Die frühere Rennfahrerin Corinna Kamper analysiert für den ORF die Formel 1.
ORF/Roman Zach-Kiesling

Fahrer in Verantwortung

Kamper sieht die Piloten in der Verantwortung. Das Problem habe es ja bereits letztes Jahr gegeben. "Es ist nicht überraschend", das Thema sei sicher auch im Fahrerbriefing angesprochen worden. "Natürlich geht es da um Millimeter", sagt Kamper. "Aber dann muss man eben im Zweifel einen Millimeter weiter rechts fahren als links."

Verstappen hatte etwa im Qualifying etwas mehr Sicherheitsabstand gelassen, weil er wusste, dass es eng wird. Zum Vergleich: Sein Teamkollege Sergio Perez bekam in Q2 keine schnelle Runde zusammen und musste sich mit Rang 15 begnügen. Man könnte sagen: So trennt sich auch die Spreu vom Weizen. Fernando Alonso sagte auf die Frage, was er als Lösung sieht: "Innerhalb der Streckenbegrenzung bleiben."

Kamper würde grundsätzlich bevorzugen, dass der Red-Bull-Ring so bleibt, wie er ist. Da sie aber befürchtet, dass das kommendes Jahr in einer neuerlichen Strafen-Orgie ausarten würde, sieht sie die Kerbs als neue Streckenbegrenzung als "besten" Kompromiss.

Es ist davon auszugehen, dass sich die Fia diverse Lösungsansätze ansehen wird. "Bis zum nächstjährigen Grand Prix müssen wir sicher eine Lösung finden", sagte Marko. Verstappen sagte angesichts der Strafenflut am Freitag bereits: "Wir Fahrer haben fast wie Amateure ausgesehen." (Andreas Gstaltmeyr, 3.7.2023)