Putin
Putin hielt am Montag Abend eine kurze Rede an die Nation.
APA/AFP/NATALIA KOLESNIKOVA

Nach dem versuchten Aufstand von Jewgeni Prigoschin und seiner Söldnertruppe Wagner, die am Samstag Kurs auf Moskau genommen hatte, sei die Lage in Russland mittlerweile wieder stabil. Das jedenfalls erklärte am Montag das Nationale Antiterrorkomitee. Eine Vielzahl offener Fragen sorgte aber für Kopfzerbrechen – noch bevor Wladimir Putin für die Nacht "eine Reihe wichtiger Ankündigungen" in Aussicht stellte.

Frage: Was hat Putin in seiner Rede gesagt?

Antwort: Putin war am Montag zunächst nur knapp in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten – er ließ via Agentur verbreiten, dass er mit dem iranischen Präsidenten Embrahim Raisi telefoniert habe, trat via aufgenommenem Video bei einem Business-Kongress auf. Dann aber ließ sein Sprecher Dmitri Peskow für den Abend eine angebliche Informations-Bombe platzen. "Eine Reihe wichtiger Ankündigungen" werde der Präsident schon in Kürze im Fernsehen abgeben, "ohne Übertreibung" Russlands Zukunft entscheiden würden. Die Spannung stieg, doch zunächst wiederholte Putin nur, was schon bekannt war: Es habe am Samstag einen Aufstand gegeben. Dieser wäre mühelos niederzuschlagen gewesen – er habe aber auf Blutvergießen verzichtet. Daher sei Angehörigen der Gruppe Wagner und ihrem Chef Jewgeni Prigoschin die Ausreise nach Belarus erlaubt worden – und er werde zu diesem Wort stehen. Wer nicht nach Belarus wolle, könne einen Vertrag mit der Armee abschließen. Nach fünf Minuten und etwas Lob für Belarus war die Ansprache schon wieder vorbei – ohne viele Neuigkeiten.

Frage: Hat sich die russische Führung vom Schock des Wochenendes erholt? Und zeichnet sich eine Strategie ab, wie der Kreml längerfristig auf Prigoschins Aufstand reagiert?

Antwort: Die Signale aus Moskau sind in sich widersprüchlich. Einerseits versuchten die staatlichen und Kreml-nahen Medien zunächst, den Aufstand von Jewegeni Prigoschin und seiner Söldnertruppe Wagner herunterzuspielen. In einer betont trocken gehaltenen Meldung etwa wurde im Staatsfernsehen auf die vom belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko vermittelte Einigung verwiesen, die Prigoschin dazu veranlasst haben soll, seine Kämpfer auf dem Weg nach Moskau zu stoppen. Bebildert war die eher karge Nachricht vom angeblichen Dank Wladimir Putins an Lukaschenko lediglich mit Standbildern der beiden Staatsoberhäupter. Doch gerade der offensichtliche Versuch, Gras über die Sache wachsen zu lassen und business as usual zu demonstrieren, stand in auffälligem Kontrast zu den vielen offenen Fragen – die auch nach Putins Rede blieben, die mit größter Dramatik angekündigt worden war und dann in Bekannten und eher Belanglosem endete.

VIDEO: Putins erste TV-Ansprache nach dem Ende des Wagner-Aufstandes.
AFP/POOL VIA VGTRK

Frage: Prigoschin hatte es ja vor allem auf Verteidigungsminister Sergej Schoigu abgesehen, dem er Unfähigkeit und die Gefährdung von Soldaten und seiner Kämpfer vorwirft. Ist Schoigu inzwischen in Erscheinung getreten?

Antwort: Ja, allerdings ebenfalls nur in Form eines vorab aufgenommenen Videos und über offizielle Verlautbarungskanäle. Laut Angaben der Nachrichtenagentur RIA Nowosti vom Montag besuchte Schoigu Truppen, die an der Invasion in der Ukraine beteiligt sind. Sein eigenes Ministerium erklärte dazu, er habe dort die "große Effizienz bei der Erkennung und Zerstörung" ukrainischer Waffensysteme hervorgehoben. Ein knapp 50 Sekunden langes Video ohne Ton soll Schoigu jedenfalls bei einem Besuch im Kampfgebiet zeigen. Angaben, von wann die Aufnahme stammt, gab es allerdings nicht. Die Nachricht deutet somit lediglich auf eines hin: Der Kreml will zeigen, dass Schoigu weiter im Amt und den Forderungen Prigoschins nicht geopfert worden sei.

Frage: Was weiß man über Prigoschin selbst?

Antwort: Der Söldner-Chef, der ja laut Vereinbarung nach Belarus ins Exil gehen sollte, hat sich am Montagabend erstmals wieder per Audiobotschaft zu Wort gemeldet, die via Telegram verbreitet wurde. Ziel seines "Marsches" auf Moskau sei es nicht gewesen, die russische Regierung zu stürzen, sondern gegen die ineffektive Kriegsführung in der Ukraine zu protestieren. Über seinen aktuellen Aufenthaltsort sagte Prigoschin in der Aufnahme nichts.

Frage: Gibt es nach Prigoschins versuchtem Aufstand eine Bilanz zu Opfern und Schäden?

Antwort: Nach Angaben von Militärbloggern sollen mehrere Piloten der russischen Luftwaffe ums Leben gekommen sein. Die Angaben zur Zahl der Todesopfer schwankten allerdings zwischen 13 und mehr als 20 Soldaten. Wagner-Leute erklärten, sie hätten mehrere Flugzeuge abgeschossen. Keine der beiden Seiten aber machte zunächst offizielle Angaben zu Todesopfern. Russische Behörden wiesen lediglich auf die Beschädigung von 19 Häusern in der Region Woronesch hin. Zudem sind Fahrbahnen auf dem Weg Richtung Moskau beschädigt worden – teils durch Panzer, teils absichtlich, um diese aufzuhalten.

Frage: In Moskau ist die Kommunikation also schaumgebremst, aber auch im Westen reagierte man bisher recht verhalten. Warum?

Antwort: Im Westen ist man bemüht, Stellungnahmen zu vermeiden, die als parteiisch interpretiert werden könnten. Zum einen ist Prigoschin kein verlässlicherer Ansprechpartner als Putin. Zum anderen gilt es, möglichen Narrativen, der Westen habe die Fäden gezogen, um Russland zu destabilisieren, keine Nahrung zu geben. Die New York Times und die Washington Post berichteten am Wochenende, US-Geheimdienste hätten im Vorfeld Hinweise auf eine Aktion Prigoschins gehabt und an Regierungsstellen weitergeleitet. Auch die von Russland angegriffene Ukraine beobachtete die Lage seit 10. Juni mit erhöhter Aufmerksamkeit. An diesem Tag hatte das russische Verteidigungsministerium angeordnet, dass alle Söldner bis 1. Juli einen Vertrag mit der Regierung schließen sollen – also auch die Wagner-Söldner Prigoschins, was den Machtkampf wohl entscheidend zugespitzt hatte. (Gerald Schubert, Manuel Escher, 26.6.2023)