Halten kühlende Textilien, was sie versprechen?
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STANDARD: Etliche Hersteller bieten "kühlende" Kleidungsstücke und Bettwäsche an. Sind sie mehr als ein Marketinggag?

Beringer: Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um reines Marketing handelt, liegt bei rund fünfzig Prozent.

STANDARD: Wie soll ich mich als Verbraucherin auskennen?

Beringer: Welches das richtige Produkt für den Sport oder das Bett ist, ist schwer zu durchschauen. Es hilft aber, zu wissen, wie die Thermoregulation des Menschen funktioniert. Um zu funktionieren, müssen wir die Körpertemperatur konstant bei etwas unter 37 Grad Celsius halten. Ist sie zu hoch oder zu niedrig, funktioniert der menschliche Körper nicht mehr richtig, und wenn wir zu weit überhitzt oder unterkühlt sind, sterben wir. Glücklicherweise haben wir eine Art Klimaanlage eingebaut. Wird dem Menschen warm, fängt er an zu schwitzen. Das verdunstende Wasser kühlt unseren Körper herunter. Ein richtig konstruiertes Textil funktioniert wie ein Verdunstungskühler. Weil es eine sehr große Oberfläche hat, ist es viel effektiver als unsere Haut.

STANDARD: Was heißt das genau?

Beringer: Allein die sichtbare Oberfläche eines T-Shirts beträgt rund einen Quadratmeter – und variiert natürlich nach Größe. In der mikroskopischen Region kommen mit den feinen Fasern und gedrehten Garnen bis zu 50 Quadratmeter dazu. Die Haut hingegen hat nur rund zwei Quadratmeter Oberfläche. Ein Bauarbeiter sollte also nicht oben ohne arbeiten. Es ist ratsamer, ein Kühlshirt zu tragen und dieses ständig nass zu halten.

STANDARD: Ein kühlendes Textil sollte also zusätzlich nass gemacht werden?

Beringer: Richtig, anfeuchten, auswringen und dann anziehen. Nur dann kühlen Textilien vom ersten Moment an. Es gilt, die Zeit zu überbrücken, bis das T-Shirt vom eigenen Schweiß durchfeuchtet ist.

STANDARD: Welche Materialien kühlen am besten?

Beringer: Die Sache ist recht einfach. Wir haben herausgefunden, dass Polyester die beste Kühlleistung pro Flächengewicht erzeugt – auch wenn das viele nicht hören wollen. Polyamid funktioniert auch gut, alle natürlichen Fasern wie Wolle oder Baumwolle sind weit abgeschlagen. Letztere nimmt zwar viel Wasser bzw. Schweiß auf, verdunstet diesen aber nur sehr langsam. Jedes Gramm Schweiß im Baumwollshirt heizt sogar zusätzlich auf. Polyester hingegen nimmt die Feuchtigkeit auf, leitet sie weiter und verdunstet sie sofort. Außerdem sollte die Kleidung eng anliegen und Kontakt zur Haut haben. Wenn ein lose geschnittenes Textil durch Verdunstung des Schweißes kalt wird, haben wir nichts davon.

STANDARD: Polyester gilt nicht als umweltfreundlich und hat ein schlechtes Image. Zu Recht?

Beringer: Mit dem Polyester ist man natürlich sofort in der Mikroplastikdiskussion drin. Die Bilanz von Baumwolle ist allerdings auch nicht unbedenklich. Für die Herstellung eines Baumwoll-T-Shirts braucht es oft Pestizide und hundertmal mehr Wasser als für die Produktion eines Polyester-T-Shirts. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob das natürlich ist. Baumwolle ist übrigens auch nur dann frei von Mikroplastik, solange sie komplett unbehandelt bzw. ungefärbt ist.

STANDARD: Wieso ist das Angebot an kühlender Kleidung in den vergangenen zehn Jahren so groß geworden?

Beringer: Das hat mit dem Klimawandel zu tun. Es wird wärmer, die steigenden Temperaturen haben Auswirkungen auf unseren Alltag. Wer nicht im klimatisierten Büro sitzt, sondern draußen arbeitet, muss sich runterkühlen und vor der Sonne und Hitze schützen. Ein geeignetes Textil kann bei der Schwitz- oder Verdunstungskühlung effektiv unterstützen.

STANDARD: Lässt sie sich bemessen?

Beringer: Hohenstein hat vor etwa zehn Jahren dazu eine Messmethode entwickelt – die Kühlleistung können wir in Watt angegeben, zum Beispiel fünf, zehn oder zwölf Watt. Das ist jedoch eine freiwillige, nicht gesetzlich vorgeschrieben Angabe, die vor allem seriöse Anbieter machen.

STANDARD: In welchem Bereich boomen kühlende Textilien besonders stark?

Beringer: Am wichtigsten sind die Bereiche Freizeit und Sport. Der zweitgrößte Markt ist Arbeitskleidung, allerdings mit deutlichem Abstand. Wobei kühlende Textilien gerade im Arbeitsumfeld viel präsenter sein müssten. Etliche Arbeitnehmer, vom Straßenbau bis zum Gartenbau, sind gezwungen, sich auch bei hohen Temperaturen draußen aufzuhalten. Eigentlich hat der Arbeitgeber die gesetzliche Verpflichtung, die Mitarbeiter vor Sonneneinwirkung und Hitze zu schützen – dazu gibt es eine EU-Richtlinie. Als Freizeitsportler hingegen muss ich ja bei Hitze nicht unbedingt raus.

STANDARD: Auch im Bereich Heimtextilien wird mit kühlendem Material geworben. Raten Sie etwa auch zu Bettwäsche aus Polyester?

Beringer: Als Textilchemiker weiß ich, dass Polyester technisch die beste Lösung wäre. Im Bett befindet sich der menschliche Körper aber in einer anderen metabolischen Situation. Er schwitzt in der Regel nicht flüssig, es geht mehr um das Management von dampfförmigem Schweiß, aber auch von konduktiver Wärmeableitung. Da haben natürliche Fasern wie Baumwolle bzw. Tencel oder Viskose definitiv ihre Berechtigung.

STANDARD: Und Seide?

Beringer: Dass Seide einen "cool touch" hat, spürt man, wenn man einen Seidenschal um den Hals schlingt. Nach zwei, drei Sekunden ist die kühlende Wirkung allerdings vorbei. Legt man sich hingegen ein feuchtes Polyesterkühlhandtuch um den Hals, kühlt das, solange es nass ist.

STANDARD: Wie halten Sie es mit kühlender Kleidung?

Beringer: Nachdem ich mit meinem Mitarbeiter das Prüfgerät entwickelt habe, bin ich natürlich vorbelastet. Während der Gartenarbeit trage ich Kühlshirts, die ich vor dem Anziehen befeuchte. Sobald die Verdunstungskühlung eintritt, ist das extrem angenehm.

STANDARD: Und wie betten Sie sich?

Beringer: Ich bevorzuge normale Baumwollbettwäsche, empfehle aber bei hohen Temperaturen statt der Bettdecke nur einen Baumwollüberzug zu benutzen. Viele Leute glauben, sie kuscheln sich bei 30 Grad im Schlafzimmer in eine Kühldecke und dann wird ihnen kalt. Das funktioniert natürlich nicht. Die Wärmeisolation der Decke lässt sich nicht wegdiskutieren, da hilft auch ein kühlender Bettbezug nicht weiter. Auch bei dem Thema sollten wir den gesunden Menschenverstand einschalten. (feld, 23.6.2023)

Jan Beringer ist promovierter Chemiker und beim deutschen Hohenstein-Institut tätig.
Hohenstein Institut

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