Sind Quantencomputer überhaupt für irgendetwas gut? Bisher musste diese Frage verneint werden. "Sie sind schrecklich", sagte erst kürzlich der Physiker Winfried Hensinger von der Universität Sussex in Brighton zum Fachblatt "Nature", "sie können nichts Nützliches leisten." Tatsächlich sind die Rechenleistungen von Quantencomputern noch recht überschaubar. Doch durch eine aktuelle Studie könnte sich das ändern  wenigstens ein kleines Stück weit.

Quantencomputer Close-up
Diese Aufnahme aus dem Jahr 2020 zeigt einen Quantencomputer des IT-Konzerns IBM. Mit einem aktuellen Quantenrechner will IBM die Leistungen klassischer Computer übertroffen haben.
IMAGO/Pond5

Überlegen oder nicht?

Seit Jahren arbeiten Forscherinnen und Forscher daran, Quantencomputer zu entwickeln, die klassische Rechner übertreffen. Bisher konnten erst sehr wenige Beispiele dieses sogenannten Quantenvorteils (auch Quantenüberlegenheit) demonstriert werden: Der IT-Konzern Google gab 2019 an, die Quantenüberlegenheit erreicht zu haben  Dementis der Konkurrenz folgten damals aber umgehend. Google legte mit weiteren Publikationen nach, etwa einer vielbeachteten Arbeit zur Quantenfehlerkorrektur aus dem Jahr 2021. Auch ein chinesisches Team um Jian-Wei Pan gab etwa in einer Arbeit aus dem Jahr 2020 an, den Quantenvorteil erzielt zu haben.

Unter Fachleuten ist aber nach wie vor der Tenor vorherrschend: Selbst wenn das Beispiele sein mögen, in denen Quantencomputer rascher oder präziser sind als klassische Computer, so sind das doch sehr konstruierte Fälle, wo ein praktischer Nutzen kaum erkennbar ist. Für alle praktischen Anwendungen gilt: Trotz ihres enormen Potenzials sind Quantencomputer momentan eigentlich zu nichts gut.

Komplexe Berechnung

Neuen Schwung in das Rennen um den Quantenvorteil bringt nun eine aktuelle Publikation: Ein Forschungsteam des IT-Konzerns IBM berichtet im Fachblatt "Nature", die physikalischen Eigenschaften eines komplexen Moleküls berechnet zu haben – und damit eine Aufgabe gelöst zu haben, die ein klassischer Computer nicht lösen kann.

Wie Youngseok Kim und seine Kollegen vom IBM Thomas J. Watson Research Center in Yorktown Heights, New York, angeben, konnten sie mit einem IBM-Quantenprozessor mit 127 Qubits die Erwartungswerte (Durchschnittsergebnis für wiederholte Messungen) von verschränkten Quantenzuständen berechnen. Diese Aufgabe, die die Fähigkeiten der besten klassischen Computer übersteigt, könnte schon in naher Zukunft für praktische Anwendungsfälle nützlich sein.

No one is perfect

Noch spannender als das Was ist dabei das Wie: Bisher ist als größte Herausforderung für leistungsstarke Quantencomputer ihre Fehleranfälligkeit angesehen worden. Einerseits sind Quantencomputer empfindlicher auf äußere Einflüsse als klassische Rechner, andererseits ist die Fehlerkorrektur bei Quantencomputern erheblich komplizierter. "Die weithin akzeptierte Lösung für diese Herausforderung ist die Implementierung fehlertoleranter Quantenschaltungen", schreiben Kim und Kollegen in ihrer Arbeit. Das Team ging aber einen anderen Weg: Der Ansatz bestand hier nicht darin, die Fehler zu eliminieren, sondern das "Rauschen" kontrollierbar zu manipulieren. "Diese Experimente stellen ein grundlegendes Werkzeug für die Realisierung von Quantenanwendungen in naher Zukunft dar", schreiben die Autoren.

Obwohl es also immer noch keine perfekten, fehlerfreien Quantencomputer gibt, zeigt die neue Publikation, dass Quantenprozessoren womöglich schon in den nächsten Monaten oder wenigen Jahren für praktische Probleme eingesetzt werden können, auch ohne umfassende Fehlerkorrektur. Es wird dagegen noch viele Jahre dauern, bis Quantencomputer ihren Betrieb aufnehmen, die eine fehlerfreie Datenverarbeitung erreichen.

Vorsichtige Erwartungen

Ob damit auch industriell brauchbare und wirtschaftlich verwertbare Anwendungen in greifbare Nähe rücken, beantworten Göran Wendin und Jonas Bylander von der Chalmers University of Technology im schwedischen Göteborg, die nicht an der Studie beteiligt waren, aber skeptisch: "Die Antwort ist höchstwahrscheinlich Nein: Solche Algorithmen müssen eine viel größere Anzahl von Qubits und viel mehr aufeinanderfolgende Operationen umfassen, um mit leistungsstarken klassischen Supercomputern konkurrieren zu können, und diese Quantenberechnungen würden unweigerlich im Rauschen untergehen, das durch Qubit-Fehler entsteht."

Die Ergebnisse von Kim und seinen Kollegen würden aber laut Wendin und Bylander weitere Möglichkeiten für Quantenprozessoren aufzeigen, um physikalische Prozesse nachzunahmen, die "weit jenseits der Möglichkeiten von herkömmlichen Computern liegen". (Tanja Traxler, 14.6.2023)