Birgit Baumann aus Berlin

Linksextremistin Lina E. mit den Anwälten Erkan Zunbul und Ulrich von Klinggraeff. 
Die Stadt Leipzig fürchtet nach der Verurteilung von Lina E. (Mitte) Randale von Linksextremen.
APA/AFP/JENS SCHLUETER

"Jetzt erst recht" – so lautete am Mittwoch der Aufruf der "Antifaschistischen Aktion" auf der Plattform Indymedia. Und weiter: "Samstag trotz Verbot (sic) alle auf die Straßen." Unterlegt war der Appell mit einem Bild, auf dem eine Straßenschlacht zu erahnen ist.

Eine solche könnte der sächsischen Stadt Leipzig am Wochenende bevorstehen – als Protest gegen ein Urteil, das das Oberlandesgericht Dresden am Mittwoch gesprochen hatte. Mit diesem wurde die 28-jährige Studentin Lina E. aus Leipzig zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Drei mitangeklagte Männer erhielten unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer linksextremen kriminellen Vereinigung Freiheitsstrafen zwischen zwei Jahren und fünf Monaten sowie drei Jahren und drei Monaten.

Kopf der Bande

Lina E. gilt als Kopf der Bande. Dieser warf die Bundesanwaltschaft vor, zwischen 2018 und 2020 Leute aus der rechten Szene in Leipzig, Wurzen (Sachsen) und Eisenach (Thüringen) brutal zusammengeschlagen haben. Die Bundesanwaltschaft hatte für die Frau, die seit zweieinhalb Jahren in U-Haft sitzt, acht Jahre Haft gefordert. Dem ist das Gericht nicht gefolgt, etwas mehr als fünf Jahre wurden es dennoch. Laut Anklage wurden 13 Menschen verletzt, zwei davon lebensbedrohlich. Die Beschuldigten hätten den Rechtsstaat ebenso abgelehnt wie das staatliche Gewaltmonopol, lautete eine weitere Anschuldigung.

Bei der Urteilsbegründung sagte Richter Hans Schlüter-Staats: "Jeder Mensch hat in diesem Staat Rechte – auch ein gewalttätiger Nazi. Er wird durch seine Taten nicht vogelfrei."

Tumult im Gerichtssaal

Das Urteil löste schon am Mittwoch bei der Verkündung Proteste und Tumulte im Gerichtssaal aus. In diesem waren zahlreiche Unterstützer und Unterstützerinnen von Lina E. gekommen. Es fielen Ausdrücke wie "Faschofreunde" und "Scheiß-Klassenjustiz". Auch vor dem Gericht wurde protestiert.

In Sicherheitskreisen beobachtet man, dass in der linksautonomen Szene schon seit Monaten europaweit mobilisiert wird für den "Tag X". In Leipzig ist daher ein Großeinsatz der Polizei geplant, zumal am Samstag auch das Stadtfest, das Finale des Sachsenpokals zwischen dem  1. FC Lok Leipzig und dem Chemnitzer FC sowie ein Konzert von Herbert Grönemeyer geplant sind. Die Polizei hat Unterstützung aus anderen Bundesländern angefordert und erklärt: "Alle der Polizeidirektion Leipzig vorliegenden Erkenntnisse lassen prognostisch den Schluss zu, dass auch gewaltbereite und gewaltsuchende Personen nach Leipzig reisen und Straftaten begehen werden."

Demonstration gegen die Festnahme der Linksextremistin Lina E. in Kassel im September 2021
Eine Demonstration gegen die Festnahme der Linksextremistin Lina E. in Kassel im September 2021.
imago images/Hartenfelser

Die Stadt Leipzig hat das Versammlungsrecht für den Samstag eingeschränkt. Nicht gestattet werden öffentliche Versammlungen, die sich inhaltlich auf den Prozess oder die Angeklagte beziehen und nicht bis Mitternacht des 31. Mai bei der Versammlungsbehörde angezeigt wurden. So will sie spontane Demos unterbinden.

Ausschreitungen in Bremen

Nach dem Urteil kam es am Mittwochabend zu Ausschreitungen in der Innenstadt von Bremen. Rund 300 meist vermummte Personen hätten sich versammelt und seien dann "relativ schnell und unvermittelt" auf Einsatzkräfte losgegangen, sagte eine Sprecherin der Polizei. Es seien Glasflaschen und Steine auf Polizisten geworfen worden, auch Pyrotechnik sei gezündet worden. Angaben über mögliche Verletzte konnte die Polizeisprecherin zunächst nicht machen. Auch in Leipzig versammelten sich Hunderte Menschen aus Protest gegen die Verurteilung. Die geplante Demo unter dem Motto "Free Them All - Militanten Antifaschismus verteidigen" durch den Leipziger Osten konnte aber nicht loslaufen. Nach Angriffen auf Polizisten wurde die Versammlung für beendet erklärt.

Zufrieden mit dem Urteil ist die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD). "Im demokratischen Rechtsstaat darf es keinen Raum für Selbstjustiz geben", sagt sie. Und auch der deutsche Justizminister Marco Buschmann (FDP) erklärt: "Extremismus bekämpft man nicht mit Extremismus. Wir müssen unsere liberale Demokratie schützen vor ihren Feinden, doch nicht mit Selbstjustiz." (Birgit Baumann aus Berlin, 31.5.2023)