Osterwochenende ist Städtereisezeit, und darauf baut der Episodenfilm Paris, je t'aime. Die Legende der "Welthauptstadt der Liebe" ist eine alte: Im 19. Jhdt., in der Zwischenkriegszeit und in den 1950ern entsprach sie dem subjektiven Empfinden von Immigranten aus repressiveren Weltgegenden, heute ist's primär ein Tourismus-Marketing-Tool wie der Walzer für Wien. Mit 18 Episoden ist's zudem wie ein Besuch bei einem Kurzfilmfestival: recht anstrengend, aber dann auch lohnend, weil nach Anregung der Regisseure Tristan Carné und Tom Tykwer eine lange Reihe von Handschriften von Weltkino-Regisseuren kompakt versammelt wurde. Und jeder im Publikum ist eingeladen, individuell zu werten: Mit Wes Craven auf den Père Lachaise, wo Oscar Wildes Geist eine Ehe rettet, mit Steve Buschemi unter den Coen-Bros in die U-Bahn-Gewölbe in die Arme des Temperaments der Einheimischen, mit Willem Dafoe als Cowboy, der unter Nobuhiro Suwa auf der Place des Victoires Juliette Binoche als trauernde Mutter tröstet? Über Regie-Fragen nachzudenken: Wie sehr den Ort betonen, wie sehr die Autonomie der Charaktere?

Fotos: Constantin

Klar, ganz viel funktioniert rückbezüglich, auf Kinowelten, auf Regisseursvorlieben: So mag im Rahmen einer Reihe bikultureller Begegnungen Christopher Doyles offensiver Hang zu asiatischer Weiblichkeit ebensowenig wundern wie Gus Van Sants homoerotische Deutung, so sind Fanny Ardant und Bob Hoskins prototypische Besetzung für einen Amour-Rückblick, so bleibt Olivier Assayas, nun mit Maggie Gyllenhaal, bei seinem Stammthema Showbiz+Drogen, so segnen Gérard Depardieu und Frédéric Aubertin mit Ben Gazzara und Gena Rowlands der Liebe Unsterblichkeit ab, so lässt Vincenzo Natali den berühmtesten Hobbitt auf eine Vampirin treffen und Sylvain Chomet einen Pantomimen rotieren. Und muss hinzugefügt werden, dass Charme in Tristesse vielfach der große Attraktions- und Verkaufsfaktor ist? [hcl]

Fotos: Senator Film

Parodien auf Kassenschlager der abgelaufenen Kinosaisonen haben schon eine lange Tradition - wie auch Trilogien: Jason Friedberg und Aaron Seltzer liefern nun nach 'Scary Movie' und 'Date Movie' das 'Epic Movie', welches in deutsch den Titel Fantastic Movie erhielt: Vier junge Leutchen, vorgestellt mit Anleihen aus 'The Da Vinci Code' oder 'Snakes on a Plane', gelangen also ins Königreich von Gnarnia, treffen dort auf den trinkfreudigen Piratenkapitän Jack Swallows, den ewigen Studenten Harry Plotter oder ein Borat-Double. Und Seher von 'Charlie and the Chocolate Factory', der 'X-Men'-Serie und 'Superman Returns' werden auch ihre Aha-Erlebnisse haben - und eventuell dazu ein paar Lacher. [hcl]

Fotos: Lunafilm

Ebenfalls seriellen Touch hat Die wilden Hühner und die Liebe: Vivian Naefe verfilmte den zweiten Teil des Jugenbucherfolgs von Cornelia Funke über ein Teenage-Mädchenquintett, das rund um die Proben einer Aufführung von Shakespeares 'Sommernachtstraum' mit diversen Herzensangelegenheiten umzugehen lernen muss. Und die Produzenten Uschi Reich und Peter Zenk (Constantin) können somit mittlerweile schon auf eine ziemlich lange Liste erfolgreicher Jugendromanverfilmungen zurückblicken. [hcl]

Foto: Constantin

Ein moderner Klassiker erhält im Gartenbaukino eine Wiederaufführung, Je t'aime, moi non plus: Serge Gainsbourg hatte 1975 viel Grant auf die Kulturindustrie in einen hingerotzten "Film maudit" gesteckt, der bei Verzicht auf allzuviel Handlung ganz im popkulturellen Zitat, im Körperthema und in der Grenzüberschreitung aufgeht. In einem kargen französischen Irgendwo suhlen sich Joe Dallesandro und Hughes Quester als LKW-Fahrer in angewandten Wildwest-Phantasien, Jane Birkin stößt als Kellnerin hinzu, und das treibt dann eine Weile so dahin. Sexualtechnisch wird ein Aufreger aus Bertoluccis 'Letztem Tango' mit Konsequenz weitergesponnen, und ganz dem Zeitgeschmack entsprechend wird dem androgynen Appeal von Jane Birkin ein fleischiger Warhol'scher Superstar gegenübergestellt. Nebstbei: Dalessandros berühmtes Tatoo 'Little Joe' ist da sehr deutlich inverser Camp, a truth that tells a lie. Rauhes Kino. [hcl]

Foto: Gartenbaukino

Ganz auf Körperkult setzt schließlich auch 300, Best-of-Kompilationen könnten in diversen Rahmen ihre Verwendung finden, Hen-Nights wie Leder-Bars. Nach 'Sin City' gab der Autor der Comic-Vorlage, Frank Miller, sein Placet für die Umsetzung seiner geliebten Thermopylen-Phantasie; Zack Snyder inszenierte Millers Düsterlook in einer Airbrush-Ästhetik, die mitsamt der Sprüche eher für den DVD-Home-Markt als das Kino optimiert ist. Die Miliärgeschichtsschreibung der altgriechischen Sklavenhalterstaaten ist ohnedies so eine Sache, beim Heroenpathos lebt jener Homer nach, auf dessen Schlachtfeldern sich ja Halbgötter umtaten. Naiv blauäugig bis provokativ war's, mit dem Film auf der Berlinale aufzukreuzen, während in Washington hinter weißen dorischen Säulen rhetorisch scharf gemacht wurde; schließlich gibt sich das Festival als betont politisches, und seine Besucher sind dies oft dann nicht minder. Volten sind möglich, die griechische Antike ist schließlich ein weltanschaulicher Selbstbedienungsladen, und auch in Afghanistans Bergen verschanzte Talibans könnten also die Spartaner in sich entdecken. [hcl]

Ausführlicheres siehe in der Besprechung von Isabella Reicher

Link: warnerbros.de/300

Foto: Warner

Ein Tipp der Woche gilt dem Cine Latino Festival vom 5. bis 12. April im Wiener Filmcasino; die Woche entstand in Kooperation mit dem 7. Lateinamerika-Filmfestival im Das Kino Salzburg, hat sich einen Schwerpunkt auf Migration gesetzt - und weist eine Reihe hochqualitativer Arbeiten auf. Das raue Klima der Gesellschaftspolitik des Kontinents gibt vielfach die Themen vor: Eine Empfehlung gilt etwa Israel Adrián Caetanos Thriller 'Buenos Aires 1977' über einen Sportler in den Fängen der Militärjunta und seine Flucht (l.o.); vom Generationswechsel innerhalb der jüdischen Mittelklasse weg von übergroßer Anpassung erzählt der talentierte Jungdramatiker Daniel Burman in 'Derecho de familia / Family Law' (l.u.). Ein mehrfach dokumentarisch beleuchtetes Thema ist das der Übernahme von scheinbar bankrotten argentinischen Fabriken durch Arbeiter, in Spielfilmform goss dies Marcelo Mangone 2005 in 'La Démolicion' (r.o.). Und nach Peru führt Claudia Llosa mit dem ironischen Debüt und Sundance-Auftritt 'Madeinusa' (r.u.) über archaische Osterbräuche in den Anden und deren Wandel rund um eine Honoratorentochter.

Fotos: Filmcasino

Eine zweite Festivallinie geleitet in jugendliche, von kulturellem Überbau autonomere Lebenswelten: So führt der Eröffnungsfilm (5.4. 20:30) 'Quinceañera / Echo Park L.A.' (l.o., Regie: Richard Glatzer, Wash Westmoreland) humorvoll und lebensbejahend in das alltägliche Gewusel der Latino-Community - Preis von Jury wie Publikum in Sundance'06. Sympathische Schrulligkeiten in der Personenzeichnung wie in der spielerischen Handlungsaufbereitung kennzeichnen die junge chilenische Produktion 'Play' von Alicia Scherson über Großstadtleben und darin Herumstreifende (r.o.). Und während der Abschlussfilm '12 Tangos / Adios Buenos Aires' (l.u.) von Arne Birkenstock (Deutschland 2005) um einiges zu TV-verhaftet einem langjährigen Tanzphänomen nachgeht, kommt aus Brasilien eine kleine Empfehlung für junges Kino: 'Two Summers / Houve uma vez dois veroes' von Jorge Furtado vermittelt 75-minütig einiges vom flott improvisierten Herumstreifen in gammeligen Badeorten - und den Dingen, die sich daraus so ergeben können. [hcl]

Ausführlicheres siehe in der Besprechung von Dominik Kamalzadeh

Details, Programm: filmcasino.at

Fotos: Filmcasino

Und ein weiteres kleines Festival steht diese Woche am Programm in Wien: Unter dem Motto gleich anders: anders gleich läuft von 4. bis 14. April eine Filmreihe zum Thema Behinderung im Wiener Top Kino - organisiert von der Landesstelle Wien des Bundessozialamts, das anlässlich des Europäischen Jahres für Chancengleichheit mit den Varianten der Klischeebilder von Menschen mit Behinderungen verändern will. Das Programm ist vielgestaltig, ein naheliegender US-Indie-Film dabei ist 'The Station Agent' über einen Eisenbahnfan, der sich, "vertically challenged", eigentlich in eine still gelegte Bahnhofsstation zurückziehen möchte.

Details, Programm: topkino.at

Denn, wie 'The Station Agent' auch gut vermittelt, ähnlich weit ist das Land der sozialen Behinderungen vorgeblich Normaler:

Foto: Warner

Die schräg brachiale, darin vielsagende Komödie 'Bierfest' von Jay Chandrasekhar ist Teil der heterogenen Reihe Cartoons & Comedies, die zur Zeit in den Breitenseer Lichtspielen läuft ...

Link: bsl.at.tf

... und sie ist nicht das unpassendste Parallelprogramm für ein 80er-Jahre-kinoki special: Wiener Punkfilme am Karsamstag am 7.4. 19:00 im EKH (10, Wielandgasse 2). Wien und Punk - das hieß, ganz provinziell, vor allem mal, die verpennte "sexuelle Revolution" nachzuholen. Orgien now! - und ein nonchalantes, verschmitztes Werk war die aus der Rosa-Lila-Villa herausgegangene Polit-Travestie 'Wiener Brut' (1984, Regie: Hans Fädler, 1948-87), die Anfänge der Life-Ball-Bewegung. Ein anderes Epizentrum, einen Offoff-Videoclub, betrieb der seit einiger Zeit in Berlin umtriebige Freiheit-durch-Sex-Filmer Carl Andersen; und noch in Wien entstand sein von Vampirfilmfans gehasstes Frühwerk 'I Was a Teenage Zabbadoing / Vampiros Sexos' (1988): Jess-Franco-Affinitäten, DDR-16mm, Gruftie-Explizit-Eros, Exploitation dicke, drolliges Set, Cameo des Schreibers dieser Zeilen mit 23 - ujegerle! [hcl]
Link: kinoki.at

Foto: Warner

"Exploitation" ist auch ein gutes Stichwort für die Retrospektive Franz Novotny, als Regisseur wie Produzent ein Umrührer, Antreiber und Getriebener in Wiens Kinoszene, mit stupenden wie etwas fragwürdigen Resultaten: Große Halbstarken-Klassiker waren 'Staatsoperette' (1977, l.o.), 'Exit ... nur keine Panik' (1980, r.o.) und 'Die Ausgesperrten' (1982), Stirnrunzeln erntete die die Halbwelt-Abhärtungsgeschichte 'Nachtfalter' (2001, l.u.). Novotny ist eine schillernde Figur des öffentlichen Lebens, Anekdoten und G'schichtln kursieren zuhauf, Theatralik ist stets Element: So ist die Regiearbeit 'YU' (2003, r.u.) ein schönes Beipiel für jene Obsession mit einem (im weiteren Sinne) geografischen Südosten, welche auch durch die darum als Produzent (mit Roger-Corman-Inspirationen) betreuten Arbeiten '011 Beograd', 'Summer in the Golden Valley' und 'Gori Vatra - Feuer!' spricht, während die jüngst produzierten 'heile welt' und 'Auf bösem Boden' explizit oder implizit um kleinfamiliäre Dysfunktionalität kreisen. [hcl]

Ausführlicheres siehe in der Besprechung von Claus Philipp

Link: filmarchiv.at

Fotos: Filmarchiv

Bei der Retrospektive Josef von Sternberg im Österreichischen Filmmuseum dem Werk eines der wirkungsvollsten der Wiener Filmemigranten (wieder) zu begegnen, ist eine Frage des Vorwissens. Etwa: in jungen Jahren die (leider vergriffenen) Memoiren erworben, mitgeteilt bekommen, diese seien furchtbar arrogant, feststellen, dass sie dies nicht sind, sondern nur die Worte von jemandem, der schon als jung Gereifter in die Filmwelt eintrat und vieles so nur ironisch sehen konnte. Seine nonchalanten Sakkos belegten Ironie bezüglich eines "Kleider machen Leute", und umso klarer und besser konnte er mittels Kostüm, Licht und Dekorationen Star-Monumente bauen - auffällig etwa bei George Bancroft ('Docks of New York', 'Underworld'). Sternbergs Stories waren dabei nicht gar so wichtig, wie auch schon Luis Buñuel in seinen Erinnerungen darlegte, sondern deren Ausformung. Und 'Marocco' bestach nicht nur mit Sonne- und Schattenspielen, sondern erschuf mit mit Gary Cooper als Fremdenlegionär und Marlene als Barsängerin im Frack zwei der ein- und nachdrücklichsten Pinups der frühen Tonfilmgeschichte, ...

Fotos: Filmmuseum

... wobei weder Sternberg noch Dietrich an den Femme-fatale-Mythos glaubten, ihr Spiel damit aber beide als narzisstisch erscheinen ließ. Überhaupt, alte Geschichten: Sternbergs Vorwurf an Studioboß Lubitsch, jener sei kalt und zynisch, hätte genausogut umgekehrt kommen können; letztlich waren sie es beide nicht, Sternberg halt nur sehr deutlich (wie Stroheim) noch ganz (und kritischer) k.k.-Mensch: Das belegt das wiedergefundenen Fragment der Prater-Phantasie von 'The Case of Lena Smith' (l.o., mit neuer Buchpublikation dazu!) wie die halbgare Sissiade 'The King Steps Out'; österreichischen Emigrationszielen wie 'Macao' (r.o.) oder Shanghai wird Reverenz erwiesen, und das Alterswerk 'The Saga of Anatahan' (r.u.) ist später Ausfluss des Japonismus des alten Wiens. Als P.S.: Das asiatische Kino ist auch jenes, in dessen Rahmen Sternberg am gründlichsten geschätzt und rezipiert wurde. [hcl]

Ausführlicheres zur Retrospektive siehe im Artikel von Isabella Reicher

Details, Programm: filmmuseum.at

Hans Christian Leitich [hcl], 4./5. 4. 2007

Fotos: Filmmuseum