"In den letzten vier oder fünf Wahlen waren immer 'die Ausländer' das dominierende Thema, aber nur diesmal sind die Menschen offen und direkt zur Zielscheibe gemacht worden."

Als Bilanz eines "Ausländerwahlkampfes", der Menschen zur Zielscheibe machte, befürchtet Dr. Haydar Sari, SPÖ-Kandidat und gebürtiger Türke, eine Verhärtung des sozialen Klimas in Österreich. Parolen wie "Daham statt Islam" nur zu ignorieren war zu wenig, befindet er. Ein Interview von Gastautorin Kerstin Kellermann.

Gab es bei den letzten Wahlen wirklich einen "Ausländerwahlkampf"? Wenn ja, wie hat er gefruchtet? Wie hat sich der ausgewirkt?

Haydar Sari: Ich lebe seit 30 Jahren in Österreich und seit den letzten vier oder fünf Wahlen waren immer "die Ausländer" das dominierende Thema, aber nur diesmal sind die Menschen offen und direkt zur Zielscheibe gemacht worden. Mit Parolen wie "Sozialstaat statt Zuwanderer" oder der Rede vom schützenden "Patrioten", als ob Österreich von fremden Truppen besetzt worden wäre, und besonders damit, dass 300.000 Menschen deportiert werden sollten - mit Bussen und Zügen oder Flugzeugen, hat man uns zutiefst verletzt. Wir waren die Betroffenen. Und der Angriff war so massiv. Leider Gottes sahen wir in der Politik keine richtige Antwort auf diesen massiven Angriff. Es gab nur so schwache Antworten wie "Ohne Hetze geht es auch", dabei waren die ungefähr zwei Millionen Menschen mit ursprünglich nicht-österreichischer Herkunft das Thema. Das war auch traurig für mich.

In unzähligen Fernseh-Diskussionen wurde über diese Menschen gesprochen, aber nicht mit ihnen, weil kein einziger Betroffener dabei war. Das halte ich für demokratiepolitisch fragwürdig, es zeugt von Verachtung. Mein Vater, seine Freunde und ähnliche Gastarbeiter waren im Straßenbau und haben schwer und mühsam jahrzehntelang Österreichs Straßen errichtet, die Laternen aufgestellt. Dieses Land ist auch durch die Zuwanderer auf seinen Stand gekommen als sechst reichstes Land der Welt und drittreichstes Land der EU. Und zu seinem guten Ruf international. Höflich und diplomatisch, wie es nicht sein sollte, hat man von politischer Seite her Herrn Straches Angriffe ignoriert. Das war alles. Man hat gegenüber dem Rassismus aufgegeben.

Wie sehen Sie die in der Öffentlichkeit oft vertretene Islamfeindlichkeit?

Haydar Sari: Es ist schade, dass Religionen, auch der Islam, von verschiedenen Seiten missbraucht werden. Viele wollen ihre politischen Ziele mit Unterstützung der Religion und den unschuldigen Gefühlen der Menschen erreichen. Religion sollte von der Politik getrennt und nicht missbraucht werden. Religionen sollten aber respektiert werden und nicht so dargestellt, wie z.B. durch Herrn Strache, wo rüberkommt, dass alle Muslime mit der El Kaida gleichzusetzen sind. Alle extremen Kräfte missbrauchen die Religionen. Dabei hat das Christentum in Wirklichkeit doch kein Problem mit dem Islam, beide verbieten alles, beide sagen, Frauen dürfen das oder das nicht machen. Doch manche Religiöse haben ein Problem mit dem System.

Aber die Demokratie darf von niemanden in Frage gestellt werden. Die, die künstlich verschiedene Kulturen und Konflikte dieser Kulturen beschwören, dienen nicht dem sozialen Frieden. Kulturen lernen ja voneinander, bereichern sich und verändern sich ständig.

Durch die letzte Koalitionsregierung leben nun laut Armutskonferenz eine Million Menschen in Österreich an der Armutsgrenze und Parteien, die von rassistischer, fremdenfeindlicher Politik ihre Nahrung nehmen, haben endlich einen Sündenbock für diesen Zustand gefunden, produzieren Angst- und Feindbilder. Das ist die Taktik von solchen Ideologien.

Wie stellen Sie sich eine mögliche Integration vor?

Haydar Sari: Auf politischer Ebene wird in bezug auf Integration die gesellschaftliche Vielfalt reduziert. Man spricht immer nur von Ausländern und Asylwerbern und ignoriert die Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, obwohl in den letzten 50 Jahren über eine Million Menschen die Staatsbürgerschaft bekommen haben. Nur Institutionen zu schaffen ist zu wenig, die Integration muss auch auf der politischen Ebene passieren, in den Medien, der Verwaltung, im Justizbereich. In den EU-Parlamenten anderer Länder gibt es z.B. Mandatare ausländischer Herkunft, Österreich hat aber niemand, von keiner Partei. Die Basis sollte auch in den oberen Gremien abgebildet sein, damit meine ich auch das Parlament.

Wie wurden Sie politisiert? Schon in der Türkei oder erst in Österreich?

Haydar Sari: Mein politisches Engagement schon als Jugendlicher hing mit der angespannten Situation in der Türkei der 70er Jahre zusammen. Ich habe nicht Fußball gespielt, sondern versucht Gewerkschaften in die Betriebe zu bringen. Mit Hilfe der Gewerkschaft konnten die Löhne der Menschen gesteigert werden, die damals zügellos ausgebeutet wurden und keine rechtlichen Vertreter besaßen. Mein 14jähriger Bruder und ich mit meinen elf Jahren waren allein in die Stadt gekommen, weil mein Dorf keine Hauptschule hatte. 1976 wurde meine Universität in Ankara von rechten, nationalistischen Studenten besetzt und nachdem ich keine Prüfungen mehr machen konnte, sollte ich zum Militär. Meine Mutter wartete jede Nacht hinter dem Fenster, ob ich noch nach Hause komme. Mein Vater war Gastarbeiter in Österreich und holte mich nach, in die Wiener Blumengasse, die ich mir voller Blumen vorstellte.

Ich war noch nie im Ausland gewesen. Schon im Bus am 13. Dezember 1976 in der Früh dachte ich, ich werde mit den österreichischen Nachbarn in Kontakt kommen und deutsch üben. "Grüß Gott, Tante, kann ich Salz haben", sagte ich später zur Nachbarin, die mich gleich hinaus schmiss und verteufelte (lacht). Mit Hilfe des Kasettenrecorders habe ich beim Kochen und Abwaschen Deutsch gelernt, manchmal falsch aber autodidaktisch. Als ich in Wien ankam, war ich also schon erfahren in der Politik und habe sofort angefangen bei einem demokratischen Arbeiterverein mitzutun.

Wie stehen Sie zu einem möglichen EU-Beitritt der Türkei?

Haydar Sari: Es dauert sicher noch zwanzig Jahre bis die Türkei in die EU kommt, das steht momentan nicht auf der Tagesordnung. Aber mit der Diskussion ist Hass auf die Türken aufgeflammt. Und dass dann 60 Millionen Türken in die EU einwandern würden, ist ein schwaches Argument. Eine ähnliche Invasion befürchtete man ja bereits bei Portugal oder Griechenland. Auch das war ein Thema von Wahlkämpfen, auch dadurch wollte man politisches Kleingeld machen, obwohl es nicht so aktuell ist. Die Türkei ist schon längst in Europa. Es leben bereits sieben Millionen Türken im EU-Gebiet, das sind mehr als die Bürger von manchen EU-Mitgliedsländern.