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Boris Akunins fantastisch erfolgreicher Serienheld Erast Fandorin operiert in einem Augenblick, der genau zwischen diesen Zeiten liegt, zwischen plüschig ausgepolstertem Zarenreich und technisierter Moderne, Feudalismus und Fortschritt. Zu den simpleren Tricks gehört der "Bell- Apparat", ein Gerät, das ein Gespräch mit Menschen erlaubt, die kilometerweit entfernt sind. Allerdings ist die Technik noch nicht sehr ausgereift, und die Teilnehmer müssen so laut in den Hörer brüllen, dass sie einander auch ohne Telefon wunderbar hören würden.
Fandorin, der elegante Gentleman-Detektiv, bedient sich der Accessoires beider Epochen: Er kleidet sich nach neuester Mode in ein Korsett à la Lord Byron, ist aber auch fasziniert von unsichtbaren Tinten, von Technik und Motoren. Das Ende des 19. Jahrhunderts war für Russland eine Zeit der Unwägbarkeiten, in der sich die Verstocktheit des Ancien Régime mit den radikalen neuen Ideologien zu einer explosiven Mischung verbanden. Aber Fandorin spaziert durch die Umbrüche, als trüge er einen Teflonanzug.
Insofern begreift man, warum nicht nur dieser erste Fandorin- Band, sondern das gesamte Akunin-Imperium, warum dieses Retro-Reich von den Russen so heiß geliebt wird. Fandorin ist eine Figur des Übergangs in einer Übergangszeit, behält trotzdem die Nerven. Er ist der selbstbewusste, rational argumentierende Vertreter eines neuen Bürgertums und überlebt. Man begreift viel über die Nöte und Sehnsüchte der heutigen Russen, wenn man Fandorin liest. Es gibt Spannungen um das Öl im Kaspischen Meer und diplomatische Verwicklungen zwischen Großbritannien und Russland, das postsowjetische Russland kriecht in diesen Text wie ein Wurm ins Holz – nein, "Fandorin" ist alles andere als ein historischer Roman. Akunin ist ein Pionier. Keiner vor ihm hat historisch kontaminierten Klassiker-Kult und Unterhaltungsbedürfnis der neuen Mittelschicht so elegant miteinander ausgesöhnt.