Mit seiner jüngsten Kreation, einer Computertastatur mit veränderbaren Display-Tastkappen, hat er einen sensationellen Wurf gelandet und ist dabei, den Markt für Keyboards zu revolutionieren. Unbescheiden sind sie nicht in ihrem Vorhaben: "Die Welt wird durch Design gerettet werden", hat sich das Team des Moskauer Studios Art Lebedev zum Motto gemacht.

Tüftler

Seit 1995 tüfteln die Visionäre unter diesem quasimissionarischen Leitmotiv an Gebrauchsgegenständen und deren Erscheinungsbild, entwerfen Handfestes und Virtuelles. Dass man überall Weltspitze sei, wie sie es keck propagieren, entspringt dem postimperialen Psychogramm von Russen. Dass man es aber ab und an in der Tat ist, straft westliches Vorurteil gehörig Lügen.

Nichts verrät im zweihundert Meter vom Kreml entfernten Hinterhof, dass hier Russlands größtes Designstudio logiert. Hinter der Eingangstür erst tut sich das Reich auf: Der Beat der Büromusik verheißt Modernität, der Geist im Großraumbüro kreative Kooperation, konzentriert über Details gegrübelt wird in der Stille der kleineren Nebenräume.

Von Alcatel bis Nokia

Im Eckzimmer sitzt Artemy Lebedev vor seinem Megamonitor. Binnen zehn Jahren hat er die Designschmiede hochgezogen, 160 Leute arbeiten heute für ihn - "leider", meint er verschmitzt. Auf Größe hat er angeblich nie gezielt. "Ich will, dass ,russisches Design' zu einer selbstverständlichen Wortverbindung in der Welt wird."

Mit seiner neuesten Kreation hat er den bisher größten Schritt in diese Richtung getan. Optimus Keyboard heißt der Entwurf der Computertastatur. Das Brandneue sind die Tasten, die nämlich nicht beschriftet sind, sondern jeweils aus einem eigenen Display bestehen, das je nach Bedarf für jede Konfiguration frei programmiert werden kann: Dem Benutzer steht in Sekundenschnelle eine individuelle Tastatur zur Verfügung. "In einem Jahr könnten wir auf dem Markt sein", sagt Lebedev.

Dabei ist das Interface-Design bei Weitem nicht das Hauptgeschäft des Studios: Firmendesign und Illustrationen etwa gehören zum Spektrum, grafisches Design, in letzter Zeit immer mehr Industrial Design, mehr als die Hälfte des Outputs aber Webdesign. "Es gelang uns, das Design an den Computer zu binden, sodass es im Unterschied zum Westen als organischer Bestandteil aufgefasst wird", sagt Lebedev: "Deshalb scheinen wir als Nicht-IT-Unternehmen unter den Top 100 der russischen IT-Industrie auf."

Die Filialen der meisten Global Player arbeiten mit Lebedev: Nokia, Microsoft, Alcatel, Audi, Nissan, Unilever und andere mehr. Mit Samsung etwa ist man eine erfolgreiche Kooperation beim Design eines neuen Microwellenherdes eingegangen.

"Die Designbranche aber bedeutet ein längerfristig und schwer verdientes Geld."

Dass Lebedev keine ernsthafte Konkurrenz sieht, begründet er auch mit der Wirtschaftsmentalität im gegenwärtigen Russland: Mit den derzeitigen Rohstoffpreisen sei das schnelle Geld - vor allem im Handel - angesagt: "Die Russen wollen nicht arbeiten. Keiner denkt mehr als ein Jahr im Voraus. Die Designbranche aber bedeutet ein längerfristig und schwer verdientes Geld."

Umso zorniger macht ihn, dass in Russland so viel über das Schicksal geklagt wird. Es sei eine Schande, überall mangle es an Klein- und Mittelbetrieben, und für sein Industrial Design etwa könne er keine russischen Produzenten finden. So hat er in letzter Zeit ein paar Produktionsversuche für seine Entwürfe in China gestartet. "Schwierigkeiten sind zum Lösen da. Ich habe mit einem einzigen Computer begonnen und mich fortgebildet. Heute beträgt die Warteschlange für meine Websites zwei Monate."

Selbst deutsche und französische Designer arbeiten heute bei ihm, und die Mitarbeiterzahl wächst wider Willen. Einzige Aufnahmebedingung: "Hirn - alles andere kann man lernen" ( Eduard Steiner aus Moskau, DER STANDARD Printausgabe 17. August 2005)